28. Februar 2025

„In Zeiten des Vormärz“: Der 13. Band von Wilhelm Andreas Baumgärtners „Geschichte der Siebenbürger Sachsen“

Als der Hermannstädter Hora-Verlag vor nunmehr 18 Jahren den ersten Band von Wilhelm Andreas Baumgärtners „Geschichte der Siebenbürger Sachsen“ mit dem Titel „Der vergessene Weg“ vorlegte, kündigte er ihn im Klappentext mit folgenden Worten an: „Der ungarische König Geisa II. hat vor über 800 Jahren Deutsche geholt, um die transsilvanische Wüstenei zu kultivieren. So einfach ist die immer wieder zu hörende Erklärung für die Existenz der Siebenbürger Sachsen. Viel zu einfach, wie der Journalist und Historiker Wilhelm Andreas Baumgärtner beweist. Er führt uns zurück in eine Zeit, als mutige Männer und Frauen sich ins Ungewisse aufgemacht haben, und zeigt, dass die Wahrheit weitaus vielschichtiger und interessanter ist als die allzu einfache Geisa-Theorie.“ Mit diesem ersten Band hat sich der Autor auf eine lange Reise begeben, um unsere Vorfahren auf ihrem Weg in unsere Zeit zu begleiten und auf der er nun, auf der 13. Station, an der Schwelle des 19. Jahrhunderts angekommen ist.
Die in dem Buch „In Zeiten des Vormärz“ behandelte Zeitspanne umfasst mit der französischen Revolution ab 1789, den napoleonischen Kriegen und der Epoche der Restauration zwischen 1815 und 1848, dem so genannten dem „Vormärz“, ein weiteres Kapitel großer Umbrüche in der Geschichte Europas. Seinem Grundkonzept treu bleibend, erzählt der Autor die Geschichte der Sachsen und ihrer Nachbarn in Siebenbürgen – Ungarn, Szekler und Rumänen – im Kontext der europäischen Geschichte. Die Stimmung im Habsburgerreich, also auch in Siebenbürgen, beschreibt er am Beginn des Buches wie folgt: „Ein Aufatmen ging durch das Reich. Der Tod Kaiser Joseph II. am 20. Februar 1790 war für die meisten seiner Untertanen eine Erlösung. Noch auf dem Sterbebett hatte der Kaiser die meisten seiner umstrittenen Reformen zurückgenommen. Diese Reformen, die zukunftweisend sein sollten, wurden von vielen als Zerstörung ihrer gewohnten Lebensweise, als ein Verlust ihrer gewachsenen Identität empfunden. Betroffen waren auch die Siebenbürger Sachsen. Sie hatten viel verloren, am schmerzhaftesten war für sie die Auflösung der Nationsuniversität. Doch jetzt sollte alles wieder so sein wie früher. Waren die aufkeimenden Hoffnungen auch begründet? Zwar erhielten die Sachsen einige ihrer Rechte wieder zurück, so zum Beispiel wurde die aufgelöste Nation wiederhergestellt, doch vieles andere erfüllte sich nicht.“

Eine zentrale Rolle spielte dabei der der Landtag in Klausenburg vom Jahre 1790 bis 1791. Zum ersten Mal nach einer Zwangspause von 29 Jahren kamen die 419 Mitglieder dieses obersten politischen Gremiums Siebenbürgens wieder zusammen – vor allem für die Sachsen war es mit Baumgärtners Worten ein „Landtag der Hoffnung“. Stattdessen wurden die Tagungen für die Sachsen, die nur 35 Abgeordnete (keine neun Prozent aller Mitglieder) entsandten, zu einem Lehrstück für ihre politische Ohnmacht. Es gelingt dem Autor in diesem Kapitel, das seiner Bedeutung gemäß ein knappes Drittel des Buches einnimmt, den Leser mit sicherer Hand durch das Labyrinth von Debatten, Konferenzen, Eingaben und Audienzen zu führen, bei denen die Vertreter der Sachsen – letztendlich vergeblich – versuchen, ihre Interessen gegen die magyarische Mehrheit im Landtag, zu der 349 Adlige zählten, durchzusetzen. Wir werden unter anderem Zeugen eines skurril anmutenden „Sprachkampfs“, ausgelöst durch die Forderung der Ungarn an den deutschsprachigen Souverän in Wien, seine Korrespondenz mit Siebenbürgen in ungarischer statt in deutscher Sprache abzufassen. Und wir erfahren etwas darüber, wie der Hof und die drei ständischen Nationen (Magyaren, Szekler und Sachsen) auf die in der Bittschrift „Supples Libellus Vallachorum“ an den Kaiser gerichteten Forderungen der Rumänen nach gleichen politischen Rechten reagieren.

Auf den Landtag folgte eine lange Periode der Restauration vorjosephinischer Verhältnisse, in welcher eine Reihe von ungarischen Hofschranzen es schafften, unter dem Deckmantel des kaiserlichen Willens persönliche Händel mit leitenden Beamten der Sachsen auf dem Königsboden auszutragen. Ein von der siebenbürgischen Hofkanzlei in Wien diktierte Reform, die unter dem Vorwand erlassen wurde, den Bürgern mehr Rechte gegenüber einer als korrupt dargestellten Beamtenschaft zu verschaffen, kehrte in der öffentlichen Verwaltung das Unterste zuoberst. Fähige Beamte, wie der langjährige Mediascher Bürgermeister Michael Conrad von Heydendorff und der Hermannstädter Stadthann Georg Michael von Herrmann wurden vor die Tür gesetzt und schließlich wurde sogar der Sachsencomes Michael von Brukenthal zeitweilig seines Amtes enthoben, später aber rehabilitiert und wieder in sein Amt eingesetzt. Doch nicht nur die öffentliche Verwaltung wurde gründlich umgekrempelt, man beschnitt auch die im Andreanum verbriefte Autonomie der evangelischen Kirche, indem man deren Oberkonsistorium faktisch der Aufsicht des Guberniums unterstellte. All diese Veränderungen der traditionellen Ordnung verunsicherten die sächsischen Eliten. Dazu gesellten sich weitere Bedrängnisse: eine Wirtschaftskrise als Folge des Staatsbankrotts des Habsburgerreiches, Pest- und Blatternseuchen, ein Erdbeben und eine katastrophale Überschwemmung hatten eine Verarmung der Bevölkerung und Unruhe unter den Sachsen zur Folge. Besonders hart war das Schicksal der sächsischen Bauern in den im Zwischenkokelgebiet gelegenen „13 Dörfern“, deren Bewohner seit jeher nicht auf dem Königsboden, sondern auf Adelsboden gesiedelt hatten. Sie hatten den Grundherren Abgaben zu leisten und mussten unter teils extremen Belastungen Frondienst leisten, waren aber keine Leibeigenen. Es gelang den Grundherren, sich diese Bauern just in jener Zeit untertan zu machen, in der Kaiser Joseph II. die Leibeigenschaft aufgehoben hatte. Eine lange Kette von Prozessen folgte, über die Baumgärtner eine packende Übersicht vorlegt. Erst nach der 1848er Revolution wurden auch sie von der Leibeigenschaft befreit.

All diese Umbrüche vollzogen sich in Siebenbürgen vor dem Hintergrund erst der französischen Revolutionskriege, die auf den Sturm der Pariser Bastille 1789 folgte, und der napoleonischen Kriege, die Baumgärtner in ausführlichen Zusammenfassungen beschreibt. Nach dem Sieg über Napoleon wurde auch im Habsburgerreich unter dem Staatskanzler Fürst von Metternich ein hartes absolutistisches Regime installiert. Es gelang jedoch nicht, die durch die französischen Revolution proklamierten Gedanken von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit endgültig zu unterdrücken. Nach 1825 bildete sich im Budapester Parlament eine liberale Partei, die eine Reform der ungarischen Gesellschaft anstrebte. In den 1840er Jahren kam es unter Lájos Kosshut zu einer Radikalisierung im Ungarischen Reichstag bei gleichzeitig weitgehender Missachtung der Forderungen der Minderheiten in Ungarn – Kroaten, Serben, Slowenen, Rumänen und Sachsen. In der bald ausbrechenden 1848er Revolution stellten diese sich daher auf die Seite des Kaisers. Da die österreichische Armee sie jedoch letzten Endes nicht schützen konnte, war ihre weitere Drangsalierung im nationalistischen Königreich Ungarn vorprogrammiert. Die Einzelheiten darüber werden wir in Baumgärtners nächstem Band erfahren, auf den wir schon jetzt gespannt sein dürfen.

Muss ich noch ausdrücklich den Stil von Baumgärtners Texten würdigen? Ich glaube nicht! Jene, die seine ersten zwölf Bände gelesen haben, wissen den lebendigen Erzählstil genau so zu schätzen wie die ausgewogene Mischung von harten historischen Fakten, insbesondere von wichtigen Jahreszahlen, und von detailreichen Schilderungen wichtiger Einzelepisoden aus dem Leben von zahlreichen öffentlichen Persönlichkeiten als auch von bestimmten Gruppen der sächsischen Gesellschaft. Denjenigen, die bisher noch nicht in dies neue Sachsengeschichte hineingeschnuppert haben, verspreche ich ein Lesererlebnis, das sie mit großer Wahrscheinlichkeit dazu verleiten wird, bis zum „Vergessenen Weg“ zurück zu gehen um unsere Geschichte von Anfang an zu erlesen.

Hansotto Drotloff




Wilhelm Andreas Baumgärtner: „In Zeiten des Vormärz. Siebenbürgen an der Schwelle zum 19. Jahrhundert“. Unter Mitarbeit von Heidemarie Bonfert. Schiller Verlag, Hermannstadt/Bonn, 2024, 237 Seiten, 17,90 Euro, ISBN 978-3-949583-60-5. Erhältlich im Buchhandel oder zu ­bestellen im Erasmus Büchercafé Hermannstadt, E-Mail: info[ät]schiller-hermannstadt.ro, deutsche Festnetznummer: (02 28) 90 91 95 57.

Schlagwörter: Buchvorstellung, Geschichte, Baumgärtner

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  • 01.03.2025, 09:56 Uhr von Diet: … Minderheiten in Ungarn - … SLOWAKEN (nicht Slowenen) … ;-) [weiter]

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