13. September 2008

Volkserzählungen von Claus Stephani in den USA

Als er noch in Rumä­nien lebte, hat der siebenbürgische Ethnologe Dr. Claus Stephani im Bu­chenland Sagen, Märchen und Ortsgeschichten aufgezeichnet und 1985 im Ion Creangă Verlag, Bukarest unter dem Titel „Das Mädchen aus dem Wald“ veröffentlicht. Nun wurde dieser Sammelband in den USA in einer gediegenen englischen Übersetzung herausgebracht.
Die rund 106 Volkserzählungen, die Claus Ste­phani während seiner langjährigen Feld­for­schungen (1968-1975) bei den letzten deutschen Einwohnern der Südbukowina – Zipser Sachsen, Deutschböhmen und Schwaben –, die zu jener Zeit noch in ihren angestammten Ortschaften lebten, gesammelt hat, erschienen nun unter dem Titel „The Maiden of the Forest. Legends, Tales and Local History of Bukovina“, herausgegeben von der Bukovina Society of America (Ellis, Kansas/USA). Oren Windholz, Präsident der Bukovina Society und Initiator der Publika­tion, verwendet in der Gestaltung des Umschlags ein Motiv der Erstausgabe von Helga Unipan.

Bei diesem Band handelt es sich um volkstümliche märchen- und sagenhafte Erzäh­lun­gen aus sechzehn bukowinischen Ortschaften, so aus Radautz (Rădăuți), Altfratautz (Frătăuții Vechi), Oberwikow (Vicovu de Sus), Buchenhain (Poiana Micului), Lichtenberg (Dealu Ederii), Karlsberg (Gura Putnei), Fürstenthal (Voivodeasa), Althütte (Glăjăria Veche), Neuhütte (Glăjăria Nouă), Schwarzthal (Negrileasa) u. a., wobei in einem Ortsverzeichnis im Anhang auch die heutigen rumänischen Namen sowie sonstige geografische Bezeichnungen angeführt werden.

In einer ausführlichen Würdigung Claus Ste­phanis schreibt die verdienstvolle, in New York lebende Germanistin und Literaturwissenschaft­lerin Prof. Dr. Sophie A. Welisch, die als Über­setzerin des Bandes zeichnet, dass „zu jener Zeit, als diese Mythen und Sagen noch lebendig im Volk umhergereicht wurden, die Bukowina ein ‚Europe in miniature‘ war. Denn hier lebten damals zwölf verschiedene Ethnien friedlich beisammen, lange bevor es die gegenwärtigen Versuche der ‚concepts as multiethnicity and multiculturalism‘ gegeben hat. Diese einmalige ‚ethnic harmony‘ wurde jedoch empfindlich ge­stört und danach vernichtet durch den aufkommenden Nationalismus und den Totalitarismus vor und nach dem Zweiten Weltkrieg“.

Sophie A. Welisch beschreibt auch den bisherigen Lebensweg Stephanis, der in Kronstadt geboren wurde und nach der Beendigung seines Philologiestudiums in Bukarest auf zahlreichen Wanderungen in Siebenbürgen, der Maramu­resch, der Bukowina und dem Sathmarland mit einem Kassettenrekorder und einer Foto­kamera unterwegs gewesen war. So konnte er ab 1968 über 2 000 verschiedene Volkstexte und Lebens­geschichten (Oral History) aufzeichnen, die in mehreren Büchern sowie in Fachzeitschriften in Rumänien, Deutschland, Belgien, Dänemark, Israel, Italien, Mazedonien, Russland und den USA veröffentlicht wurden.

Claus Stephani ist es zu verdanken, schreibt die Übersetzerin, dass diese südbukowinischen deutschen Volkserzählungen die Zeiten überdauert haben und nun „in diesem Buch weiterleben werden“. Welisch hat mit viel Einfühlung und Verständnis für die landschaftlichen Sprach­eigenheiten die Übersetzung der Texte realisiert. Dabei wurden für die zipserischen, doch auch für die jiddischen und huzulischen Ausdrü­cke, die den einzelnen Erzählungen ein besonderes Sprachkolorit verleihen, entsprechende amerikanische Synonyme gefunden.

In seinem Vorwort be­richtet Stephani, wie er einst vor Jahrzehnten die faszinierenden Land­schaften und ihre ethnische Vielfalt im Molda­wa- und Moldowitzatal, am Rande der Ostkarpa­ten und im so­genannten Radautzer Ländchen, erkundete und damals bei deutschen, huzulischen, rumänischen und ostjüdischen Einwoh­nern zu Gast war. Durch ihre farbigen Volkser­zählungen wurde er in die phantastische Welt der Mythen und Sagen eingeführt. Die von ihm gesammelten Märchen und Sagen sind inzwischen in mehrere Sprachen übersetzt worden. In Buchform erschienen sie bisher in sechzehn deutschen, in zwei rumänischen und zwei italienischen Ausgaben sowie nun auch in englischer Übersetzung.

Wenn sich heute kaum noch jemand an die deutschen Einwohner des ehemaligen Buchen­landes erinnert, an ihre beeindruckende Ge­schichte und alten Bräuche, an ihre Namen und Ortschaften, so werden sie in diesem Buch und in den anderen Sammlungen wieder „gegenwärtig“ und „leben weiter“ – als „gesprächige Zeugen einer verschwundenen farbigen Welt“, als ein spätes Geschenk der vielfältigen südbukowinischen Volkserzählung.

Edward Stark

Claus Stephani: „The Maiden of the Forest: Legends, Tales and Local History of Bukovina“, herausgegeben von der Bukovina Society of America, Ellis, Kansas 2008, 55 Seiten, 1 Foto, 7 ganzseitige Grafiken, 1 Tafel, Preis: 22 US- Dollar, zu bestellen über die Bukovina Society (E-Mail: info [ät] bu­kovinasocie­ty.org) oder P.O. Box 81, Ellis, KS 67637, U.S.A. Bei Sendun­gen au­ßerhalb der USA kom­men Porto­­spesen hinzu.

Schlagwörter: Volkskunde, Märchen, USA, Übersetzungen

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Neueste Kommentare

  • 14.09.2008, 18:48 Uhr von hein: Höchst interessant der "Illustrierte Führer der Bukowina" von 1907 von Hermann Mittelmann, als ... [weiter]

Artikel wurde 1 mal kommentiert.

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