5. Dezember 2009
Im Donbass deportiert
Wer nachlesen will, wie schnell ein Junge erwachsen werden kann bzw. muss, auch wenn er noch nicht ausgewachsen ist (der Autor wuchs in der Ukraine noch 20 Zentimeter), dem ist dieses Buch von Mathias Kandler zu empfehlen. Er wurde zur Zwangsarbeit in ein sowjetischer Lager mit 700 Insassen deportiert, von denen 500 Siebenbürger Sachsen waren.
Ein weiteres Buch zur Deportation in die Sowjetunion, aber eine andere Stimme, die eines Halbwüchsigen, die sich rasch zur Männerstimme entwickelt, zu einem starken, selbstbewussten und eigenwilligen Kämpfer ums Überleben. Die vier Jahre und zehn Monate (1945-1949) in den Hüttenwerken der Ukraine als „Internierter“ Nr. 657, die Zeit der Zwangsverschleppung in die rumänische Bărăgan-Steppe und von dort direkt zur rumänischen Arbeitsarmee nach Bukarest haben den jungen Mann – wie andere, die den Gulag überlebt haben – nicht nur tief in seiner Wesensart geprägt, sondern auch „gestählt“.
Kandler stellt seine Erinnerungen in einen größeren Rahmen. Sie sind eingebettet in die Kindheitsjahre im Heimatort Johannisfeld und behandeln auch die misslungene und miserabel organisierte Flucht vor der Roten Armee im Herbst 1944 in der Grenzzone, die folgenschwer war, aber nur für ein paar Kilometer Weg ins Serbischbanater Modosch gereicht hatte. Sie führen, als Schlussteil kürzer gefasst, über die Jahre bis zu seiner zweiten Zwangsverschleppung (Juni 1951) in die Bărăgan-Steppe, aus der er dann zum Arbeits-Militärdienst nach Bukarest zwangsrekrutiert wurde. Sein Buch zählt zu den wenigen Büchern zu diesem Thema, das den Rahmen so weit über die Heimkehr (in Sighet am 12. November 1949) spannt und die schwierige Zeit danach darstellt: die Versuche, wieder Heimat und Anschluss zu finden nach der langen Abwesenheit, die alle Betroffenen mehr oder weniger stark und nachhaltig gezeichnet hatte. Die Memoiren bieten vielschichtigen Einblick in diese Umbruchjahre, in den Wandel in allen Bereichen der Dorfgemeinschaft und darüber hinaus.
Die schwierigste Zeit, die langen ersten Jahre immer „nur ein Schritt vor dem Verhungern“ im Großlagersystem Kramatorsk, wo im Hüttenwerk pro Schicht Tausende Menschen schufteten, macht den Kernteil des Buches aus. Es ist ein hautnaher Dokumentationsbeitrag zum System des kommunistischen Gulag in der Sowjetunion. Sehr ausführlich, korrekt und sachlich bis in technische Details wird die harte, ungewohnte Arbeit unter unmenschlichen Bedingungen, ohne Ausrüstung, Kleidung oder Werkzeug unter widrigen klimatischen und hygienischen Bedingungen beschrieben; ebenso ist das Leben im Lager mit seinen Nöten und menschlichen Schwächen bis hin zu kriminellem Verhalten festgehalten. Immer wieder wird der Schutzengel erwähnt, dann, wenn der Autor letztendlich wieder mit dem Leben davonkommt oder ein Siebenbürger Sachse ihm das Leben rettet. Kandler streut wiederholt in den Erinnerungsstrang Vor- und Rückblenden ein zu Menschen und Orten, von denen viele angeführt sind, von Agnetheln über Billed bis nach Gleiwitz und Mähren.
Der jetzt 80-jährige Maschinenbauingenieur im Ruhestand hatte dieses Erinnerungsbuch unter dem Titel „Schwob in Not“ ursprünglich in Mundart für die Familie niedergeschrieben, mit großer Detailfreude, was es in der veröffentlichten Form und reich illustriert vor allem für die junge Generation zu einem Dokument macht. Auch für jene, die seinerzeit keine Geduld und Zeit hatten, den eigenen betroffenen Angehörigen, die nun nicht mehr sind und nicht mehr gefragt werden können, zuzuhören. Kandler gehörte mit 15 Jahren zu den Jüngsten, die damals zwangsverschleppt wurden und hätte eigentlich nicht dabei sein müssen. Aber allein aus seinem Heimatort Johannisfeld waren jeweils zehn Mädchen und Jungen, die Erstgeborenen seines Jahrgangs, betroffen.
Kandler stellt seine Erinnerungen in einen größeren Rahmen. Sie sind eingebettet in die Kindheitsjahre im Heimatort Johannisfeld und behandeln auch die misslungene und miserabel organisierte Flucht vor der Roten Armee im Herbst 1944 in der Grenzzone, die folgenschwer war, aber nur für ein paar Kilometer Weg ins Serbischbanater Modosch gereicht hatte. Sie führen, als Schlussteil kürzer gefasst, über die Jahre bis zu seiner zweiten Zwangsverschleppung (Juni 1951) in die Bărăgan-Steppe, aus der er dann zum Arbeits-Militärdienst nach Bukarest zwangsrekrutiert wurde. Sein Buch zählt zu den wenigen Büchern zu diesem Thema, das den Rahmen so weit über die Heimkehr (in Sighet am 12. November 1949) spannt und die schwierige Zeit danach darstellt: die Versuche, wieder Heimat und Anschluss zu finden nach der langen Abwesenheit, die alle Betroffenen mehr oder weniger stark und nachhaltig gezeichnet hatte. Die Memoiren bieten vielschichtigen Einblick in diese Umbruchjahre, in den Wandel in allen Bereichen der Dorfgemeinschaft und darüber hinaus.
Die schwierigste Zeit, die langen ersten Jahre immer „nur ein Schritt vor dem Verhungern“ im Großlagersystem Kramatorsk, wo im Hüttenwerk pro Schicht Tausende Menschen schufteten, macht den Kernteil des Buches aus. Es ist ein hautnaher Dokumentationsbeitrag zum System des kommunistischen Gulag in der Sowjetunion. Sehr ausführlich, korrekt und sachlich bis in technische Details wird die harte, ungewohnte Arbeit unter unmenschlichen Bedingungen, ohne Ausrüstung, Kleidung oder Werkzeug unter widrigen klimatischen und hygienischen Bedingungen beschrieben; ebenso ist das Leben im Lager mit seinen Nöten und menschlichen Schwächen bis hin zu kriminellem Verhalten festgehalten. Immer wieder wird der Schutzengel erwähnt, dann, wenn der Autor letztendlich wieder mit dem Leben davonkommt oder ein Siebenbürger Sachse ihm das Leben rettet. Kandler streut wiederholt in den Erinnerungsstrang Vor- und Rückblenden ein zu Menschen und Orten, von denen viele angeführt sind, von Agnetheln über Billed bis nach Gleiwitz und Mähren.
Der jetzt 80-jährige Maschinenbauingenieur im Ruhestand hatte dieses Erinnerungsbuch unter dem Titel „Schwob in Not“ ursprünglich in Mundart für die Familie niedergeschrieben, mit großer Detailfreude, was es in der veröffentlichten Form und reich illustriert vor allem für die junge Generation zu einem Dokument macht. Auch für jene, die seinerzeit keine Geduld und Zeit hatten, den eigenen betroffenen Angehörigen, die nun nicht mehr sind und nicht mehr gefragt werden können, zuzuhören. Kandler gehörte mit 15 Jahren zu den Jüngsten, die damals zwangsverschleppt wurden und hätte eigentlich nicht dabei sein müssen. Aber allein aus seinem Heimatort Johannisfeld waren jeweils zehn Mädchen und Jungen, die Erstgeborenen seines Jahrgangs, betroffen.
L. Geier
Mathias J. Kandler, „Nr. 657. Im Donbass deportiert. 1945-1949. Russlanderinnerungen“, Farca Verlag, Villingen-Schwenningen, 2009, 540 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-9803759-5-5. Bezug über Farca Verlag, An der Kapelle 4, 78050 Villingen-Schwenningen, Telefon: (0 77 21) 5 73 39, Fax: (0 77 21) 50 88 13, E-Mail: info[ät]farca-verlag.de.
Mathias J Kandler
Nr. 657. Im Donbass deportiert: 1945-1949 Russlanderinnerungen
Farca, O
Gebundene Ausgabe
EUR 22,90
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Schlagwörter: Deportation, Banater, Rezension
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