7. Dezember 2009

Die ungarischen Intellektuellen und die Securitate

Die Frage nach der Mitarbeit mit dem rumänischen Geheimdienst und nach der Bespitzelung durch die Securitate gehört zu den Themen, die 20 Jahre nach der politischen Wende auch von der ungarischen Minderheit Rumäniens immer wieder diskutiert werden. Dabei gerieten angesehene Persönlichkeiten wie der Dichter Domokos Szilágyi (1938-1976) oder der Dramatiker András Sütő (1927-2006) in den Mittelpunkt des Interesses: Aus ihren Securitate-Akten ging die zeitweilige Kooperation und Anbiederung beider an das kommunistische Regime und dessen Geheimdienst hervor. Vor allem Sütő sorgte für Aufregung, gilt er doch als Symbol für die Selbst­behauptung der ungarischen Minderheit während der nationalkommunistischen Diktatur.
In diesem Jahr haben zwei Persönlichkeiten der ungarischen Minderheit, Éva Cs. Gyimesi und Béla Markó, ihre Securitate-Akten publiziert. Die Literaturwissenschaftlerin Gyimesi möchte durch eine Analyse ihrer Akte laut Untertitel zugleich die Grundlage zu einer „Einführung in die Her­meneutik der Securitate-Akten“ legen. Die 1945 geborene Éva Cs. Gyimesi geriet 1975 wegen ih­rer angeblich „nationalistisch-chauvinistischen“ Ansichten ins Visier der Securitate. Den konkreten Anlass ihrer Bespitzelung bildete ihre Lehr­methode, denn sie hat in ihren Kursen an der Klausenburger Universität Wert auf die Einbet­tung der analysierten Werke in den historischen Kontext gelegt und wiederholt über die Zugehö­rigkeit Siebenbürgens zu Ungarn vor 1918 ge­sprochen. In den Augen der Geheimdienstoffizie­re galt sie da­durch als „Nationalistin“. Gyimesi betont einleitend, dass sie sich in den 1970er Jahren vorrangig um ihre Arbeit und Universi­tätskarriere gekümmert hat. Deshalb suchte sie 1976 um die Parteimitgliedschaft an, die ihr jedoch verwehrt wurde. Die Beschäftigung mit der siebenbürgisch-ungarischen Literatur der Zwischenkriegszeit, der Rückgang der Anzahl ungarischer Studenten und die Versetzung der Absolventen ins Altreich („Regat“), neben der zunehmenden Emigration und der sich häufenden Zahl der Selbstmorde von Ungarn habe ihr Denken zunehmend radikalisiert, schreibt Cs. Gyimesi über sich. Den simplen Dualismus der Securitate-Akten, bestehend aus dem Täter-Op­fer-Gegensatz, lehnt sie ab. Stattdessen möchte sie ihn in Anlehnung an den Tismăneanu-Be­richt von 2006 um den Begriff des Dissidenten erweitern. Laut diesem Bericht kann jemand nur dann als Dissident gelten, wenn er mit den politischen, ideologischen, wirtschaftlichen und moralischen Grundlagen einer Gesellschaft nicht einverstanden war und seine Kritik in einer größeren Öffentlichkeit als die seiner Freunde oder Familie kundtat. Cs. Gyimesi hatte Kontakte zu einem Kreis von ungarischen Intellektuellen, der 1983/83 die Untergrundzeitschrift Ellenpon­tok (Kontrapunk­te) herausgab. Sie organisierte nach 1984 einen Boykott gegen die Versetzung ungarischer Universitätsabsolventen ins Regat. Auch war sie nach 1985 Mitglied in mehreren Dissidentenzirkeln (Limes, „Kiáltó Szó“) und ergriff 1988-89 in Radio Free Europe Partei zu­gunsten der rumänischen Dissidentin Doina Cor­nea. Gyimesi ging es nicht um einen umfassender Systemwechsel, sondern eher um den Erhalt menschlicher Würde und ethnischer Identität in Siebenbürgen, den sie inmitten der nationalkom­munistischen Diktatur als gefährdet sah. Sie kritisierte daher die Auswanderung der Un­garn aus Rumänien und unterstützte selbst die vermeintlich unscheinbarste Tat (muttersprachlicher Unterricht, Publikation von Aufsätzen, Flugblätter usw.), die der Bewahrung dieser Identität dienen konnte.

Diese vielfältige Tätigkeit wird jetzt durch die Veröffentlichung ihrer Securitate-Akten dokumentiert. Die 2006 ausgehändigte Akte umfasst 278 kopierte Seiten und enthält Berichte aus dem Zeitraum 1975-1989 (mit Unterbrechun­gen). Nicht nur der bescheidene Umfang, sondern vor allem, dass viele ihrer Aktivitäten aus den 1980er Jahren von der Securitate offensichtlich unbemerkt geblieben waren, machten Cs. Gyi­mesi stutzig. Ihr Verdacht, dass ihre Akte entkernt wurde, ein Torso sei, bestätigte sich kurz vor Drucklegung des Buchs, als ihr weitere 1 444 Seiten überreicht wurden. In den vorliegenden Akten wurde Cs. Gyimesi von der Securitate mit mehreren Namen belegt (Coca, Elena usw.) ge­nauso wie die meisten ihrer Bekannten. Die hier veröffentlichten 94 Dokumente sind zumeist Abhörprotokolle ihrer Vorträge, Berichte über Hausdurchsuchungen und von Verhören, Berich­te der Securitate-Mitarbeiter, die sie verfolgten oder ihre Bekannte mehr oder weniger auffällig befragten. Aus den Zwischenberichten der Secu­ritate geht hervor, dass sie durchaus ein nützliches „Glied in der Kette“ war, in dem Sinne, dass der Securitate durch ihre Beschattung nützliche Informationen über die Gruppierungen innerhalb der ungarischen Minderheitselite zugänglich wurden (Kontaktpersonen, Pläne, Ängste usw.). Durch das Vorgehen gegen sie (Hausdurchsu­chungen, Konfiskation der Arbeiten, Publikati­onsverbot, wieder­holte Verhöre) wurde auch die Minderheit nachweislich eingeschüchtert. Dass die Securi­tate versucht hat, sie selbst in die Nähe des Ge­heimdienstes zu rücken und unglaubwürdig zu machen, diente ihrer Diskreditierung in den Reihen ihrer Unterstützer.

Cs. Gyimesi betont wiederholt, dass es ihr mit der Publikation ihrer Akte nicht um die Entlar­vung von Spitzeln und Mitarbeitern ginge, ob­wohl es ihr durchaus daran gelegen sei, über die Verantwortung derjenigen zu diskutieren, die die Diktatur gestützt hätten. Sie weigert sich jedoch, Pauschalurteile zu fällen, und bescheinigt etwa dem Leiter des Kriterion-Verlages, Géza Domo­kos (1928-2007), trotz einer Reihe von unumgehbaren Kompromissen für die Pu­blikation von sehr vielen, für alle Minderheiten wertvollen Büchern gesorgt zu haben. Auch in­nerhalb der Geheimdienstler differenziert sie zwischen den einfachen Berichterstattern, die unter Druck absichtlich etwas Belangloses aussagten, jenen, die sich bemühten, ihre wissenschaftliche Arbeit zumindest neutral oder positiv zu charakterisieren, sowie denjenigen, die ihr eindeutig schaden wollten. Indem Cs. Gyimesi auch sich selbst als „Glied in der Kette“ bezeichnet, verweist sie selbstkritisch auf den allumfassenden und vereinnahmenden Kontrollcharakter des Regimes, dem sich vollständig zu entziehen wohl kaum einem Intellektuellen vergönnt war, der auf die Gesellschaft einwirken wollte.

Verglichen mit der Publikation von Éva Cs. Gyimesi, die auch Eingaben, Briefwechsel und Memoranden enthält, ist die Veröffentlichung Béla Markós trotz ihres größeren Umfanges insgesamt farbloser. Der 1951 geborene Markó ver­öffentlichte bereits mehrere Gedichtbände, als die Securitate 1986 eine Untersuchungsakte über ihn eröffnete (Codename „Marian“). Die 1 218 Seiten, die er 2006 zur Einsicht bekam, enthalten die Abhörprotokolle der Telefon- und Privat­gespräche, welche die Securitate zwischen 1986 und 1989 in seiner Wohnung mitschnitt. Béla Markó vermutet in seinem kurzen Vorwort, dass das ihm übergebene Material unvollständig ist und irgendwo noch Akten über ihn lagern könnten. Den Anlass zur Eröffnung seiner Untersu­chungsakte bildete sein Interesse an der Ge­schichte Siebenbürgens, seine Unzufriedenheit mit den Ergebnissen der Plenarsitzung des Rates der Werktätigen deutscher und ungarischer Na­tionalität (Februar 1987) und seine Bemühungen, Lesungen ungarischer Autoren zu organisieren. Markó war zu diesem Zeitpunkt Redakteur der ungarischen Literaturzeitschrift Igaz Szó (Wah­res Wort) in Neumarkt am Mieresch (Târgu Mureș/Marosvásárhely). Ein „Maßnahmenplan“ der Securitate von März 1987 zeigt, dass man ihm auf Schritt auf Tritt folgte, seine Kontakte zu in- und ausländischen Kollegen überwachte und ihn vor seinen Kollegen diskreditieren bzw. marginalisieren wollte. Die im vorliegenden Buch veröffentlichten Abhörprotokolle ergeben ein detailgetreues Bewegungs- und Kontaktprofil Markós über drei Jahre hinweg, denn selbst wenn er nicht zu Hause war, teilten seine Fami­lienangehörigen den anrufenden Freunden, Kol­legen und Bekannten mit, wo und mit wem er unterwegs war. Auf diese Weise lassen sich auch aufschlussreiche Erkenntnisse über binnenungarische Netzwerkbildungen in und zwischen Neumarkt, Klausenburg und Bukarest nachvollziehen. Doch ist davon auszugehen, dass Markó und seine Familie um ihre Abhörung wussten, denn häufig vertrösteten sie die Freunde auf spätere Vieraugengespräche oder entfernten sich vom Abhörgerät, was der Protokollant je­weils bedauernd feststellt. Das erklärt, warum seine Akte nur wenig über oppositionelles oder ideologisches unerwünschtes Gedankengut verrät. Dennoch unterstellten die Securitate-Mitarbeiter in ihren Zwischenberichten Markó „irre­dentisti­sche Ansichten“. Das aber verrät eher die Be­fürchtungen der Securitate und ihren General­verdacht gegenüber der ungarischen Minderheit in den 1980er Jahren.

Aus heutiger Sicht bestürzend und für den Nachgeborenen überraschend ist die ethnische Selbstreferenzialität der damaligen ungarischen Akteure, die allenfalls Bezüge zur rumänischen Mehrheit zuließ. Sie verhinderte offensichtlich auch das Zustandekommen eines ge­meinsamen Auftretens und somit einer Min­derheitensolida­rität mit den Siebenbürger Sachsen. Dies kann freilich auch als Ergebnis der auf Spaltung ange­legten ideologischen, ethnischen und sozialen Unterdrückung im Rumänien der 1980er Jahre angesehen werden. Denn beide Bücher sind we­niger auf die Entlarvung von Securitate-Mitar­beitern angelegt als vielmehr auf die Vergegen­wärtigung des menschenunwürdigen und totalitären Überwa­chungscharakters des nationalkommunistischen Unrechtsregimes. Daher ist es gewiss kein Zufall, dass beide „Zielpersonen“ (so die Bezeichnung Markós in den Akten) in ihrer Einleitung auf die heutige Gefahr der über­triebenen Überwachung und der Verletzung der Privatsphäre im Namen einer „allgemeinen Si­cherheit“ verweisen. Das verbindet Cs. Gyimesi mit Markó, selbst wenn Erstere Anfang der 1990er Jahre auf Grund ihrer liberalen politischen Ansichten innerhalb der Ungarn marginalisiert wurde, während Markó 1992 zum Vor­sitzenden des Ungarischen Minderheitenver­bandes aufstieg.

Franz Sz. Horváth



Cs. Gyimesi Éva: „Szem a láncban. Bevezetés a szekusdossziék hermeneutikájába“. Kolozsvár 2009 [Glied in der Kette. Einführung in die Hermeneutik der Securitate-Akten]. 284 Sei­ten, ca. 30 Lei, ISBN 978-973-1960-00-5

Markó Béla: „Egy irredenta hétköznapjai“. (Lehallgatási jegyzőkönyvek, 1986. április – 1989. december). Csíkszereda 2009 [Der All­tag eines Irredentisten. Abhörprotokolle von April 1986 bis Dezember 1989]. 472 Seiten, 61,40 Lei, ISBN 978-973-665-257-8.

Schlagwörter: Securitate, Ungarn, Neuerscheinungen, Rezension

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Neueste Kommentare

  • 08.12.2009, 23:52 Uhr von Lavinia: Ein interessanter Blick auf "Das Leben der Anderen"... (großen Minderheit Rumäniens). Mitarbeit ... [weiter]

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