20. Oktober 2007

Jikeli recherchierte über Pfarrer, Lehrer, Journalisten im Kommunismus

Kein leichtes Thema hat sich der aus Siebenbürgen stammende Lehrersohn Erwin Peter Jikeli – heute selbst Geschichtelehrer an der Ter-Meer-Schule in Krefeld - für seine Promotionsarbeit ausgesucht, die von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf angenommen wurde. Seiner Arbeit legte er aufwendige Quellenrecherchen im rumänischen Nationalarchiv und in evangelischen Bezirkskirchenarchiven, offizielle Verlautbarungen (Gesetze, Dekrete, Verfügungen und Weisungen der jeweiligen Staats- und Parteiorgane) sowie Schul- und Lehrerprotokolle, Tagebücher, Nachlässe, Briefe, Lebenserinnerungen u. a. zu Grunde. Nicht zuletzt wertet der Verfasser Frageborgen aus, die er an ehemalige Pfarrer, Lehrer und Journalisten verschickte, um das Verhältnis der drei wichtigen Gruppen siebenbürgisch-sächsischer Intellektueller zum kommunistischen Staat Rumänien zu untersuchen.
Dank dieses vielfältigen Materials kommt der Verfasser einer sehr aktuellen Forderung heutiger Geschichtsschreibung nach, „veränderliches und überdauerndes menschliches Verhalten innerhalb der politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Makrostruktur“ zu untersuchen, wobei persönliche und gruppenspezifische Wahrnehmung, d. h. die Eigenperspektive, Erfahrung und Sinndeutung, also biografische Quellen, relevant sind.

Mehrere Problemkomplexe hat der Verfasser bei seiner Befragung im Auge gehabt, und zwar einerseits den Zusammenhang zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem und den Lebenschancen siebenbürgisch-sächsischer Akademiker, ihre Position zur kulturellen Gleichschaltung in der Diktatur, auch mögliche Strategien, die Interessen der eigenen Ethnie zu vertreten, ob berufliche Pflichten die Teilnahme am politischen Leben voraussetzten und wie das Eigenbewusstsein die objektive Lage wahrgenommen hat, schließlich auch die Frage nach eventueller eigener Schuld. Andere Punkte beziehen sich auf Strategien staatlicher Behörden zwecks Unterwanderung und Ausspionierung von nicht direkt kontrollierbaren Schul-, Kirchen- und Medienbereichen.

Berichte über die Konfrontation mit Ideologen und politischen Handlangern des Systems und die daraus erwachsenen internen Spannungen und Gewissensnöte, kompromisslerische oder opportunistische Verhaltensmuster in der Diktatur bei den drei genannten Berufsgruppen ermöglichen dem Leser nicht nur eine vergleichende Sicht, sondern auch die Einsicht in den Umbau einer Gesellschaft, der von einem zentralistischen Machtapparat systematisch und repressiv betrieben wurde. Der Versuch, Zeitzeugenaussagen und offizielles Quellenmaterial gleichermaßen in eine Gesamtdarstellung von Verhaltensmustern der sächsischen Intelligenz in die jüngere rumäniendeutsche Geschichte einzuarbeiten, ist bisher noch nicht unternommen worden. Er ist wichtig und führt mitunter zu neuen Erkenntnissen.

Ein Problem ergibt sich allerdings im Zusammenhang mit der Auswertung der Fragebögen: Von den 249 angeschriebenen Personen erhielt Jikeli nämlich (wie in der Einführung zu lesen), nur 91 (36,54 Prozent) Rückmeldungen und davon lediglich 52 (20,88 Prozent) beantwortete Fragebögen. Das ist nach Regeln der Statistik zu wenig für eine quantitative Auswertung; ist es dann ausreichend für die qualitative? Mehrere Fragen sind außerdem ziemlich suggestiv, wonach ihre Beantwortung nur begrenzt verallgemeinert werden kann, selbst dann, wenn man den Befragten einen redlichen und guten Willen zubilligt. Fachliche Beratung durch einen Statistiker wäre vielleicht vonnöten und Nutzen gewesen. Dass jedoch recht viele der angeschriebenen Personen so wenig Interesse an einer differenzierten Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte haben, ist bedauerlich, zumal eine der Begründungen dafür, „die Zeit sei noch nicht reif“, inakzeptabel ist.

Der Verfasser gliedert seine Arbeit in neun Kapitel, denen er eine Einführung (mit Hinweisen auf Problemstellung, Methoden und Quellen) voran-, am Ende eine Zusammenfassung nachstellt. Die ersten vier Kapitel umreißen den historischen und politisch-sozialen Rahmen der Untersuchung für die Jahre 1944-1971, wobei nicht selten auch weit zurückgegriffen wird in die Geschichte der Siebenbürger Sachsen, nicht zuletzt in die dem Kommunismus vorangegangene Zeit des Nationalsozialismus. Die zeitliche Begrenzung mit dem Jahr 1971 begründet der Autor mit dem politischen Kurswechsel Ceaușescus, den seine sogenannten Julithesen aus diesem Jahr markieren. Die Zeit bis 1989, in der die Diktatur ihre groteskesten Formen annahm, könnte freilich viel Stoff für eine weitere Dissertation hergeben.

Die Kapitel fünf, sechs und sieben gehen gesondert der eigentlichen Frage zu Haltung und Verhalten seitens der genannten Berufsgruppen innerhalb und gegenüber der neuen Staatsform, deren Zielen und Forderungen nach. Erklärte Absicht des Verfassers war es dabei unter anderem, mit sogenannten Mythen bei der Vergangenheitsbewältigung aufzuräumen, nämlich jenen, dass der rumänische Kommunismus ausschließlich von den Sowjets importiert worden sei, dass insgeheim die meisten Menschen Demokraten waren und der kollektive Widerstand subversiv präsent gewesen sei. Auch die gängige Behauptung, wissenschaftliche, kulturelle und künstlerische Karrieren bei Vertretern der deutschen Minderheit seien allein das Ergebnis persönlicher beruflicher Fähigkeiten und Kompetenz gewesen, Loyalität gegenüber den Machthabern und Partizipation am System hätten dabei keine Rolle gespielt, kann nach Recherchen Jikelis nicht generell aufrecht erhalten bleiben. Die beiden letzten Kapitel der Arbeit behandeln Parteimitgliedschaft und Kontakte mit der rumänischen Staatssicherheit bei den deutschen Intellektuellen. Der Anhang enthält außer dem Abkürzungsverzeichnis ein reiches Quellen- und Literaturverzeichnis, Personen- und Ortsnamensregister sowie das Anschreiben samt Fragebogen an die jeweiligen Berufsvertreter. Besonders bei den letzten Kapiteln stützt sich der Verfasser größtenteils auf Aussagen der Befragten und schlussfolgert, dass kaum ein sächsischer Lehrer freiwillig einen Aufnahmeantrag für die Rumänische Arbeiter-, später Kommunistische Partei gestellt habe, sondern dass etwaige Leitungsfunktionen den Eintritt automatisch vorausgesetzt oder nach sich gezogen hätten, dass Eintritte oft pure Formalität gewesen seien oder dass gemäß einer Quotenreglung ein bestimmter Prozentsatz von deutschen (und anderen „Minderheitlern“) sowie von Frauen etc. aufgenommen worden sei. Schule und Lehrerschaft hätten vor allem die „Last“ des atheistischen Erziehungsauftrages wahrzunehmen gehabt und - laut Aussagen der Befragten – dank oft trickreicher Manöver meist erfolgreich zu umgehen verstanden. Die Situation der Journalisten und Vertreter der Medien sei diesbezüglich und nur vergleichsweise eindeutiger gewesen: abseits ihres Auftrages hätten sie ihren Abonnenten im Schutze von ihren in Partei- und Regierungsgremien integrierten Chefredakteuren in organisierten Gemeinschaftsaktionen vor Ort sowie zwischen den Zeilen Handlungs- und Denkfreiräume geschaffen. Überhaupt wird Komplizentum zwischen Lehrern und Schülern, Schreibern und Lesern, Pfarren und Gemeinden bestätigt.

Nachdem die Berufsgruppe der Geistlichkeit, der Pfarrer und anderer Vertreter der Kirche durch ihre „bekennende“ religiöse Weltanschauung von der Mitgliedschaft in einer dem Atheismus verschworenen Partei ausgeschlossen war, habe sich, wie Jikeli aufgrund der Befragungen schlussfolgert, die Securitate ihrer besonders und mehr als der Lehrerschaft und der Medienvertreter angenommen und sie unter Druck gesetzt. Das habe viele Pfarrer zur Ausreise in die Bundesrepublik bewogen, was ihnen die Heimatkirche als Verrat ausgelegt habe.

Der Autor leistet mit seinem Buch einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der jüngeren und teilweise dramatischen Geschichte Rumäniens und der Rumäniendeutschen. Dass er stilistisch mitunter zu seinem Forschungsgegenstand nicht die nötige Distanz hält, sondern sich stellenweise mit dem Bericht identifiziert oder aufgrund einzelner Aussagen verfrüht verallgemeinernde Schlüsse zieht, auch manchmal bei der Übersetzung aus dem Rumänischen ins Deutsche Interferenzfehler nicht vermeiden konnte, mag man seiner respektablen Arbeitsleistung zugute halten.

Gudrun Schuster

Erwin Peter Jikeli: „Siebenbürgisch-sächsische Pfarrer, Lehrer und Journalisten in der Zeit der kommunistischen Diktatur (1944-1971)“ [Europäische Hochschulschriften, Reihe III, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, Bd. 1044]. Peter Lang Internationaler Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 2007. 321 Seiten. Preis: 56,50 Euro. ISBN 978-3-631-56769-2.

Schlagwörter: Kommunismus, Neuerscheinung

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