28. April 2025
Vor 80 Jahren: Evakuierung aus Nordsiebenbürgen 1944-1945: Die zweite Flucht (1)
Seit Sommer 1944, als die Sowjets die Heeresgruppe Mitte überrannten und drei deutsche Armeen vernichteten (350 000 Mann Verluste), waren Wehrmacht und Waffen-SS an der Ostfront im steten Rückzug. Im Januar 1945 wurde Budapest eingenommen.

Als sich im Frühjahr 1945 die sowjetische Front Wien und dann dem Gebiet westlich von Wien näherte, begann aus den niederösterreichischen und sudetendeutschen Evakuierungsorten eine zweite Flucht nach Westen. Gärtnermeister Johann Rauh aus Kyrieleis berichtet 1956:
„In der Osterwoche 1945 näherten sich die Russen auch dieser Gegend am Semmering (westlich von Wien, wo sie am 7. November 1944 einquartiert worden waren). Am 31. März 1945 kam Evakuierungsbefehl. Aber zu spät, 42 Familien wurden von den Russen geschnappt und nach Siebenbürgen gelenkt. Dort wurde ihnen alles abgenommen und sie wurden in Lager gesteckt und misshandelt. 40 Familien treckten dann weiter bis Braunau am Inn, wo sie sich mit den Amerikanern trafen, und wurden im Kreis Braunau untergebracht. Am schlechtesten ging es mir und noch drei Familien, die am Semmering einquartiert waren. Wir gerieten zwischen die Fronten ins Kreuzfeuer und konnten uns kaum das Leben retten. Es waren die Familien Anders Martin Kraus, Anders Martin Gettfert, Zinz Michael und ich, Rau Johann, Gärtner. Wir konnten uns mit Mühe durch die deutsche Linie herausschleichen und 16 km zu Fuß bis Mürzzuschlag in die Steiermark kommen. Von dort mit der Eisenbahn bis Altötting in Oberbayern. Am 8. April 1945 wurden wir bei den Bauern verteilt. Brennnesseln und je zwei Kartoffeln war unsere Speise in acht Tagen. Neun Familien verloren sich in Österreich von den übrigen und gelangten über die Grenze nach Nieder- und Oberbayern. Auf der Flucht von Niederösterreich nach Oberösterreich und Bayern wurde oft unter Artilleriefeuer gefahren, und die Gefahr bestand jeden Tag, in Gefangenschaft unter die Russen zu geraten. Die Hilfe der Wehrmacht blieb diesmal aus, weil sie sich selber in Sicherheit bringen wollte.“
Der Bericht schließt mit einigen Bemerkungen über die Umsiedlung nach Unterfranken im Jahre 1946.
Quelle: Ost-Dok. 3, Nr. 27 - pag. 139f
Die zweite Flucht (2)
Ende April/Anfang Mai 1945 nahte das Kriegsende. Als die Rote Armee in der Schlacht um Berlin schon im Stadtzentrum stand, beging Adolf Hitler zusammen mit Eva Braun am Nachmittag des 30. April 1945 Selbstmord. Zu seinem Nachfolger hatte er Großadmiral Karl Dönitz bestimmt. Aufgrund der vollkommen aussichtslosen militärischen Situation für Deutschland beabsichtigte dieser eine Teilkapitulation gegenüber den Westmächten. Dönitz hoffte, die Westmächte würden sich mit Deutschland gegen die Sowjetunion verbünden. Dies gelang nicht.
„Am 16. Oktober landeten wir in Mischwitz bei Breslau, wo ein Teil Landsleute hier ausgeladen und in ein Flüchtlingslager untergebracht wurden. Der andere Teil musste weiterfahren, zu dem auch ich angehörte. In diesem Flüchtlingslager waren wir untergebracht vom 16.10.1944 bis zum 6.5.1945, als unsere zweite, schwerere Flucht erfolgte. (…) Am 6. Mai erhielten wir vom Lagerführer, die Anordnung, alles müsste sich zur Flucht vorbereiten. Die Kinder und alten Leute wurden zum Bahnhof befördert und einwaggonniert. Diese sollten in Richtung Komodo-Bayreuth fahren, und alle anderen Lagerinsassen sollten, nach Angaben des Lagerführers, zu Fuß, solange es ging, nachmarschieren. Daher dürfte und konnte nur das dringende Notwendigste mitgenommen werden, was jeder tragen konnte. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit wurde aus dem Lagerhof herausmarschiert. Auf einem Wagen mit einem Pferdegespann war der noch vorhandene Küchenproviant, Brot, Fett, Marmelade und dergleichen aufgeladen. (…) Die Marschkolonne war schlecht zusammen zu halten. Bei Tagesanbruch waren wir in Altheide, wo wir eine kurze Zeit ausrasten konnten, bis der Lagerführer sich bei der Bahn erkundigte, damit wir nicht mehr zu Fuß weitergehen müssten. Es war auch nicht möglich, da vielen und auch mir die Füße bluteten und wir am ganzen Leibe ganz nass waren. Schon um 8.00 Uhr konnten wir einsteigen und fuhren mit der Bahn bis nach Rückers, wo wir über die CSR-Grenze weiterfahren oder marschieren sollten. Dies war jedoch nicht möglich, weil die Grenze schon abgesperrt war. Unser Proviant war noch nicht angekommen, und so hatten wir kein Essen. (…) Alle Straßen waren mit Militär und Zivilpersonen voll überfüllt. Unsere Richtung war über Berg und Tal nach Friedland zu gelangen. Von hier konnten wir mit dem Zug weiterfahren, so dass wir in der Nacht zum 8. Mai auf dem Bahnhof Albstadt ankamen, wo ich in der Mitternachtstunde im Rundfunk, die Kapitulation der deutschen Armee und eine Rundfunkansprache von Stalin hörte. Von hier konnten wir am Nachmittag des 8. Mai weiterfahren bis Trautenau, wo wir wiederum übernachten mussten. Sodann wollte es das Schicksal, dass wir uns in Trautenau wieder alle zusammenfanden, am 9. Mai, weil die mit dem Zug gekommen hier einquartiert waren und wir sie so eingeholt hatten. Nun war das ganze Lager, über 200 Personen, darunter 74 Kinder unter 14 Jahren, wieder beisammen. Dies war für jeden im Kummer auch eine Freude. (…)“
Quelle: Ost-Dok. 3, Nr. 22 - pag. 107ff
Textauswahl: Horst Göbbel
Schlagwörter: Evakuierung, Flucht, Nordsiebenbürgen, Geschichte, Horst Göbbel
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