17. Juli 2006

Wichtige Quellen der Geschichtsforschung

Memoiren enthalten wertvolle Fakten, sollten aber mit kritischer Distanz gelesen werden. Dies geht aus der Neuerscheinung "Deutsche und Rumänen in der Erinnerungsliteratur. Memorialistik aus dem 19. und 20. Jahrhundert als Geschichtsquelle", herausgegeben von Dr. Krista Zach in Verbindung mit Dr. Cornelius Zach, Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) Verlag, München 2005, 290 Seiten, Preis 19,50 Euro, hervor, die im Folgenden vom Historiker Dr. Michael Kroner rezensiert wird.
Wie im Geleitwort betont, ist die Memorialistik in der Vielfalt ihrer Arten und Formen auch für den Historiker eine der wichtigsten Quellen zur Neueren Geschichte. Es wird zugleich darauf verwiesen, dass die Auswertung solcher Quellen mit größter Sorgfalt, mit esprit critique und durch stetigen Vergleich mit anderen Quellen erfolgen muss. Nur so kann man gewissermaßen der Hauptgefahr, die solchen Quellen innewohnen, dem Subjektivismus oder der Unehrlichkeit des Memorialisten entgehen bzw. ihnen als Historiker nicht verfallen. Andererseits enthalten Memoiren Fakten, die in sonstigen Quellen fehlen. Der Historiker sollte daher die Erinnerungsliteratur mit der erforderlichen kritischen Distanz heranziehen. Es besteht heute in Rumänien, so stellen die Herausgeber fest, ein Nachholbedarf auf diesem Gebiet, da in den 50 Jahren kommunistischer Herrschaft ein ehrlicher Umgang mit der Memorialistik oder ihre Nutzung verhindert wurde bzw. verschiedene Zeitzeugen von der Staatsmacht unter Druck gesetzt wurden, um regimekonforme Erinnerungen zu schreiben.

Bei der in vorliegenden Band herangezogenen Memorialistik handelt es sich um Erinnerungsschriften, Tagebücher, Presseartikel, autobiographische Aufzeichnungen, schriftliche Zeugnisse, Lage- und Polizeiberichte u. a. Zu den Verfassern gehören Könige, Politiker, Wissenschaftler, Geistliche, Offiziere, Polizeibeamte, Publizisten, Bauern, Arbeiter.

Der Band enthält 16 Aufsätze, die einige Aspekte der Geschichte Rumäniens mit mehreren Beiträgen über die rumäniendeutsche nationale Minderheit aus der von 1848 bis 1964 beleuchten. Dabei kann man zwei Betrachtungsweisen feststellen: Autoren, die bloß auf den Wert verschiedener Quellen hinweisen, während in anderen Beiträgen Memoiren ausgewertet werden. Es würde zu weit führen, auf alle Aufsätze einzugehen, wir werden daher nur auf jene hinweisen, die für die Leser der "Siebenbürgischen Zeitung" von größerem Interesse sein dürften. Da wären zunächst zu nennen Erinnerungen und Zeugnisse von rumänischen Studenten über ihr Studium an deutschen Universitäten im 19. Jahrhundert. Zwei Beiträge weisen auf die Bedeutung der Memoiren und des Tagebuchs von Karl I., dem ersten rumänischen König, hin, die in der kommunistischen Zeit nicht zugänglich waren. Zwei weitere Aufsätze untersuchen, wie die deutsche Besetzung Rumäniens in den Jahren 1916-1918 von dem Historiker und Politiker Nicolae Iorga einerseits und von den deutschen Militärangehörigen der Besetzungsarmee andererseits eingeschätzt wird. Diese beiden Betrachtungsweisen verdeutlichen, wie dieselben historischen Fakten voneinander stark abweichend beurteilt werden können.

Mit rumäniendeutscher Problematik beschäftigen sich fünf Beiträge: Interkonfessioneller Dialog in Großrumänien, Memoirenliteratur bei den Siebenbürger Sachsen im 19. und 20 Jahrhundert (Übersicht), die Bukowinadeutschen in der Erinnerungsliteratur, die Umsiedlung "Heim ins Reich" von 1940 in Erinnerungen und Lebensberichten von Bessarabiendeutschen, die Russlanddeportation von Deutschen aus Rumänien 1945 in der Erinnerungsliteratur, Memoiren Deutscher aus der Volksrepublik Rumänien in den Open Society Archives, Budapest. Das letztgenannte OAS-Archiv enthält Akten des Senders "Freies Europa" mit Berichten und Erinnerungen von Personen, die Rumänien verlassen oder besucht hatten. Dazu vermerkt der Autor: "Diese Quellen sind sehr aufschlussreich für die Rekonstruktion des Schicksals der deutschen Gemeinden in Rumänien während der Jahre der Volksdemokratie, sie bilden eine gute Dokumentation für diejenigen, die eine Geschichte dieser Minderheit ´von den Kleinen aus gesehen´ schreiben wollen."

Aus den zahlreichen mitgeteilten Fakten, sei hier auf ein bisher nicht bekanntes Detail hingewiesen. In dem Aufsatz über die Russlanddeportation heißt es einleitend: "Im Herbst 1944 war die Lage der Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben in Rumänien kritisch und in jedem Fall prekär. Es kursierten verschiedene Informationen und Gerüchte über die Zukunft dieser Menschen, sowohl in der Bevölkerung als auch unter den Politikern. In dieser relativ aufgewühlten Stimmung telegraphierte am 16. Oktober 1944 Joseph Klarmann aus Bukarest an den die Jewish Agency, New York, und an die Jewish Telegraphic Agency, London, und teilte den Vorschlag des ehemaligen Abgeordneten Ernst Marton mit, die Juden aus Deutschland gegen die Deutschen aus Rumänien auszutauschen, eine Lösung, die für 45 000 Juden die Rettung vor dem Regime Adolf Hitlers bedeutet hätte." Ob eine solche "Lösung" damals möglich war, bleibe dahingestellt.

Das Anliegen des Bandes ist es, auf einen noch wenig erforschten Quellenbestand hinzuweisen, um weitere Forschungen anzuregen.

Das Buch kann im Buchhandel oder über Herold Druck- und Verlag GmbH, Raiffeisenallee 10, 82041 Oberhaching, Telefon: (0 89) 61 38 71 15, bestellt werden.

Dr. Michael Kroner

Schlagwörter: Rezension, Geschichte

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