15. September 2012

10 000 Euro Entschädigung für Zwangsarbeit in Russland

Das Tribunal Bukarest hat durch ein am 22. August 2012 zugestelltes Urteil einer im Januar 1945 für fünf Jahre zu Zwangsarbeit nach Russland verschleppten Siebenbürger Sächsin 10 000 Euro Entschädigung zu Lasten des rumänischen Staates zugesprochen (Urteil 441/2012 in der Akte 52663/3/2010). Die Generalstaatsanwaltschaft Rumäniens strebt eine allgemeine Klärung der nicht einheitlichen Rechtsprechung der Gerichte an und erhebt „Rekurs im Interesse des Gesetzes“ vor dem Obersten Gerichtshof des Landes.
In einer umfassend begründeten Entscheidung des für Betroffene mit Wohnsitz im Ausland zuständigen Tribunals in Bukarest wurde erneut festgestellt, dass die Verschleppung rumänischer Staatsangehöriger deutscher Volkszugehörigkeit durch die Behörden des rumänischen Staates im Januar 1945 zu Zwangsarbeit nach Russland eine politische Verfolgung im Verantwortungsbereich des rumänischen Staates darstellt. Gleichzeitig wurde der rumänische Staat verpflichtet, der Betroffenen „10 000 Euro für nicht materielle Schäden, zahlbar als Gegenwert in Lei zum Zeitpunkt der Auszahlung“ zu zahlen. Gegen diese Entscheidung kann der rumänische Staat Rechtsmittel einlegen. Nach bisher oft ablehnenden Entscheidungen (vgl. „Entschädigung politischer Verfolgung“) stellt dieses Urteil eine positive Abweichung dar und bestätigt eine Haftung des Staates für derartiges Unrecht und den Vorrang von europäischem Recht nach der Aufhebung der entsprechenden Zahlvorschrift (Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes 221/2009) durch das rumänische Verfassungsgericht (s. „Entschädigungsrecht neu beurteilt“).

In seiner Begründung betonte das Gericht, dass der hier vorliegende Angriff auf „die Freiheit einer Person als vom Gesetz geschützter gesellschaftlicher Wert“ eine Verletzung der Menschenwürde darstelle, die den Staat als Urheber dieser Verletzung zum Schadensersatz verpflichte. Gleichzeitig bestätigte das Gericht die Verantwortung des rumänischen Staates für diese Maßnahme. Damit verwarf es den Einwand der Staatsanwaltschaft, die Maßnahme sei nicht von Organen des rumänischen Staates durchgeführt worden, sondern als „Kriegsfolge“ einzustufen. Die Behörden des rumänischen Innenministeriums hätten – so die Feststellungen des Gerichtes anhand der Unterlagen, die von der Klägerin vorgelegt werden konnten – schon durch die Anordnung 32475 vom 3. Januar 1945 verfügt, dass „alle Männer zwischen 17 und 45 Jahren“ sowie „alle Frauen zwischen 18 und 30 Jahren“ zu internieren wären. Daraus könne man keinesfalls schließen, dass die rumänischen Behörden nicht Urheber der Maßnahme gewesen seien. Zudem habe das rumänische Innenministerium auch nach dem im Gesetz festgelegten Zeitraum, nämlich durch Anordnung (Zirkularanweisung) 34376 vom 29. März 1945 die Verschleppung weiter betrieben und sogar Maßnahmen gegen diejenigen angeordnet, die sich einer Verschleppung entzogen hätten. Letztlich habe sich das Unrecht der Verschleppung ganz überwiegend erst nach dem 6. März 1945 verwirklicht, so dass eine Verantwortung des rumänischen Staates unbestreitbar sei.

In der rechtlichen Würdigung stellte das Gericht fest, dass für diesen Personenkreis noch keine ausreichenden Entschädigungsregeln vorhanden seien. Auch entspreche die Entschädigungsverpflichtung für Maßnahmen dieser Art den Grundsätzen des europäischen Rechtes. In Abgrenzung zu den ablehnenden Entscheidungen des rumänischen Verfassungsgerichtes betonte das Tribunal, dass immer dann, wenn eine „Diskrepanz“ zwischen Verpflichtungen nach europäischem Recht und der nationalen Rechtslage bestehe, wie diese durch die Entscheidungen des Verfassungsgerichtes entstanden sei, das Gericht selbst das vorrangige europäische Recht anzuwenden habe. In seiner 20-seitigen Begründung legte das Gericht dann anhand von sechs europäischen Schutzvorschriften dar, dass sich eine Verpflichtung zu effektivem Schutz der Betroffenen vor derartigen Maßnahmen durch den Staat sowie ein Anspruch auf angemessene Entschädigung bei Verstößen ergebe. Unter „Beobachtung der physischen und psychischen Leiden, denen die Betroffene unterzogen worden ist und in Anbetracht der geschilderten Bedingungen während der Deportation“ bewertete das Gericht eine Entschädigung in Höhe von 10 000 Euro als „angemessen“ und verpflichtete den Staat zur Zahlung.

Dieses Urteil kann laut geltendem Recht innerhalb von zwei Wochen mit Rechtsmitteln angegriffen werden. Es ist zu erwarten, dass der rumänische Staat durch das zuständige Finanzministerium gegen diese Entscheidung alle möglichen Rechtsmittel einlegen wird.

Am 4. September 2012 hat die Generalstaatsanwältin Rumäniens, Laura Kövesi, zur „Klärung der uneinheitlichen Rechtslage“ ein Prüfungsverfahren vor dem obersten Gerichtshof Rumäniens eingeleitet (Nr. 1344/C/5993/III-5/2011; 218/C/995/III-5/2012). In diesem Verfahren stellt sie die beiden gegeneinanderstehenden Rechtsauffassungen gegenüber, spricht sich aber gegen eine Anerkennung der Verschleppung nach Russland als politische Verfolgung aus. Dies begründet sie damit, dass die Verschleppung „eine Maßnahme der sowjetischen Besatzungstruppen, die sich auf dem Gebiet Rumäniens als Feindesland befunden haben, gewesen ist“ und dass es sich dabei um eine „Repressalie gegen Nazideutschland und dessen Verbündete“ gehandelt habe, die „den Zweck des Wiederaufbaus der Sowjetunion als Kriegsreparation zum Ziel“ gehabt hätte. Rumänien hingegen habe nur „eine provisorische Regierung mit beschränkten Kompetenzen“ gehabt und könne daher für die Maßnahme nichts. Im Ergebnis sei die Verschleppung eher mit Kriegsgefangenschaft zu vergleichen, für die es ebenfalls keine Entschädigung gebe.

Damit beweist die Generalstaatanwaltschaft Rumäniens nicht nur ein fragwürdiges Geschichtsverständnis, sondern zeigt wenig Bereitschaft zu differenzierter und sachgerechter Betrachtung: Die Verschleppung von Zivilpersonen durch die Organe des eigenen Landes, der rumänischen Gendarmerie und des Innenministeriums – selbst mit Hilfe oder auf Anforderung der damals mit Rumänien verbündeten und nicht etwa „feindlichen“ Sowjetunion – aus ethnisch motivierten Gründen ist keinesfalls mit „Kriegsgefangenschaft“ vergleichbar.

Es bleibt zu hoffen, dass baldmöglichst eine abschließende Klärung in die seit Jahren offene Entschädigungsfrage für die Verschleppung von Zivilpersonen deutscher Volkszugehörigkeit durch rumänische Dienststellen zur Zwangsarbeit nach Russland kommt und Betroffene nicht weiter mit derartigen Rechtfertigungsversuchen staatlicher Behörden konfrontiert werden. Das zu begrüßende Urteil des Tribunals Bukarest zeigt: Es geht auch anders!

Dr. Bernd Fabritius

Schlagwörter: Rechtsfragen, Entschädigung, Russlanddeportation

Bewerten:

47 Bewertungen: ++

Neueste Kommentare

  • 16.09.2012, 21:42 Uhr von Schreiber: Frau Kövesi hat im Geschichtsunterricht wohl gepennt und vergisst, was sie als Rumänin am 23.8. als ... [weiter]

Artikel wurde 1 mal kommentiert.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.