16. Januar 2025

Siebenbürger Sachsen in ihrem Ringen um ethnische Identität und Selbstbestimmung

Einen Vortrag zum Thema „Die ethnische Minderheit der Siebenbürger Sachsen seit 1918/19 in ihrem Ringen um ethnische Identität und Selbstbestimmung“ hielt apl. Prof. Dr. Ulrich A. Wien, Akademischer Direktor am Landauer Institut für Evangelische Theologie der Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau, am 4. Dezember 2024 in der Ungarischen Nationalversammlung in Budapest. An der Konferenz „Das Andreanum und sein Erbe“ beteiligten sich neben Ulrich Wien u.a. auch Dr. Bernd Fabritius (siehe SbZ Online vom 16. Dezember 2024) und Dr. Irmgard Sedler, deren Beitrag in der SbZ Online vom 14. Januar 2025 dokumentiert wurde. Ulrich Wiens Vortrag wird im Folgenden ungekürzt wiedergegeben.
Als 1918 der „große Krieg“ zu Ende ging, war auch bei den Siebenbürger Sachsen die Enttäuschung groß. Ja, in der Elite herrschte stilles Entsetzen. Der „Sachsenbischof“, Dr. Friedrich Teutsch (1852-1933) hüllte sich wochenlang in Schweigen – auch sein Tagebuch enthält keine Notizen.

Der evangelische Bischofsvikar, Stadtpfarrer Dr. Franz Herfurth aus Kronstadt, fand in einer rhetorisch brillanten Kanzelrede Worte, die Zuversicht stiften wollten:
  • Zuversicht, die an historischen Beispielen an den Glaubensmut früherer Generationen erinnerten, als Siebenbürger Sachsen den Herausforderungen der Vergangenheit standgehalten hatten;

  • Zuversicht zur politischen Weisheit der sächsischen Exponenten in der Gegenwart;

  • Zuversicht, dass im internationalen Kontext die Anliegen, ja, historischen Rechte der Ethnie der Siebenbürger Sachsen kollektiv als legitim anerkannt würden.
Er führte dazu aus: „Abgesehen von unserem staatspolitischen Volksrecht auf Freiheit und Selbstbestimmung, das wir als altes Erbgut neu beanspruchen und volksmäßig ausüben wollen, steht vor uns unanfechtbar die hohe Aufgabe, auf diesem mit unserem Schweiß und Blut gedüngten Boden uns als ein Volk vollwertiger Bürger zu behaupten, als ein in sich selbst von Gott, Gewissen und Gesinnung innerlich fest gefügtes Edelvolk, eine große evangelisch-sächsische Kulturgemeinschaft.“

Diese Äußerungen sind noch innerhalb des schwindenden Erwartungshorizonts zu verorten, dass die von Präsident Wilson vertretene Position der „Selbstbestimmung der Völker (freedom and selfdetermination)“ auch für die Minderheit der regional separierten Gruppen der ungarländischen Deutschen gelten solle – in einem föderal verfassten und zu organisierenden Ungarn. Mit seiner Forderung verdeutlichte Herfurth allerdings auch, dass die desillusionierenden Erfahrungen nach 1867 aufgrund des wachsenden Nationalismus, ökonomischer Vernachlässigung der Peripherie sowie des weit gehenden Entzugs traditioneller, verbriefter politischer Rechte und Kompetenzen umgekehrt werden müssten, nun also eine Korrektur in der Politik gegenüber den Minderheiten erfolgen müsse. Unausgesprochen stand die Erwartung im Raum, die kulturell-religiöse und politische sowie ethnische Identität der Siebenbürger Sachsen sei verfassungsrechtlich und faktisch zu respektieren. Diese Erwartung war partiell wohl auch mit Hoffnungen auf rechtlich-politische Autonomie verbunden.
Die Mediascher Anschlusserklärung von 1919 (aus ...
Die Mediascher Anschlusserklärung von 1919 (aus Volum aniversar editat de Bogdan Bucur: Cartea de aur a Centenarului Marii Uniri. Ediţia a II-a revăzută si adaugită. RAO Distribuţie: 2018, S. 363)
Vor diesem Erfahrungshintergrund sind die in den folgenden Wochen geführten Diskussionen und die schließlich erfolgten Beschlüsse zu verstehen: Die am 30. November 1918 in Gyulafehérvár/Alba Julia verabschiedeten „Beschlüsse“/Deklaration der siebenbürgischen Rumänen, angeführt und vorgetragen vom griechisch-katholischen Bischof Iuliu Hossu, schienen den mitwohnenden Minderheiten eine Erfüllung der ersehnten Erwartungen zu verheißen, allerdings war die Rechtsverbindlichkeit dieser Proklamation umstritten. In Karlsburg wurden zwar vage, aber deutlich erkennbare Ziele formuliert: Es sollten eine moderne demokratische Gesellschaft entstehen, in der nationale und konfessionelle Minderheiten ihren Platz haben, ihre Sprache auch in der Verwaltung verwenden und weitgehende Selbstverwaltung praktizieren können sollten („volle nationale Freiheit für alle mit bewohnenden Völker … und völlige autonome konfessionelle Freiheit für alle Glaubensbekenntnisse“ III.1/III.2) sowie faire ökonomische Verhältnisse und das Frauenwahlrecht garantiert werden.

Am 8. Januar 1919 erklärte der erweiterte Deutsch-Sächsische Nationalrat – ohne die von ihm vertretene Bevölkerung dazu befragt zu haben –, die inzwischen als politisch überfällig erachtete Zustimmung der Siebenbürger Sachsen zur Vereinigung Siebenbürgens mit dem Königreich Rumänien. Illusionslos artikulierte diese am 8. Januar 1919 in Mediasch beschlossene Anschlusserklärung die Erwartung: „das sächsische Volk in Siebenbürgen, indem es sich auf den Boden des Selbstbestimmungsrechtes der Völker stellt, [spricht] seinen Anschluss an das Königreich Rumänien aus“. In ihr kommt die zuversichtliche Erwartung des sächsischen Volkes zum Ausdruck, dass das rumänische Volk sich „ihm gegenüber immer durch vornehme und gerechte Gesinnung leiten lassen wird“ sowie „dass es ihm [dem sächsischen Volk] niemals unmöglich gemacht wird, sich als eine ihres Volkstums bewusste nationale und politische Einheit in aller Zukunft zu behaupten und zu entwickeln […].“

Indirekt nahm die Erklärung von Mediasch die rumänischen Politiker in die moralische Pflicht, indem sie die Karlsburger Beschlüsse als Gewähr für die von der Minderheit der Siebenbürger Sachsen benannten Anliegen namhaft machten, welche Selbstverwaltung und proportionale Repräsentation sowie „für Kirche und Schule Autonomie gewährleisten und überhaupt eine gerechte und wohlwollende Berücksichtigung aller freiheitlichen, nationalen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte der Völker […] verbürgen“.

Diese Erwartungen wurden sehr rasch enttäuscht – nicht nur wegen der Auswirkungen der Bodenreform (1921-1924). Die Deutsche Parlamentsfraktion lehnte nach vergeblichen Interventionen während der parlamentarischen Beratung schließlich – zu ihrem „größten Bedauern“ – in der abschließenden Abstimmung die Verfassung 1923 ab. Der Senator und Bischofsvikar Dr. Adolf Schullerus (1864-1928) betonte in seiner rhetorisch raffinierten Rede, von der Parlamentsmehrheit sei die zentripetale Funktion der deutschen Minderheit verkannt worden.

Porträt von Bischofsvikar Dr. Adolf Schullerus ...
Porträt von Bischofsvikar Dr. Adolf Schullerus (1864-1928) Bildarchiv Gerhard Schullerus
Der Senator zitierte in seiner Rede zunächst ohne Quellennachweis die berechtigten – zeitlosen – Forderungen nach Beachtung der Minderheitsrechte, die bereits 1905 von der Rumänischen Nationalkonferenz erhoben worden waren, aber anscheinend im gegenwärtigen Kontext des vereinigten Rumäniens nicht mehr opportun schienen. Diese in der Verfassungsdebatte erkennbare Strategie bzw. Haltung der Mehrheitsfraktionen, mit je nach Situation anscheinend auswechselbaren Prinzipien willkürlich zu argumentieren und die Absicht erkennen zu lassen, die im Minderheitenschutzvertrag von 1919 vertraglich international garantierten Minderheitenrechte ignorieren zu wollen, hatte die früheren Erwartungen der Siebenbürger Sachsen massiv enttäuscht.

Dazu kamen in den kommenden Jahren bewusst unklar formuliertes Schulrecht – auch bei Partikularschulen – und Schikanen in der Rechtspraxis sowie unzuverlässige Schulfinanzierung. Beim Bischofswechsel im November 1932 wurde vom Alterspräsidenten Dr. Karl Ernst Schnell angeregt, den Völkerbund bzw. den Internationalen Gerichtshof mit den permanenten Verstößen zu befassen. [„Das neue Oberhaupt unserer Kirche wird in eine schwere, gärende, trübe, ernste Zeit hineingestellt. Die Autonomie, das Selbstbestimmungsrecht unserer Kirche, gewährleistet auch durch internationale Verträge, ist in den letzten Jahren immer wieder schwersten Anfechtungen und ernstesten Gefährdungen ausgesetzt gewesen. Das Landeskonsistorium ist in heißem Bemühen, aber in aller Loyalität nicht müde geworden, gegen jede Rechtsverletzung Rechtsverwahrung einzulegen. Kein Recht ist freiwillig aufgegeben worden, daher auch keines verloren. Des neuen Kirchenführers schwere, verantwortungsvolle Pflicht und Aufgabe wird es sein, diesen Kampf ums Recht mit aller Kraft und Entschiedenheit fortzusetzen und er wird, - nicht leichtfertig und gegen seinen Wunsch, - aber gezwungen durch die Macht der Verhältnisse, schließlich den Weg vor die Schranken des Weltareopags [Hervorhebung U. A. W.] einzuschlagen sich entschließen müssen, wenn nicht in zwölfter Stunde die Einsicht derer, die es angeht, für die gerechte Sache unserer Kirche doch noch geweckt werden kann.“ Verhandlungsbericht über die 34. Landeskirchenversammlung 1932. Hermannstadt 1933, S. 2-7, hier 5f.

Karl Ernst Schnell, Porträt gemalt von Friedrich ...
Karl Ernst Schnell, Porträt gemalt von Friedrich Miess, Kunstmuseum in Kronstadt, Inventarnummer 2506
Enttäuschungen hatten sowohl die politische Elite als auch die Bevölkerung zu verkraften: Die Elite kämpfte gegen vielfach versagende demokratische Strukturen, eine mit Korruption verbundene Praxis, die eigene Klientel zu versorgen. Sie vermisste aber auch die grundsätzliche Fähigkeit und den Willen, die für eine Demokratie essenzielle Grundhaltung, differenzsensibel zu agieren, zu akzeptieren und zu praktizieren. Im Falle der Minderheiten hieß dies, dass die zentral gesteuerte Tendenz zur Uniformität oder Homogenisierung der Gesamtgesellschaft die überkommene Identität der jeweiligen Ethnie massiv infrage stellte. Die sächsische Bevölkerung vermisste mangelnde Transparenz der parlamentarischen und kirchlichen Elite, deren „diplomatisches“ Verhandeln und Agieren im Hintergrund für die Bevölkerung unverständlich blieb und mangels erkennbarer „Erfolge“ als deren politisches Versagen gedeutet wurde. Die Enttäuschung über die politische Entwicklung und die Verweigerung bzw. das Versagen der dafür verantwortlichen, ständig wechselnden Regierungen wurden auf die eigenen Repräsentanten übertragen. Unzufriedenheit über die eigene Elite breitete sich aus.

Schon 1920 hatte Bischof Teutsch erklärt, die Landeskirche sei eigentlich bankrott. Die regional differenziert geregelte rumänische Bodenreform seit 1921 war – wie in vergleichbaren anderen Ländern dieser Epoche – eine politische Maßnahme mit weitreichenden Absichten gewesen.

„In den meisten neuen Staaten Ostmittel- und Südosteuropas wurde die Trennlinie zwischen Großgrundbesitz und Landarmut bzw. Landlosigkeit dergestalt ethnisch verdoppelt, dass die Großgrundbesitzer zu den bestimmenden Ethnien der alten Imperien gehörten, während die Kleinbauern und das Landproletariat überwiegend von den Mitgliedern der neuen Titularnationen gestellt wurden. Diese Konstellation ermöglichte den Eliten in den Zentren der neuen Nationalstaaten, eine Landumverteilung sozial und wirtschaftlich zu begründen, aber auch dergestalt zu überhöhen, dass die Inbesitznahme konkreter Landparzellen durch Mitglieder der Titularnation zugleich eine symbolische Inbesitznahme der neu erworbenen Provinzen bedeutete.“ [Dietmar MÜLLER: Bodeneigentum und Nation. Rumänien, Jugoslawien und Polen im europäischen Vergleich. 1918-1948, (Moderne europäische Geschichte, Bd. 17). Göttingen 2020, S. 8].

Der Gemeinschaftsbesitz der Siebenbürger Sachsen, insbesondere die Landeskirche als Schulträgerin des Minderheitenschulwesens besonders für die Siebenbürger Sachsen (aber auch für andere evangelische „Rumäniendeutsche“ in Bessarabien, in der Bukowina sowie in Bukarest) erlitt massive ökonomische Einbußen aufgrund der Enteignungen. Schließlich wurde 1937 die seit dem Spätmittelalter (1486) existierende Nationsuniversität mit dem großen Waldbesitz der Sieben-Richter-Waldungen quasi enteignet. Das politische Ende der Nationsuniversität als politisch und rechtlich autonome Institution war zwar bereits 1876 im Königreich Ungarn gekommen gewesen, als der Rechtsraum der Siebenbürger Sachsen ersatzlos zerschlagen und in die Komitatsverwaltung überführt worden war. Aber als ertragreiche/renditebringende „Kulturstiftung“, die vorwiegend zur Schulfinanzierung beitrug, hatte die Nationsuniversität fortexistiert und war für den Erhalt und Betrieb der Kulturinstitutionen gewissermaßen unverzichtbar. Die substanziellen Erträge hatten ein kirchlich geleitetes, ausdifferenziertes, zeitgemäßes Bildungswesen ermöglicht. Dazu zählten nicht nur die städtischen Gymnasien, ebenso die Ackerbauschulen in Bistritz, Mediasch und Marienburg, das Landeskirchenseminar in Hermannstadt und die Lehrerinnenbildungsanstalt in Schäßburg, weitere Bildungseinrichtungen wie Bürgerschulen und Handelsrealschulen, aber auch das Diasporaheim in Hermannstadt.

Porträt des Historikers und Stadtpfarrers Dr. ...
Porträt des Historikers und Stadtpfarrers Dr. h.c. Friedrich Müller-Langenthal/Bildarchiv Kulturzentrum Friedrich Teutsch
Sie wurde 1937 vom rumänischen Staat aufgelöst, und die Siebenbürger Sachsen wurden trotz symbolischer Kompensation faktisch enteignet. Der ehrenwerte Versuch einer historiographischen „Rettung“ durch den Vorsitzenden des Vereins für siebenbürgische Landeskunde, Dr. Friedrich Müller (1884-1969), hatte keinerlei Chance.

Mit diesen enttäuschenden Erfahrungen blieben die Siebenbürger Sachsen nicht allein, auch andere ethnische Minderheiten hatten Vergleichbares erlebt. Zwar hatte die einzige freie, also nicht manipulierte Parlamentswahl in Rumänien 1928 die minderheitenfreundlicheren, von den siebenbürgischen Politikern Maniu und Vaida-Voevod geführten Nationalzaranisten als Hoffnungsträger in die Regierungsverantwortung getragen. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise, während der zum Beispiel in Hermannstadt die landesweit höchste Arbeitslosenquote registriert wurde, waren – nicht zuletzt für das Bankenwesen der Minderheiten – verheerend. Für die von diesen intendierte Minderheitenpolitik war das ökonomische Desaster kontraproduktiv. 1933 begann die im gesamtrumänischen Kontext zu konstatierende politische Radikalisierung und Steigerung von Gewaltexzessen mit dem weiteren Aufstieg der Codreanu-Bewegung. Im Milieu der „Rumäniendeutschen“ rangen seit dem Amtsantritt der Hitler-Regierung in Berlin die bisher kirchlich und politisch koordinierte, konservative Elite vergeblich mit der meist jüngeren Alterskohorte um die Vorherrschaft. Zunächst verhinderte die Spaltung der NS-Bewegung in Rumänien und die fehlende regierungsamtliche Unterstützung aus Berlin die Dominanz der NS-Ideologie unter den Rumäniendeutschen. Der aus Siebenbürgen stammende nationalsozialistische Präsident der „Volksgemeinschaft“, Fritz Fabritius, forderte 1938 ein Autonomiestatut, was sowohl im innenpolitischen Kontext als Affront gewertet wurde als auch gegenläufig zur offiziellen Berliner Außenpolitik stand. Fabritius wurde kurz darauf in Berlin zum Amtsverzicht gezwungen. Aber schon 1940 diktierte Hitler im sogenannten Zweiten Wiener Schiedsspruch die Errichtung einer „Deutschen Volksgruppe in Rumänien“ mit quasi autonomen Institutionen und Kompetenzen. Während Nordsiebenbürgen (und damit 72.000 Siebenbürger Sachsen) dem ungarischen Staat zugesprochen wurde, hatte die in den letzten Zügen liegende Königsdiktatur von Carol II. diese Form der Selbstverwaltung in der „Deutschen Volksgruppe in Rumänien“ für die „Rumäniendeutschen“ zu akzeptieren. Unter dem „Volksgruppenführer“ Andreas Schmidt wurden die allermeisten „Rumäniendeutschen“ gleichgeschaltet und erhielten über die von der SS geleiteten Volksdeutschen Mittelstelle die Befehle aus Berlin. Die Idee einer Autonomie war mit dieser fremdgesteuerten Institution ad absurdum geführt. Mit dieser Entwicklung begann die Phase der totalitären Machtausübung in Rumänien, die nach dem Frontwechsel Rumäniens am 23. August 1944 ziemlich nahtlos in die Transformationsperiode bis zur Gründung der rumänischen Volksrepublik überging. Im Zweiten Weltkrieg waren die jungen deutschstämmigen Männer im Sommer 1943 in die Waffen-SS eingegliedert, als Kanonenfutter missbraucht worden und kehrten nach dem Ende des Krieges zu einem wesentlichen Prozentsatz nicht mehr in die Heimat zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die junge, arbeitsfähige Generation zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion ausgehoben; ein Großteil dieser jungen Menschen im Alter zwischen 16 und 30 Jahren (Frauen) bzw. 18 und 45 Jahren (Männer) wurde zwischen 1946 und 1948 krankheitshalber nicht nach Rumänien entlassen, sondern nach Deutschland verbracht und kehrte von dort ebenfalls meist nicht zurück. In Rumänien selbst wurde seit März 1945 erneut eine Bodenreform durchgeführt, die besonders die „Hitleristen“ kollektiv enteignete, ab 1948 wurden das soziale, kulturelle und religiöse Leben sowie die von 1944 bis 1948 nochmals von den Kirchengemeinden und der Landeskirche getragenen Minderheitenschulen unter die Botmäßigkeit der kommunistischen Staatsführung und deren Ideologie gebracht; das Deutsche antifaschistische Komitee konnte keinen Ersatz für die verlorene Selbstbestimmung bieten. Sehr eingeschränkt funktionierte die Evangelische Landeskirche A. B. in Rumänien als Refugium für die bedrängte Ethnie. Im Sommer 1948 oktroyierte die von der Kommunistischen Partei geführte Regierung (Dr. Petru Groza) eine im Wesentlichen auf das Kultische beschränkte Kirchenordnung, aber trotz teilweise massiver Verfolgung und Einschüchterung der fast ausschließlich auf die deutsche Ethnie reduzierten Kirche versuchten die am Vereinigten Protestantisch-Theologischen Institut in Klausenburg/Kolozsvár und später in Hermannstadt/Nagyszeben ausgebildeten lutherischen Pfarrer im Rahmen des Möglichen und unter Ausnutzung von sehr schmalen Freiräumen sowohl die geistliche als auch die ethnische Identität zu stabilisieren. Mit verschiedensten Einschüchterungs- und Kontrollmaßnahmen übte der Staat auf Einzelpersonen wie die Institution massiven Druck aus. Hatte es in den 40 Jahren kommunistischer Herrschaft nur vereinzelt, aber immerhin erfolgreiche Versuche gegeben, innerhalb der formal demokratischen Strukturen der Landeskirche auch eigenständige demokratische Entscheidungen herbeizuführen, trugen diese elementaren demokratischen Erfahrungen nach dem blutigen Umsturz im Dezember 1989 sofort zu einer (anfangs vorwiegend von Theologen getragenen) Initiative bei, der Gründung des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien.

Weil die Zahl der Rumäniendeutschen und damit auch der Siebenbürger Sachsen schon seit 1968 aufgrund des Freikaufs eines jährlichen Kontingents durch die deutsche Bundesregierung kontinuierlich abgenommen hatte, und die Zahl der Siebenbürger Sachsen zwischen 1945 und 1989 von 250.000 auf 90.000 landesanwesende Personen abgeschmolzen war, gab es trotz der veränderten Rahmenbedingungen für die meisten in Rumänien lebenden Siebenbürger Sachsen im Jahr 1990 kein Halten mehr. Die Verbliebenen leisten trotz ihrer kleinen Zahl aber Beachtliches als Brückenbauer sowie als „Salz der Erde“ sowohl sozial und religiös als auch – sehr begrenzt, aber engagiert – im Schulwesen in der Sprache der deutschen Minderheit sowie in der Politik, deren Exponenten/Kandidaten weit über die Zahl der verbliebenen Siebenbürger Sachsen hinaus Vertrauen unter den Wahlberechtigten gewinnen.

Auch wenn die politische Autonomie bereits 1876 verloren war, ist es der Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen aufgrund teilweise über die erträglichen Grenzen hinausgehenden eigenen Anstrengungen, aber auch Irrwege gelungen, die immer wieder existenziell bedrohlichen Herausforderungen der letzten knapp 150 Jahre zu bestehen und in unterschiedlichen geographischen Kontexten (zumindest in Teilen) ihre siebenbürgisch-sächsische Identität fortzuentwickeln und damit auch zu bewahren.

Ulrich Andreas Wien

Schlagwörter: Identität, Vortrag, Ulrich Wien

Bewerten:

16 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.