16. Januar 2007

Pflichtlektüre nicht nur für Zeidner und an der Landwirtschaft Interessierte

In einer 1924 erarbeiteten Analyse der siebenbürgischen Landwirtschaft im großrumänischen Wirtschaftsgebiet, nach der Einverleibung Siebenbürgens in den rumänischen Nationalstaat, kommt Gustav Adolf Klein, der langjährige Direktor der Hermannstädter Allgemeinen Sparkassa, zu dem Schluss, dass „die höchsten Erträge in ganz Großrumänien das kleine deutsche Burzenland aufweist, dessen Landwirtschaft in jeder Beziehung mustergültig ist“. Das lag nicht nur in den günstigen Bedingungen für eine landwirtschaftliche Urproduktion im Burzenland begründet, sondern auch in dem Selbstverständnis, das die Siebenbürger Sachsen der Landwirtschaft und dem ländlichen Leben entgegenbrachten.
Erhard Kraus hat in seinem Buch beide Aspekte, die Dokumentation von Fakten und Tatbeständen sowie die Darstellung der ländlichen Entwicklung, am Beispiel der Burzenländer Gemeinde Zeiden in herausragender Art und Weise berücksichtigt. Der Autor beschränkt sich auf das 20. Jahrhundert. In diesem Zeitraum erreichte die siebenbürgische Landwirtschaft, die burzenländische mit eingeschlossen, die höchste Entwicklung und Blüte; sie erlebte aber auch durch die politischen Ereignisse nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Niedergang bis hin zur völligen Zerschlagung. Das Buch stellt Tatbestände nicht in chronologischer Abfolge dar. Nur ganz grob werden in der Gliederung Zeiträume aufgezeigt, die einschneidende Entwicklungen aufwiesen, wie die Jahre 1918, 1921 und 1944/45 oder 1989. Die insgesamt 122 Kapitel plus Anhang sind themenspezifisch angeordnet, mit besonderem Akzent auf den relevanten Fakten, Ereignissen und Personen. Dadurch wird das Buch lebendig und gut lesbar, manchmal aber auch etwas sprunghaft.

Die ersten Kapitel beschreiben die geschichtlichen, klimatischen und pedo-geografischen Bedingungen des Burzenlandes. Der Zeidner „Hattert“ (deutsch: Gemarkung) als wesentliches Element des siebenbürgisch-sächsischen Selbstverwaltungsprinzips sowie dessen Beschaffenheit werden ebenso wie die administrative Gliederung der Gemeinde Zeiden (bis zum Jahr 1944) ausführlich beschrieben. Die Veränderungen nach 1944 waren radikal, alte gefestigte Traditionen wurden abgeschafft, die Sach- und Personalentscheidungen dem Willen der neuen Regierung untergeordnet.

Dem Beruf des Bauern wird große Aufmerksamkeit gewidmet. Im Burzenland war der Stellenwert des Bauernstandes groß, dementsprechend besuchten zahlreiche Zeidner die Ackerbauschulen in Marienburg oder Mediasch oder nahmen an Weiterbildungsmaßnahmen teil. Die kontinuierliche Weiterbildung trug wesentlich zur aufstrebenden Entwicklung bei. Der landwirtschaftlichen Produktion sind zahlreiche Kapitel gewidmet. In Zeiden wurde die Fruchtfolgebewirtschaftung frühzeitig eingeführt, mit guten Erfolgen in Ackerbau und Viehzucht. Einbrüche während und nach dem Ersten Weltkrieg konnten durch Umgestaltung der Fruchtfolgen sowie durch Mehreinnahmen bei der Saatzucht und in der Viehwirtschaft wettgemacht werden. Hackfrüchte und Sonderkulturen wurden erfolgreich angebaut und verarbeitet. Die zahlreichen Organisationen, die sich um Vermarktung, Beratung, Finanzierung, Qualitätskontrolle usw. kümmerten, werden ausführlich beschrieben.

Der Aufschwung währte nicht ewig. Unterbrochen schon durch die Agrarreform von 1921, als große Teile der sächsischen Körperschaftsflächen enteignet wurden, waren die Auswirkungen der Agrarreform von 1945 verheerend: Es gab praktisch keine sächsische Landwirtschaft mehr, in Zeiden ebensowenig wie anderswo. Enteignungsdokumente von Zeidner Bauern beweisen das eindrucksvoll. Was dann kam, betraf Zeiden ebenso wie das gesamte Burzenland und Siebenbürgen auch ganz Rumänien: die Enteignung von Grund und Boden mit dem gesamten lebenden und toten Kapital, 1952 die Evakuierung, Zwangskollektivierung, Gründung der Staatsfarmen und großen Viehhaltungsbetriebe, totale Gleichschaltung mit nachhaltig negativen Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit und die Effektivität der Landwirtschaft. Die Auswirkungen auf die Lebensmittelversorgung sind vielen von uns noch in Erinnerung. Mit der halbherzigen Bodenreform von 1990 versuchte man den alten Zustand wiederherzustellen.

Darüber hinaus beschreibt Erhard Kraus das bäuerliche Leben in Zeiden mit allen seinen Facetten. Beispiele von typischen Zeidner Bauerhöfen geben einen guten Überblick zu Struktur und Geschäftigkeit im Leben dieser Gemeinde des Burzenlandes. Die Bauersfrau ist natürlich aus dem landwirtschaftlichen Betrieb nicht wegzudenken. Die ihr traditionell zugedachten Tätigkeiten sind ebenfalls anschaulich dargestellt. Spezifisch zeidnerisch und von besonderem sprachlichem Reiz sind sächsische Bezeichnungen von bäuerlichen Einrichtungen und Geräten (mit Abbildungen) sowie Flurnamen des Zeidner Hatterts. Im Anhang werden verschiedene Statuten, Satzungen und Dokumente in Kopie wiedergegeben.

Das Buch von Erhard Kraus ist Pflichtlektüre für jeden Zeidner und für jeden an der Landwirtschaft interessierten Siebenbürger Sachsen. Dieses Buch sollte auch einem weitaus größeren Leserkreis zugänglich gemacht werden. Es beschreibt nämlich nicht nur faktenreich und detailliert einen Beschäftigungs- und Lebensbereich einer Burzenländer Gemeinde. Es ist – mehr als der Titel des Buches aussagt – eine umfassende Monografie eines im Laufe der Jahrhunderte gewachsenen Gemeinwesens, das für alle Gemeinden des Burzenlandes gleichermaßen gilt und vielleicht einzigartig in Europa ist.

Michael Brenndörfer


Kraus, Erhard: „Die Landwirtschaft in Zeiden im 20. Jahrhundert – Eine Dokumentation ihrer Entwicklung“. Heft 9 der „Zeidner Denkwürdigkeiten“. Herausgegeben von der Zeidner Nachbarschaft und dem Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde e.V. Heidelberg, Raubling und Heidelberg, (2005), 261 Seiten, 53 Tabellen, 106 Abbildungen, ISBN 3-929848-47-3.

Schlagwörter: Landwirtschaft, Zeiden, Burzenland, Rezension

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