18. Februar 2006

Streifzug durch die jüngere Geschichte des Urzelnlaufs

Hermannstadt hat sein Brukenthal-Museum, Kronstadt die Schwarze Kirche, und was haben wir Agnethler, außer dass wir uns mit lauter Stimme unterhalten? - Wir Agnethler haben keine so berühmte Kulturstätte, aber wir haben die Urzeln! Beim diesjährigen Urzelntag am 25. Februar in Sachsenheim wird es wieder hoch hergehen, die Parade der Traditionsfiguren wird ein zahlreiches Publikum in ihren Bann ziehen. Auch der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V., Dipl.-Ing. Arch. Volker Eduard Dürr, hat seine Teilnahme zugesagt.
Über den Urzelnlauf ist viel geschrieben worden. Trotzdem gibt es immer wieder Leser, die noch nichts von diesem Fastnachtsbrauch am "Zunfttag" (dem ersten Mittwoch nach dem "Geschorenen Montag", Montag nach dem Dreikönigstag) im ehemals zunftreichen Agnetheln gehört haben. Wie sieht so ein Urzel eigentlich aus? - Ein Urzel steckt in einem hellen Leinwandanzug, der über und über mit gleich langen, dunklen Stoffstreifen benäht ist und entfernt an einen Bären erinnert. Die Agnethler sind in der ganzen Welt verteilt. Im Bundesgebiet leben sie unter anderem in Heilbronn und Sachsenheim. Deshalb habe ich einige in Heilbronn lebende Agnethler zu einem Gespräch eingeladen. Gastgeber waren Hans und Brigitte Roth aus Heilbronn. Als Gäste waren gekommen: Michael und Marlies Hennig, Martin und Grete Dietrich, Fritz sowie Anneliese Sill und Erika Roth. Thema unseres Gespräches war hauptsächlich die Wiederaufnahme des Urzelnlaufes im Jahr 1969 in Agnetheln und in Sachsenheim 1965.
Gesprächsrunde in Heilbronn vor dem Urzelnlauf am 25. Februar, von links nach rechts: Fritz Sill, Michael Henning, Hans Roth und Martin Dietrich.
Gesprächsrunde in Heilbronn vor dem Urzelnlauf am 25. Februar, von links nach rechts: Fritz Sill, Michael Henning, Hans Roth und Martin Dietrich.


Es gab mehrere Anläufe, bis es 1968 zu konkreten Gesprächen beim Bürgermeisteramt in Agnetheln kam. Maßgeblich beteiligt an diesen Gesprächen waren Martin Dietrich, Christian Lang und Hans Roth, alle drei von Beruf Schneider. Es mussten Unterlagen in rumänischer Übersetzung sowohl in Agnetheln als auch in Hermannstadt, wo seit 1968 der Sitz der neu gegründeten Kreisverwaltung war, über die Urzeln, deren Geschichte und die Tradition vorgelegt werden. Es waren vor allem unsere rumänischen Mitbürger in Agnetheln, die der Wiederaufnahme des Urzelnlaufs entgegentraten. Endlich gab der damalige Bürgermeister grünes Licht für den Urzelnlauf 1969. Danach unternahm man mit vereinten Kräften alles für das gute Gelingen. Es gab zwar im neu gegründeten Harbachmuseum noch die alten Zunftladen, Fahnen u. a. Der damalige Museumsleiter (kein gebürtiger Agnethler) war allerdings auch nicht immer kooperativ.

Der Bürgermeister hatte den verantwortlichen Sachsen strenge Auflagen auferlegt. So waren z. B. Beginn und Ende festgelegt. Bis zum Sammelpunkt um 9 Uhr und nach 17 Uhr mussten die Männer im Zottelgewand ohne Maske gehen. Jeder Urzel trug eine Nummer, die er beim Kulturhaus abholen musste. Der Bürgermeister überzeugte sich auch persönlich zusammen mit anderen Offiziellen vom Einhalten der Auflagen. Unsere Agnethler Sachsen waren bemüht, bei dieser Sache gut abzuschneiden, denn man wollte auch im nächsten Jahr diese gewonnene Freiheit genießen. Wichtig war, nach und nach die Fahnen, Zunftladen und andere Dinge nach den alten Modellen anzufertigen, um somit unabhängig von den verschiedenen Stellen zu sein. Es wurde auch ein eigenes Bärenfell gekauft. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges und der Deportation unserer Landsleute in die Sowjetunion hatte niemand daran geglaubt, dass das Siebenbürgenlied noch einmal auf dem alten Marktplatz, zum Abschluss der Veranstaltung, vor dem Bürgermeisteramt öffentlich gesungen werden würde. Unvergesslich war auch die Ansprache von Prof. Heinrich Oczko in rumänischer und deutscher Sprache vor dem Bürgermeisteramt.

Meine Gesprächspartner nahmen, wie es sich für einen Agnethler gehört, seit ihrem Zuzug ins Bundesgebiet am Urzelnlauf in Sachsenheim teil und wurden später "Besucher" des Urzelntages. Michael Knall war 2005 noch aktiv mit vier Generationen aus seiner Familie am Urzelntag in Sachsenheim dabei. Er hat viel dazu beigetragen, dass die Kürschnerzunft gut ausgestattet ist. Mit Reinhard Lang, den wir in Sachsenheim besuchten, sprachen wir über das Urzelntreiben in Sachsenheim. Der Agnethler hat maßgeblich mitgeholfen, dass die Tradition des Urzelnlaufs nach altem Brauch, angepasst an die neuen Verhältnisse, in Sachsenheim eingeführt und gepflegt wird. Lang ist seit 16 Jahren Kassenwart (Säckelmeister) der Urzelnzunft Sachsenheim e.V.

Die Urzelnzunft Sachsenheim e. V., die mit der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen e. V. gut zusammenarbeitet, ist seit 1987 Vollmitglied der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte e. V. Sie genießt volle Anerkennung in der einheimischen Bevölkerung und im Verbandsleben der Landschaft Neckar Alb, ist ferner Mitglied der Sport- und Kulturgemeinschaft (SKS) Großsachsenheims. Mitglieder der Urzelnzunft sind neben Agnethlern auch Siebenbürger aus anderen Ortschaften. Jetziger Zunftmeister ist Thomas Lutsch, der in diesem Amt Hans Wächter und Rudolf Roth folgte. Stellvertretende Zunftmeister sind Ingo Andree, Hubert Wachsmann und Dietmar Koch. Es bestehen fünf Parten (mit jeweils einem Nummernkreis von 150 Nummern), und man rechnet damit, dass am 25. Februar 2006 bis zu 200 Urzeln mitlaufen werden. Die Urzelnpart läuft nicht mehr von Haus zu Haus, sondern man hat sich den neuen Gegebenheiten angepasst. Es wird mit dem Bus ab 8.40 Uhr von Großsachsenheim nach Kleinsachsenheim, Hohenhaslach, Ochsenbach, Häfnerhaslach, Spielberg gefahren. Es gibt einen Empfang beim Ortsvorsteher Spielberg und Brauchtumsvorführungen sowie einen Empfang im Schlosshof und bei der Stadtkirche. Musikalisch werden die verschiedenen Urzelnparten von den Ochsenbacher Musikanten in einigen Stadtteilen begleitet und in Großsachsenheim von den Musikanten der Stadtkapelle.

Die steigende Zahl der Besucher, die rege Beteiligung der Urzeln und der Ausklang mit Tanz führten dazu, dass die Urzelnzunft immer größere Räumlichkeiten anmieten musste, angefangen mit der Kantine der Familie Wonner über das Heim für Kleintierzüchter, die Mehrzweckhalle Kleinsachsenheim und schließlich seit 1984 die Festhalle Großsachsenheim. Wie jeder Verein in Deutschland finanziert sich die Urzelnzunft Sachsenheim e.V. durch die Mitgliederbeiträge. Die Beiträge betragen 45 Euro für die Familie (Ehemann, Ehefrau und Kinder bis 15 Jahre), 30 Euro für Ehepaare, 15 Euro für Jugendliche. Mein Gesprächspartner, Kassenwart Reinhard Lang, rechnete mir vor, wie vorteilhaft die Mitgliedschaft sei. Während Nichtmitglieder beim Besuch der Festhalle 35 Euro Eintritt entrichten, zahlen Mitglieder nur 5 Euro Eintritt, einschließlich ein Essen und ein Getränk.

Ortwin Gunne


Weitere Informationen im Internet unter www.urzelnzunft.de.

Schlagwörter: Urzeln, Brauchtum

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