31. Dezember 2006

135 Jahre Verein der Siebenbürger Sachsen in Graz

Mit einer Festveranstaltung feierte der Verein der Siebenbürger Sachsen in Graz am 11. November sein 135-jähriges Jubiläum. Den Festvortrag hielt Mag. Volker Petri, Vorsitzender des Bundesverbands der Siebenbürger Sachsen in Österreich. Lesen Sie im Folgenden eine Kurzfassung dieses Vortrags.
Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Obmann, liebe Landsleute! Heute feiern wir das 135-jährige Jubiläum der Gründung des „Vereins der Siebenbürger Sachsen in Graz! Ein feierlicher Anlass, wie dieser heute nötigt zum Rückblick einerseits und fordert anderseits auch zum Ausblick. Vier wesentliche geschichtliche Epochen haben das Vereinsleben auch hier vor Ort geprägt:

I. Die Zeit 1871-1919, Zeit der Doppelmonarchie Österreich-Ungarns mit all ihren nationalen und bürgerlichen Revolten, die auch uns Siebenbürger Sachsen in der Heimat und im Ausland existenziell betrafen. Damals ging es vor allem um das Überleben unserer Minderheit in der ungarisch dominierten Reichshälfte.

Es war die Zeit der massiven Magyarisierungsversuche, die unser Geschichtsbewusstsein weckte und unsere nationale Identität wohl zum ersten Mal in einer noch nie so deutlich gezeigten Weise hervorhob. Unsere Volkskultur als Teil der deutschen Kultur wurde bewusst gemacht und trug zu jener Identität von sächsisch und evangelisch bei, die uns charakterisieren sollte und auch das Überleben im realen Sozialismus möglich machte. Diese neue Identitätsfindung wurde bestimmt von unserer Großväter- und Urgroßvätergeneration hier in Graz und Wien mitgeprägt. Sie waren es auch, die das Anliegen der Siebenbürger Sachsen aus der ungarischen Reichshälfte in Österreich und vor allem in Wien artikulierten und ins Bewusstsein der österreichischen Verantwortlichen hoben.

II. Die Zeit 1920-1945, als Siebenbürgen Teil Großrumäniens wurde und ganz neue Herausforderungen für die Siebenbürger Sachsen mit sich brachte. Aus der Distanz einerseits und den lebendigen Beziehungen zur Heimat andererseits konnten sie wohl andere, neue Perspektiven bieten. Nicht zu vergessen, dass es einigen unserer Landsleute in Wien, wohl auch in Graz zu verdanken ist, dass sie die Not der Wiener Bevölkerung in den zwanziger Jahren in Siebenbürgen so authentisch vermitteln konnten, dass es zu jener großen Hilfslieferung an Lebensgütern kam, die in die Geschichte einging. Das Trauma des Zusammenbruches der Monarchie und die neuen Herausforderungen in dem nach französischem Muster zentral geführten Rumänien beschäftigten die hier in Graz studierenden Siebenbürger Sachsen und all jene, die in Graz heimisch geworden waren.

III. 1945 bis heute. Der furchtbare II. Weltkrieg mit all seine Implikationen auch für uns, die Siebenbürger Sachsen, löste eine neue Epoche aus. Unter den vielen Flüchtlingen der Nachkriegszeit befanden sich auch Siebenbürger Sachsen, die dem auf Sparflamme lebenden „Verein der Siebenbürger Sachsen in Graz“ neue Mitglieder zuführte und eine große Herausforderung an ihn darstellte. Es waren keine geschlossenen Dorfgemeinschaften, die hier landeten, sondern vom Kriegsende und den neuen politischen Gegebenheiten in Siebenbürgen zum Bleiben gezwungene einstige Landsleute aus der Wehrmacht und Waffen-SS und später zu ihnen gestoßene Familienmitglieder. Um existenzielle Hilfe ging es, um Überleben und Neuanfang. Es ging um die Sammlung der Landsleute aus der ganzen Steiermark, in welcher sie versprengt lebten. Die herausfordernden Fragen galten den Wohnungen, Arbeitsplätzen und der Zukunft. Der Verein bot Gemeinschaftsleben und den Austausch wichtiger Informationen sowie gegenseitige Hilfe. Vorträge und Vereinsabende sammelten die Zerstreuten und halfen bei der Heimatfindung in Österreich. Unter dem Obmann Dr. Zikeli konnten einige Landsleute in den neu gebauten Wohnblocks am Witekweg 8-10 ein neues Zuhause finden. Holzfleischessen, Adventfeiern und Faschingskränzchen halten bis heute das Vereinsleben lebendig und humanitäre Hilfen nach Siebenbürgen zeigen, dass auch dieser Verein unsere in Not lebenden Landsleute in der alten Heimat nicht vergessen hat. Uns alle bewegt heute die Frage nach der Zukunft dieses traditionsreichen Vereins, dem der Generationswechsel sichtbar, wie so vielen anderen, zu schaffen macht. Wird es gelingen, die „dritte Generation“ in unsere gemeinschaftliche und kulturelle Arbeit zu integrieren und durch sie neue Impulse zu empfangen?

Ab dem 1. Januar 2007 erfolgt der Beitritt Rumäniens in die EU; er kann meines Erachtens neue Wege eröffnen, um unseren Kindern und Enkelkindern die alte Heimat, ihre Geschichte und die damit verbundenen Prägungen vor Ort zu vermitteln und ihr Engagement einzufordern und Identität zu vermitteln. Auf diesem neuen Weg in die Zukunft brauchen wir viel Feingefühl und offene Ohren, Augen und Herzen. Vielleicht gelingt es, dass der Verein in Graz und viele andere die neuen Wege finden und gehen können. Gerade auch die Zugehörigkeit zur kleinen Evangelischen Kirche in Österreich bietet übersichtliche Gemeinschaftsstrukturen, spirituelle Kraft und durch das protestantische Prinzip Einsatz und Willen zur Umgestaltung der Welt und Gesellschaft. Unsere starke Familienzusammengehörigkeit, das ausgeprägte Gemeinschaftsgefühl bietet eine Alternative zu dem sich selbst ad absurdum führenden Egoismus und Individualismus. Unser Kultur- und Traditionsbewusstsein kann wertvolles Steinchen im Mosaik österreichischer Kultur sein. Unser starkes Geschichtsbewusstsein kann bei der Zukunftsgestaltung segensreich mitwirken und, die beiden Heimaten im Herzen, europäisches Leben anschaulich machen.

Volker Petri, Bundesobmann

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 20 vom 20. Dezember 2006, Seite 22)

Schlagwörter: Österreich, Jubiläum

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