13. Januar 2006

Nordsiebenbürgisches Schulwesen in der NS-Zeit

Wigant Weltzer, Jahrgang 1925, Lehrersohn aus Sächsische-Regen, Kriegsteilnehmer 1942-1945, Kriegsgefangener bis 1946, Lehrer i.R., Mitglied der Landessynode der Evangelischen Kirche in Bayern, trägt in "Wege, Irrwege, Heimwege" Daten, Fakten, Erinnerungen, Beurteilungen im Rückblick auf Zeitgeist, pädagogische Ziele und Leben in "Schulen, Erziehungsheimen und Erziehungsanstalten des Volksbundes der Deutschen in Ungarn 1940-1944", so der Untertitel seines Buchs, zusammen.
Der in Rothenburg ob der Tauber lebende intellektuell wache und rüstige Achtzigjährige weiß, wovon er spricht, denn er war 1939-1942 Schüler der NS-Erziehungsanstalt "Stephan Ludwig Roth" in dem nordsiebenbürgischen auch Reen genannten Städtchen, in dem einst Rumänen, Ungarn, Deutsche, Juden neben-, von- und miteinander lebten.

Weltzer lenkt in seiner Untersuchung den Blick über den unmittelbaren Gegenstand hinaus und beleuchtet, von der Sache her unumgänglich, den Zustand der nordsiebenbürgisch-sächsischen Gesellschaft in der fraglichen Zeitspanne. Obwohl durch den zweiten Wiener Schiedsspruch vom 30. August 1940 auseinandergerissen, stellten sich die NS-Jahre bei den Nord- und Südsiebenbürgern lediglich in Nuancen unterschiedlich dar.


Die in neun Kapitel mit zahlreichen Untertiteln gegliederte Dokumentation kennzeichnet sich zuallererst durch das Bemühen um Sachlichkeit. Vor historischem Hintergrund bietet Weltzer ein methodisch durchdachtes genaues Bild des deutschen Schulwesens in Ungarn. Schulgeschichte, Aufbau der Schulstruktur, Schularten, Wandlung des Erziehungsbegriffs, dessen Ideologisierung im Zeichen der NS-Etablierung werden mit Blick auf die Spezifika der deutschen Siedlungsgebiete anhand von Tabellen und Karten klar dargestellt; eine Fülle aussagekräftiger Fotos veranschaulicht nicht nur zeittypische Situationen, sondern sogar Orientierung, Lebensauffassung und Selbstverständnis der Menschen. Bestimmende Persönlichkeiten wie der Minderheitenpolitiker und Klausenburger Universitätsprofessor Dr. Jakob Bleyer, der 1946 von den Amerikanern hingerichtete Volksgruppenführer Dr. Franz Basch, am Rande auch der literarisch begabte, der NS-Doktrin verfallene spätere Pfarrer Arnold Roth werden kurz vorgestellt.

Weltzer lässt nichts außer Acht, um ein komplexes Bild zu bieten. Im Sinne der Anmerkung von Rainer Kunze: "Wir können unsere Biografie nicht im Nachhinein korrigieren, sondern müssen mit ihr leben, aber uns selber können wir korrigieren", kommt er natürlich dezidiert auf den von den wenigsten rechtzeitig wahrgenommenen Ungeist der NS-Antriebskräfte zu sprechen, von dem nicht zuletzt die schulische Erziehung jener Jahre geprägt war. Am deutlichsten gelingt ihm das, wo er den Missbrauch des Namens Stephan Ludwig Roth bei der Benennung der Reener NS-Erziehungsanstalt anprangert. Es lässt sich in der Tat kaum eine groteskere Entstellung denken als diese Umdeutung des Namens jenes Mannes, der im Geist Pestalozzis zum großen Schulreformer der siebenbürgischen Deutschen zu Beginn des 19. Jahrhundert geworden war.

Wie ja generell die Dokumentation bzw. deren Autor auf den Missbrauch hinweist, den die Vorantreiber der NS-Infiltration mit schlechthin allen Positionen vornahmen, die zum Traditionsgut auch der ethnischen Minderheit der Deutschen in Siebenbürgen gehörten. Treue, Anstand, Fleiß, Redlichkeit, Bildungsbedürfnis etc. wurden rücksichtslos nach NS-Vorstellungen "umfunktioniert" und verstellten den Menschen durch die Beibehaltung ihrer Bezeichnung den Blick für die Tatsachen. Die Schulen wurden zu getarnten Ausbildungsstätten für Krieger, ihre natürlichen Prinzipien wie Ordnung und Gemeinschaftssinn zur Vorstufe des militärischen Drills, die Liebe zum eigenen Volk zu rassistischem Nationalismus u.a.m. Was daraus wurde, ist bekannt. Die Deutschen Siebenbürgens bezahlten die Hybris mit ihrer historischen Existenz.

Streckenweise erscheint Weltzers Text, wo er diese Thematik beruht, zu behutsam, zu vorsichtig. Der Leser wünscht sich angesichts des Unheils, das der braune Wahnsinn anrichtete, mehr an entsprechender Härte des Urteils. Doch erklärt sich die Vorgehensweise wohl aus der Absicht, im Sinne der besseren Information alle Leser zu erreichen, auch diejenigen, deren Erinnerung bis heute von Nostalgien durchsetzt ist. Dessen ungeachtet ist Wigant Weltzers Buch das Beispiel einer sine ira et studio erstellten Dokumentation im Rückblick auf die regionale Facette einer verhängnisvollen Epoche. Was er - im Sinne seines Vorhabens - bezüglich des ungarndeutschen Schulwesens, ganz eindeutig auch vor dem Hintergrund der faschistischen Grundhaltung der Ungarn, vorträgt, erlaubt den Blick über sein Subjekt hinaus auf einen Allgemeinzustand, dessen Folgen jede Analyse rechtfertigen.

Hans Bergel

Wigant Weltzer: Wege, Irrwege, Heimwege. Schulen - Erziehungsheime und Erziehungsanstalten des Volksbundes in Ungarn 1940-1944, Schneider Druck GmbH, Rothenburg ob der Tauber, 144 Seiten, zahlreiche Schwarzweißfotos, Broschur, ISBN 3-927374-46-6. Zu bestellen zum Preis von 19,80 Euro in jeder Buchhandlung oder bei Wigant Weltzer, Wernitzerstraße 29, 91541 Rothenburg ob der Tauber, Telefon: (0 98 61) 97 46 50.

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 1 vom 20. Januar 2006, Seite 7)

Schlagwörter: Zeitgeschichte, Schulgeschichte, Rezension

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