8. Mai 2010

Wenn in Bukarest der Postmann zweimal klingelt: Zehn Jahre Filmfestival „Go East“

„Go East“, eigentlich „Come West“, wie die hessische Kulturdezernentin am letzten Festivalabend im Jugendstilkino Caligari in Wiesbaden betonte, feierte in diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum – ein leises Feiern, das mit dem Motto des „Immer-Weiter-so“ verbunden wurde. Die Filmemacher, die bei diesem Festival ihre Dokumentar- und Spielfilme vorstellten, repräsentierten 35 Länder Mittel- und Osteuropas. Mit der „Aschewolke“ hatte das Festival am Dienstag, dem 20. April, begonnen und nach sieben Spieltagen wurden die besten Wettbewerbsfilme ausgezeichnet.
Wladimir Kaminer moderierte die Abschlussveranstaltung und sagte in zugespitztem Ton zum Abschied, dass schon Lenin damals (1924) gesagt hatte, dass bei soviel Analphabetismus in Russland zur Bildung, Erziehung und Unterhaltung nur das Kino und der Zirkus bleibt. Das Kino aber habe gesiegt. Die Filmemacher sind die neuen Bildungsmacher der Gegenwart. Man denke da nicht nur an die Hollywoodfilme mit Batman, Superman, Alice im Wunderland, die den Heranwachsenden als Vorbilder dienen.

Dagegen schwimmen die Filme der osteuropäischen Regisseure zurzeit auf der „Nouvelle Vague“ mit ihren überwiegend realistischen Bildern des Alltags einer Gesellschaft, die immer noch, auch zwanzig Jahre nach dem Zerfall der kommunistischen Diktatur, auf der Suche nach Lebenszweck, Lebensinhalt und ihrer Identität ist. Die Absurdität des Idealismus und die Würde des Absurden sind die Themen dieser manchmal etwas unakademischen Filme: Bilder wie die des georgischen Regisseurs Koguaschwili über den Überlebenskampf eines Drogensüchtigen in Tiflis, die Geschichte des russischen Regisseurs Popogrebski, „How I Ended This Summer“, über das Dasein in der Einsamkeit auf einer verlassenen Wetterstation in Tschukotka im Norden Russlands, die ungarische Geschichte „Transmission“ des Regisseurs Vranik, eine Erzählung in einer fiktiven Zukunft an einem fiktiven Ort an einer Meeresküste (die Ungarn gar nicht hat) als Spiegelbild möglicher Missverständnisse in einer Gesellschaft, die durch nichkommunikatives Umgehen untergeht, oder die Lebenswelt eines alternden Ehepaares im Nordwesten Rumäniens auf dem Land in „Constantin und Elena“ von Andrei Dăscălescu, eine rumänisch-spanische Koproduktion von 2009, dominieren in den Filmen der Osteuropäer. Der Gewinner der Goldenen Lilie war der Film „Auf der Straße“ des Georgiers Lewan Koguaschwili. Die internationale Jury sowie das Auswärtige Amt zeichneten den russischen Film „How I Ended This Summer“ aus. Der israelische Dokumentarfilm „Oy Mama“ gewann den Preis für den besten Dokumentarfilm.

Die Geschichte „Ehrenmedaille“ (Medalia de Onoare, Rumänien/Deutschland 2009) des Regisseurs Călin Peter Netzer führt den Besucher in den Alltag eines Bohemien-Ehepaares in Bukarest im Jahr 1995. Hauptdarsteller ist Victor Rebengiuc, der überzeugend echt das Bild des Rentners Ion I. Ion verkörpert. Wenn der Postmann zweimal klingelt am Apartment des Rentners Ion, verhilft ihm dieser aufgrund einer Namensverwechslung zu unerhofften Ehren, da er per Brief die Zuteilung einer Medaille für Verdienste als vermeintlicher Soldat während des Zweiten Weltkrieges erhält. Rentner Ion findet sich alsbald perfekt in diese Rolle ein, da ihm diese Ehrung zur Wiederherstellung des verlorenen Vertrauens in seiner Familie verhilft. Das Ende jedoch ist offen: Ion I. Ion sitzt am Ende versöhnt mit seiner Familie zusammen und sieht ratlos von der Leinwand auf den Zuschauer.

Rebengiuc wurde lobend erwähnt von der Festivaljury für seine „herausragende Leistung“ als Schauspieler. Călin Peter Netzer bedankte sich stellvertretend für den Schauspieler, der wegen Bühnenengagements in Bukarest nicht anwesend sein konnte. Netzer, ein junger, aus Rumänien kommender Regisseur, dessen Familie aus Petroșani stammt, wo er auch geboren ist, erzählte von seiner deutschen Großmutter, deren Geburtsort er jedoch nicht kennt. Ausgereist 1984, kehrt Netzer zum Studium der Filmwissenschaften nach Bukarest zurück und dreht 1997 seinen ersten Film „Maria“, der bei den Festspielen in Locarno einen Preis holte. Victor Rebengiuc war sein Lektor an der Filmhochschule. Deswegen sei es stets sein sehnlichster Wunsch gewesen mit Rebengiuc einen Film zu drehen, um dessen herausragende Schauspielerleistung in Theater und Film in einer Rolle auf der Leinwand zu vermitteln. „Ehrenmedaille“, dessen Drehbuch jedoch nicht von Netzer stammt, gab ihm diese Möglichkeit. Szenen, die das Filmteam bis zu zwanzig Mal drehen musste, waren für den erfahrenen Rebengiuc kein Problem, so Netzer. Er blieb stets der Gleiche in seinem Ausdruck. Bereits 2003 war der Schauspieler in Wiesbaden anwesend beim Festival mit seinem Film „Niki Ardelean“ in der Regie von Lucian Pintilie sowie mit dem Kurzfilm „Un cartuș de kent și un pachet de cafea” (2004).

Neben vielen anderen war einer der Hauptsponsoren für junge Filmemacher die Robert-Bosch-Stiftung, die mehreren Produktionsteams Förderpreise zuerkannte, unter anderem auch dem moldawisch-deutschen Team für den Film „Anihida”.

Katharina Kilzer

Schlagwörter: Film, Jubiläum, Osteuropa, Festival

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