7. Juni 2006

Eberhard Sinner: Kulturhauptstadt ist Anerkennung Europas für einmalige Leistung

"Die Integration der Vertriebenen, die zu uns nach Bayern kamen, hat erst den Aufstieg Bayerns nach dem Krieg ermöglicht." Dies betonte der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, Staatsminister Eberhard Sinner, in seiner Festrede beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen am 4. Juni 2006 in Dinkelsbühl. Der CSU-Politiker dankte im Namen der Staatsregierung allen, "die aus Siebenbürgen nach Bayern gekommen sind, die hier eine Heimat gefunden haben und die unsere gemeinsame Heimat Bayern nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut haben". Er könne es sich gut vorstellen, dass Bayern in seinem Jubiläumsjahr einen weiteren Stamm begrüßt, die Siebenbürger Sachsen. Sinner bekundete seine Zuversicht, dass Rumänien der Europäischen Union am 1. Januar 2007 beitreten werde. Die seit 1989 durchgeführten Reformen seien eine "kleine Revolution", die von Bürgern getragen und durchgeführt wurden. Sinners Ansprache wird im Folgenden im Wortlaut wiedergegeben.
Sehr geehrter Herr Dürr, sehr geehrter Herr Kollege Dr. Bergner, liebe Siebenbürger Sachsen und liebe Gäste hier in Dinkelsbühl. Zunächst einmal ein herzliches bayerisches "Grüß Gott" Ihnen allen an diesem Pfingstsonntag, wo das Wetter doch noch die bayerischen Farben Weiß und Blau erkennen lässt. Wir haben eben einen wunderschönen Trachtenzug erlebt. Und wenn ich Ihr Motto sehe, "Zukunft braucht Hoffnung", dann war in diesem Trachtenzug beides zu sehen, Zukunft und Hoffnung. Und ich mache Ihnen ein Kompliment: Sie haben nicht nur Brücken gebaut über Grenzen, sondern auch Brücken gebaut über Generationen. Das war an diesem Trachtenzug deutlich zu sehen. Ich möchte auch danken, dass die Stadt Dinkelsbühl, Herr Dr. Christoph Hammer, Ihre Vorgänger, der Stadtrat, seit über 50 Jahren diesen Heimattag unterstützt. Wir sind ja beide Franken. Sie, Herr Oberbürgermeister, sind Mittelfranke in Dinkelsbühl, ich bin Unterfranke. Wir feiern in diesem Jahr 200 Jahre Königreich Bayern. Vor 200 Jahren kamen die Franken zu Bayern oder Bayern zu Franken, wie man's nimmt. Wir haben uns ganz gut behauptet. Und da gibt es einen kleinen Unterschied: Die Unterfranken gingen 1806 gerade noch mal weg nach einem Schnupperkurs von drei Jahren und kamen erst 1814 endgültig dazu nach einem Zwischenstopp im Großherzogtum Toskana. Das war Napoleon, der an vielen Dingen Schuld war. Seitdem ist es in Bayern aufwärts gegangen. Wir haben ein zweites Jubiläum in diesem Jahr: 60 Jahre modernes Bayern, Bayerische Verfassung vor 60 Jahren.

Staatsminister Eberhard Sinner, Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, während seiner Ansprache beim Heimattag 2006 in Dinkelsbühl. Foto: Josef Balazs
Staatsminister Eberhard Sinner, Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, während seiner Ansprache beim Heimattag 2006 in Dinkelsbühl. Foto: Josef Balazs
Herr Dürr, Sie haben vorhin zu Recht gefragt: Was war denn das für ein Wunder, das nach dem Krieg passiert ist? War es die Idee von Ludwig Erhard oder der Fleiß, die Intelligenz der Menschen, die Deutschland aus den Trümmern wieder aufgebaut haben? Und ich sage hier in aller Deutlichkeit: Die Integration der Vertriebenen, die zu uns nach Bayern kamen, hat erst den Aufstieg Bayerns nach dem Krieg ermöglicht. Ich bedanke mich im Namen der Staatsregierung ganz ausdrücklich bei allen, die aus Siebenbürgen nach Bayern gekommen sind, die hier eine Heimat gefunden haben und die unsere gemeinsame Heimat Bayern nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut haben. Herzlichen Dank.

Ich überbringe Ihnen neben meinen Grüßen, den Grüßen der Staatsregierung auch ganz besonders die des bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Edmund Stoiber, von dem Sie ja wissen, dass er zur gleichen Stunde beim Sudetendeutschen Tag in Nürnberg spricht. Ich soll Ihnen sagen, dass er natürlich auch bei Ihnen hier in Dinkelsbühl ist. Ich persönlich könnte mir ganz gut vorstellen, dass er im Jubiläumsjahr, 200 Jahre Königreich, 60 Jahre bayerische Verfassung, natürlich in Bayern einen weiteren Stamm begrüßt, die Siebenbürger. Das wäre ein schönes Ergebnis dieses Jubiläumsjahres.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir denken an einem Tag wie heute auch daran, was in der Vergangenheit, was nach dem Zweiten Weltkrieg alles passiert ist. Da mussten Sie ausharren unter einer Diktatur. Da haben Sie erlebt, was es bedeutet, als Deutscher abgestempelt zu sein. Da haben Sie Entrechtung, Knechtung und Unterdrückung erleben müssen. Ich denke auch, dass Diktatur etwas ist, an das man sich erinnern muss. Auch Vertreibung. Aber dass die gemeinsame Folgerung von uns allen sein muss: Nie wieder! Das ist das Fundament, auf dem wir Europa aufbauen können. Wir wollen auch mitfühlen, wir wollen auch um verlorene Angehörige mittrauern. Und Erinnern ist ein dauerndes Mahnmal dazu, Flucht und Vertreibung zu ächten und solche Ereignisse künftig zu verhindern.

Meine Damen und Herren, wir wissen natürlich auch, dass die rumänische Regierung, und ich begrüße hier ganz ausdrücklich Herrn Generalkonsul Mihai Botorog, früher als andere erkannt hat, was die Beziehungen zwischen Siebenbürgen, was die Beziehungen zwischen Deutschen und Rumänen dem rumänischen Volk bedeuten, dass man aufeinander zugeht, sich die Hand gibt und gemeinsam auch die Heimat in Rumänien aufbaut. Dies ist auch ein Erfolg, den wir heute feiern können. Hermannstadt ist 2007 gemeinsam mit Luxemburg Europäische Kulturhauptstadt, Herr Dr. Christoph Bergner, Sie haben das erwähnt, und das ist eine Anerkennung für alle Generationen, die dort gelebt und gesiedelt haben. Völlig zu Recht heißt es im Siebenbürgen-Lied: "Land der Fülle und der Kraft". Fülle und Kraft haben Sie, die Deutschen in Rumänien, diesem Land durch Tatkraft und Heimatliebe verliehen. Und Sie leisten dies bis heute im Land selbst, auch mit Unterstützung durch Deutschland. Dafür herzlichen Dank. "Europäische Kulturhauptstadt" ist eine verdiente Anerkennung Europas für diese einmalige Leistung.

Wir sind auch durch die Rumänienbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, Dr. Barbara Stamm, die gestern hier gesprochen hat, schon immer beteiligt an dieser Entwicklung. Ich selbst war über einige Jahre Ko-Vorsitzender, also der bayerische Vorsitzende der Bayerisch-Rumänischen Regierungskommission. Wir haben eine große Zahl von Projekten auf den Weg gebracht. Und ich möchte auch sagen, dass der Beitritt von Rumänien zur Europäischen Union für uns unglaublich wichtig ist. Europa wächst hier tatsächlich zusammen. Da müssen Bedingungen erfüllt werden, da sind Hausaufgaben zu machen. Aber ich bewundere auch, was die Menschen in Rumänien in den letzten Jahren geschaffen haben. Wenn wir sehen, wie schwierig Reformen bei uns durchzusetzen sind, wie schwierig es ist, selbst kleine Reformen auf den Weg zu bringen, dann ist im Vergleich dazu in den letzten Jahren und seit 1989 in den Ländern, die jenseits des Eisernen Vorhangs waren, eine kleine Revolution entstanden, getragen von den Menschen. Das waren nicht nur die Politiker, das waren die Menschen, die diese Revolution durchgeführt haben. Ich bin mir sehr sicher, dass sie jetzt auch auf der Zielgeraden noch die letzten Meter erfolgreich zurücklegen und dass Rumänien zum 1. Januar 2007 Mitglied der Europäischen Union wird.

Meine Damen und Herren, ich möchte herzlich danken, dass diese Arbeit der Landsmannschaft immer wieder auch durch einzelne Personen, die auch jetzt geehrt werden, besonderen Ausdruck findet. Wir haben Preisträger des Jugendpreises, Erhard Graeff, ich gratuliere herzlich; wir haben wissenschaftliche und künstlerische Arbeiten, Dunja Richter und Anita Hartwig, herzliche Gratulation, und wir haben den Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreis 2006, Dr. Michael Kroner. Ich möchte dies in diesem Verbund, Rumänien in Europa, mit einbringen. Wir vereinigen nämlich nicht nur Staaten, wir vereinigen Menschen. Das ist das, was wir in Europa wollen. Und die Damen und Herren, die ich eben genannt habe, sind diejenigen, die in diesem Einigungsprozess auch vorbildlich deutsches Kulturgut, deutsche Zukunft und Vergangenheit mit eingebracht haben.

Wir wissen, was Europa für uns alle bedeutet. Ich war am letzten Sonntag in Krakau, als der deutsche Papst Benedikt XVI. vor Millionen eine große Messe gehalten hat. Er wurde nicht wie ein Gast empfangen, sondern wie ein Landsmann, als Nachfolger von Johannes Paul II. Und wer die Millionen erlebt hat, die Benedikt XVI. gefeiert haben, der konnte sehen, dass der Papst aus Polen, Johannes Paul II., in diesem Einigungsprozess Europas Gewaltiges geleistet hat. Und Dekan Hermann Schuller hat vorhin sehr deutlich gemacht: Europa ist nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, Europa ist nicht nur etwas, was entstanden ist, weil es eine gemeinsame Geschichte gibt. Europa ist eine Wertegemeinschaft. Europa ist auf drei Hügeln gebaut: auf Golgatha, der Akropolis und dem Kapitol in Rom. Und wenn wir erleben, was in der Nachkriegszeit entstanden ist, dann ist Europa ein Raum der Freiheit, des Friedens und des Rechtes geworden. Aus dieser Tradition heraus ist eine Vision, um die Generationen vorher gekämpft haben, Wirklichkeit geworden. Und ich sage sehr deutlich: Europa, wie es jetzt in der Europäischen Union entstanden ist, ist das erfolgreichste politische Projekt der Weltgeschichte überhaupt. Und wir konnten daran mitwirken. Die Siebenbürger Sachsen, die Bayern und auch unsere Landsleute, Herr Dr. Bergner, die hinter dem Eisernen Vorhang ausharrend über viele Jahre auf diese Hoffnung gewartet haben. Und wenn ich die beiden Päpste erwähne, dann meine ich auch, dass ein Motto sein könnte: Benedikt ist der Heilige Europa, Europa ist terra benedictina und deshalb terra benedicta. Sie haben für Ihren Heimattag das Motto "Zukunft braucht Hoffnung" gewählt und ich möchte noch einmal an die Ausgangslage 60 Jahre zurück erinnern. Winston Churchill hat in seiner berühmten Rede in Fulton die Teilung Europas beschrieben, den Eisernen Vorhang. Er hat bei seiner Rede als Überschrift gewählt: "Herausforderung für die Freiheit". Ich denke, Herr Dürr, das war wie Ihr Motto "Zukunft braucht Hoffnung". Und ich drehe dieses um und sage: Hoffnung ist Zukunft. Das hat die Geschichte Europas in den letzten sechzig Jahren bewiesen. Das beweist dieser Heimattag heute. Ich bin stolz auf die Leistung der Siebenbürger und ich bin zuversichtlich, dass wir Zukunft und Hoffnung verbinden, dass wir gemeinsam dieses Europa bauen, dass Europa sich weiterhin als Raum der Freiheit, des Friedens und des Rechtes entwickelt. Ihnen allen alles Gute, Gottes Segen und herzlichen Dank!

Schlagwörter: Heimattag, Dinkelsbühl, Politik

Bewerten:

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.