8. Januar 2006

"Goldkörner" aus der Geschichte Siebenbürgen

Die Sicherung der Gemeindearchive gehört zu den vordringlichen Aufgaben der Evangelischen Kirche in Siebenbürgen. Viele Gemeinden sind durch Auswanderung dezimiert oder aufgelöst worden, Kirchen und Pfarrhäuser verfallen, das Schriftgut ist durch Feuchtigkeit und andere Einflüsse gefährdet. Regionale Sammelstellen für das Archivgut sind bereits in den neunziger Jahren eingerichtet worden.
Seit mehreren Jahren wird in Hermannstadt ein Zentralarchiv aufgebaut. Mehrere, auch international finanzierte Projekte haben die Basis dafür gelegt, dass die wertvollen Aufzeichnungen gerettet, erfasst, gesichert und der Forschung zugänglich gemacht werden. Bei diesen Arbeiten fallen den Mitarbeitern immer wieder Schriftstücke auf, die besonders anschaulich sind - auch wenn es sich nicht um "wertvolles" Archivgut handelt. Für den hier vorzustellenden Band "Goldkörner" - es ist der Erste der Reihe "Miscellanea ecclesiastica" - haben die Mitarbeiter des im Friedrich-Teutsch-Haus beheimateten Zentralarchivs eine Auswahl dieser Fundstücke getroffen und sie zu folgenden Kapiteln zusammengeführt: Gebete; Zwischen Geist und Geistlichkeit. Aus dem Leben und Tätigkeit der Geistlichen; Leben, Zeit und Ewigkeit; Das Dorfleben; Heimweh und Heimatverbundenheit; Nachdenkliches, Heiteres. Stolpersteine.

Neben viel Ernstem und auch manchem Tragischen ist auch viel Unterhaltsames in den Band aufgenommen worden. Folgendes (aus Platzgründen auszugsweise wiedergegebenes) Beispiel - die Bittschrift des Pfarrers von Großalisch vom 1. März 1804 - möge dies verdeutlichen: "Löbliches Magistrat, Not, Überdruß, die beständige Gefahr in welcher mein Leben schwebt, der Undank und der Ungehorsam meiner Zuhörer zwingen mich, die sonst so wohltätige Hülfe und den Beistand eines löblichen Magistrats zu erflehen und diese meine Bittschrift gnädig zu lesen geruhen.

Da die Parochial-Wohnung, welche noch im Jahr 1425 den 20. Oktober durch die Betriebsamkeit des weiland hochehrwürdigen und wohlgelehrten Herrn Pfarrers Michael Donner und dem Fleiß der damaligen ehrsamen Altschaft und Gemeinde ist erbauet worden, so wird es hoffentlich niemandem auffallen, daß sie jetzt mit Riesenschritten sich ihrem Umsturz naht.

Ist der Aufgang in das Haus steil und höchst gefährlich; jede Stufe droht den Brettern ins Grab zu führen und nicht selten habe ich so eine Höllenfahrt über die Stiegen hinab entweder gar mitmachen oder wenigstens mit naßem Blick ansehen müssen, die besten Freunde scheuen sich also meine Schwelle zu betreten, denn sie nennen sie ‚die Schwelle des Grabes!'

Sind die Mauren durch die viele und heftige Erdbeben wie der Vorhang im salomonischen Tempel, von oben an bis unten aus zerrissen. Der leiseste Cephir bläst mir, ob ich gleich die Fenstern, welche auch nicht zum besten schließen, und wegen Mangel an Glas mit Papier vermacht sind, fest zu mache, das Licht auf dem Tisch aus; haust endlich gar ein Sturm; so ist es ein Sausen, Pfeifen und Brausen in meiner Wohnung als feierte Pluto mit seinen Verbannten ein Fest darin. Steig ich mit vielen Gefahren auf den Boden, so scheint da die Verwesung und Zerstörung bei jeder Schindel hinaus, und bei einer hellen Sternennacht habe ich hier die herrlichste Sternwarte, denn der kleinste Fixstern bis zum Jupiter ist hier sichtbar; doch ein Glück für mich ist es noch, dass der Wind durch das ganze Dach ungehindert passieren kann, sonst hätten es die heftigen Windstöße zusamt den Balken, welche es befestigen sollten, aber durch den Zahn der Zeit ihre Pflicht untreu gemacht, längst fortgeschleudert."

Bischof D. Dr. Christoph Klein hat das Vorwort verfasst, L. Popa erläutert im Namen des Redaktionskollektivs die Zielsetzung der Veröffentlichung. Seitdem das Zentralarchiv der Landeskirche im Mai 2004 eröffnet wurde, lag es nahe, eine lose Veröffentlichungsreihe ins Leben zu rufen, um damit sowohl die zusammengeführten bzw. geretteten Bestände bekannter zu machen, als auch das Haus im In- und Ausland überhaupt zur Kenntnis zu bringen. Dabei sollen alle möglichen Benutzergruppen eines landeskirchlichen Archivs, namentlich aber die heutigen wie ehemaligen Gemeindeglieder angesprochen werden, die durch ihre Bereitschaft zur Abgabe und Sicherung auch einen wichtigen Anteil am Entstehen des Hauses hatten/haben. Weiterhin sollte die Reihe ein Ansporn zur weiteren Professionalisierung des Hauses sein. Schließlich ist das aufbewahrte Material so reichhaltig, dass eine eigene Schriftenreihe gerechtfertigt erschien, gerade wenn auch Menschen jenseits enger wissenschaftlicher Diskurse angesprochen und in ihren Interessen bedient werden sollen. Am Ende des Buches findet sich ein Bilderverzeichnis sowie ein Inhaltsverzeichnis in rumänischer Sprache. Zu allen abgedruckten Texten wurden Quellenhinweise aufgenommen und - wenn zum Verständnis notwendig - Erläuterungen gegeben. Der Band konnte nur in einer Auflage von 500 Stück gedruckt werden und war schnell vergriffen.

Bislang liegen Arbeitstitel bzw. Entwürfe für sechs bis sieben weitere Bände vor, z.B. für Findbuchpublikationen besonderen Interesses, für einen Brukenthal-Band und Quellenpublikationen zu Friedrich Teutsch bzw. Adolph Schullerus. Das Material für einen zweiten "Goldkörner"-Band ist schon gesammelt, harrt angesichts der vordringlichen Aufgaben des Archivs noch der Aufbereitung. Freilich sind die finanziellen Spielräume der Landeskirche begrenzt, und solche Werbungs- und Auswertungsarbeit für das Zentralarchiv ist praktisch ganz auf Spenden angewiesen.

Uwe Konst

Miscellanea ecclesiastica. Veröffentlichungen des Zentralarchivs der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien. Band I. Goldkörner. Sammelband aus den Gemeindearchiven A.B.; Hermannstadt/Sibiu: Honterus Verlag, 2004, ISBN 973-86634-4-x, 156 Seiten.

Schlagwörter: Rezension, Kirche und Heimat, Geschichte

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