31. Oktober 2008

Kronstädter Bachchor wurde 75 Jahre alt

In diesem Jahr feierte der Kronstädter Bachchor sein 75-jähriges Jubiläum. Ein Weltkrieg, Anfang und Ende der kommunistischen Ära, Auswanderung der Siebenbürger Sachsen fallen in diese Zeit, aber auch die Veränderung des musikalischen Geschmacks und die technische Errungenschaft, Musik in der eigenen Wohnung tausendfach zu reproduzieren. Die große Geschichte widerspiegelt sich in derjenigen des Chores, der – trotz aller Schwierigkeiten – das Publikum auch heute in neuem alten Glanz in seine Konzerte lockt.
Nach seinem Tod im Jahr 1750 gerieten die vokal-instrumentalen Werke Johann Sebastian Bachs in Vergessenheit und erst die denkwürdige Wiederaufführung der Matthäus-Passion unter der Leitung von Felix Mendelssohn-Bartholdy im Jahr 1829 führte zur Begründung der heute so selbstverständlichen Bach-Tradition. In Siebenbürgen sollte es noch etwa 100 Jahre dauern, bevor das Publikum mit den Werken des Meisters in Berührung kam. Es bedurfte der Anwesenheit eines Zugewanderten, um die Siebenbürger mit viel Geduld an die Bachsche Musik heranzuführen: Victor Bickerich aus Lissa in Posen, ab 1922 Kantor der Honterus-Gemeinde, während vierer Jahrzehnte die prägende Gestalt im Kronstädter Musikleben, verfasste Artikel, hielt Vorträge, um die Zuhörer auf die damals als schwer zugänglich empfundenen Werke einzustimmen.
Das Jubiläumskonzert des Bachchores mit der ...
Das Jubiläumskonzert des Bachchores mit der "Schöpfung" von Haydn auf der Orgelempore der Schwarzen Kirche; 1923 war sie für 120 Sänger, 1925 sogar für 180 Sänger und 70 Instrumentalisten ausgebaut worden, um große Oratorienaufführungen zu ermöglichen.
Zur Zeit seines Dienstantritts in Kronstadt verfügte Bickerich über keinen Klangkörper, der die großen Oratorien problemlos hätte bewältigen können. Dafür fehlte es einerseits an ausreichendem musikalischem Können, aber auch an der Bereitschaft, sich dieser Musik zu widmen. Den musikalischen Teil der Gottesdienste sowie die Hochfeste bestritt der Schülerkirchenchor mit mehrstimmigen Liedersätzen meist romantischen Charakters. Der Kronstädter Männergesangverein, der trotz seines Namens auch über einen gemischten Chor verfügte, führte außer Liedertafelchören zwar auch Werke größeren Ausmaßes, aber lieber Ausschnitte aus Opern oder Operetten auf.

Die Zeit war also reif für die Gründung des Bachchors. In der Urkunde, die selbige 1933 belegt, werden 25 Gründungsmitglieder erwähnt, und als Inventar ein Cembalo, zwei Bach-Trompeten sowie verschiedene Notensammlungen. Sehr schnell eroberte der Chor einen festen Platz im Kronstädter Musikleben, was sicherlich der ausgezeichneten musikalischen Qualität der Sänger und Sängerinnen, aber auch Bickerichs mitreißender Dirigentenpersönlichkeit zu verdanken war. Für die folgenden Jahre kam es zur festen Abfolge dieser Werke: Weihnachtsoratorium zu Weihnachten, Matthäus- oder Johannes-Passion zu Ostern, und zum Totensonntag das Mozart-Requiem. Der Ruhm des Chors drang über Siebenbürgen hinaus bis nach Bukarest, so dass der in der Hauptstadt stationierte rumänische Rundfunksender mehrere Konzerte aufnahm und sendete. Es kam sogar zu wiederholten Einladungen nach Bukarest, wo der Chor 1935 zum ersten Mal im Athenäum sang. Sogar die rumänische Königin beehrte die Aufführenden mit ihrer Anwesenheit, und der Musikchronist der Zeitung Vremea war stolz, „dass das Ausland aus Rumänien ein wahrhaft westeuropäisches Konzert hörte“. So kam dem Bachchor und seinem Leiter eine bedeutende Rolle als Vermittler deutscher Musik im südosteuropäischen Raum zu.

Die Anfänge des Bachchors waren in gewissem Sinne auch seine Glanzzeit. In die dreißiger Jahre fielen außer den Bukarester Konzerten auch ein groß angelegtes siebenbürgisches Bachfest, das zur 250. Wiederkehr des Geburtstages von J. S. Bach veranstaltet wurde, und an dem der Bachchor mit der Matthäus-Passion und der Kantate „Also hat Gott die Welt geliebt“ beteiligt war.

1937 unternahm der Chor aus Anlass der fünften Tagung der Auslandsdeutschen eine denkwürdige Deutschland-Reise, während der auch Werke siebenbürgischer Komponisten, wie die Trauerkantate von Paul Richter oder Gelübde von Rudolf Lassel zu Gehör gebracht wurden.

Durch die politischen Ereignisse der Folgezeit erlitt natürlich auch der Bachchor tiefe Einschnitte. Während des Krieges fielen die Proben des Chors teilweise aus, weil der Probenraum für Lazarettzwecke genutzt wurde. Junge Männer wurden an die Front eingezogen, der langjährige Christus-Darsteller Alfred Witting kam bei einem Bombenangriff der Alliierten ums Leben. Die Zeit von 1944 bis 1946 verbrachte Bickerich in einem Arbeitslager. Zahlreiche Chorsänger wurden nach Russland deportiert und es ist ein Wunder, dass im April 1946 immerhin 39 Sänger und 14 Zuhörer in einem Kronstädter Privathaus zusammenkamen, um die Matthäus-Passion zu singen und in ihr Trost zu finden. Bickerich kehrte im Mai 1946 nach Kronstadt zurück, nahm seine Tätigkeit wieder auf, und auch der Bachchor studierte bald wieder neue Werke ein. Allerdings bestand er jetzt vor allen Dingen aus alten Sängern, die nicht nach Russland deportiert worden waren; bald erhielt er aber Zulauf von Schülern und Studenten, so dass der „Junge Bach-Chor“ gebildet werden konnte. Die erschwerten Bedingungen trübten den Enthusiasmus der Sänger wenig, z.B. unternahmen sie, wie früher der Schülerkirchenchor, „Sendfahrten“ in die umliegenden Dorfgemeinden des Burzenlandes, um dort im Gottesdienst zu singen und die Dorfbewohner in einer Zeit seelischer Bedrängnis zu unterstützen.

Bickerich hatte mit verschiedenen Problemen zu kämpfen, z.B. hatte er nach der Zerschlagung der Philharmonischen Gesellschaft kein Orchester mehr zur Verfügung, so dass er sich eins heranziehen musste, indem er musikalisch begabte Schüler dazu aufforderte, auch seltenere Instrumente zu erlernen. Ab 1949 konnte der Bachchor nur noch im gottesdienstlichen Rahmen auftreten. Die Securitate beobachtete Bickerichs Tätigkeiten. 1952 folgten in Kronstadt Evakuierung und 1958 der Schwarze-Kirche-Prozess, bei dem der Stadtpfarrer Konrad Möckel und andere Gemeindemitglieder verhaftet wurden, was auch unter den Chormitgliedern Angst säte. Natürlich wirkten sich diese Umstände auch auf das Repertoire des Chores aus, so dass einige Jahre leichtere und kürzere Werke erklangen, wie z.B. eine Passion von Schütz in der romantischen Bearbeitung Karl Riedels.

Der verehrte Meister Victor Bickerich übergab 1962 sein Amt an Walter Schlandt und seither liegt es in den Händen dieser Familie. Walter Schlandt leitete den Bachchor von 1962 bis 1965, es folgte sein Sohn Eckart, der das Schicksal des Chors 39 Jahre lang bestimmte und seit 2004 ist wiederum dessen Sohn Steffen Schlandt begeisterter Kantor und Chorleiter. Das „Tauwetter“ der sechziger Jahre führte zu einer Art „Normalität“, auch innerhalb des Bachchores. Bald waren die Aufführungen der großen Oratorien wieder möglich. Eckart Schlandt hatte sich auch die Einstudierung neuer Werke zum Ziel gesetzt, und so erlebt der Chor in der langen Zeit seiner Tätigkeit eine deutliche Repertoire-Erweiterung. Der „Messias“ von Händel, „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuz“ und „Die Schöpfung“ von Haydn, mehrere Bachmotteten, Schütz' „Musicalische Exequien“ oder Brahms’ „Deutsches Requiem“ sind nur einige Beispiele. Das größte Problem, mit dem der Chor(leiter) zu kämpfen hatte, war ab den 70er Jahren die Auswanderung und 1990 der Massenexodus der Siebenbürger Sachsen, der natürlich auch unter den Chorsängern gelichtete Reihen zurückließ. Kaum hatte man die Einstudierung eines Werks abgeschlossen, verließen die Chorsänger das Land und mit den nächsten musste man wieder von vorn anfangen. Um den Bachchor zu „regenerieren“, wurde 1993 der Baby-Bachchor gegründet, eine Gruppe von 14- bis 16-jährigen Sängern, die einerseits den Bachchor tatkräftig unterstützte und andererseits auch ein eigenständiges Repertoire einstudierte.

Heute hat sich die Zusammensetzung des Chores gewandelt. Mitglieder sind nicht mehr nur diejenigen der Honterusgemeinde, sondern musikbegeisterte Kronstädter aller Bevölkerungsgruppen. Der Baby-Bachchor, inzwischen zum Jugendbachchor umbenannt, hat sich als bedeutende Stütze des großen Chores bewährt, tritt außerdem bei Festivals für Alte Musik auf und unternimmt Tourneen ins Ausland. In seinem jungen Leiter Steffen Markus Schlandt hat der Bachchor einen neuen Meister gefunden, der das Werk seiner Vorgänger respektiert und voller Elan weiterführt – den Beweis dafür lieferte das glanzvolle Jubiläumskonzert mit Haydns „Schöpfung“ am 22. Juni in der Schwarzen Kirche. Es wird ihm sicherlich gelingen, in den – so wünschen wir es ihm – langen Jahren seiner Amtszeit mit dem Bachchor noch so manche Klippe zu umschiffen.

Thealinde Reich

Schlagwörter: Kronstadt, Chor

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