21. November 2012

"Kunstwerk" Johanniskirche in Hermannstadt

Die Johanniskirche gehört zu den jüngeren Sakralbauten in Hermannstadt und steht gewöhnlich im Schatten der großen Stadtpfarrkirchen. Anlässlich des 100. Jubiläums seit der Einweihung am 10. November 1912 organisierten die evangelische Gemeinde Hermannstadt und die Leitung des benachbarten Kultur- und Begegnungszentrums „Friedrich Teutsch“ am Jahrestag eine Reihe von Veranstaltungen. Einer der Höhepunkte war die Eröffnung einer Ausstellung mit Fotografien aus dem Nachlass der Brüder Emil und Josef Fischer.
Für Frank-Thomas Ziegler ist die Johanniskirche ein „Kunstwerk“. Der Kustos der Stadtpfarrgemeinde hielt im Rahmen des Festgottesdienstes einen kenntnisreichen Vortrag über die Geschichte des Bauwerkes. Für den Neubau schrieb das Landeskonsistorium seinerzeit einen Architekturwettbewerb aus, den der Hermann­städter Architekt Josef Bedeus von Scharberg für sich entschied. „Er hat versucht, eine neue Nüchternheit einzubringen“, sagte Ziegler. Gleichzeitig gab es auf Wunsch des Presbyteriums Rückgriffe auf die siebenbürgisch-sächsische Sakraltradition, beispielsweise durch die Verwendung von Weinlaub als Schmuckornament oder den Einbau gestifteter Fenster.

Die Kirche selbst gehört zum Ensemble des Ende des 19. Jahrhunderts errichteten Waisenhauses auf dem Soldisch-Grund, in dem sich heute das Teutsch-Haus befindet. Anfangs diente die Kirche den Bewohnern des Waisenhauses als Betstätte, sagte Bischof Reinhart Guib in seiner Predigt, in kommunistischer Zeit organisierte die evangelische Gemeinde hier Kindergottesdienste. Nach dem Umzug der Fakultät für evangelische Theologie nach Hermannstadt im Jahr 1955 wurde die Kirche das Probierfeld für Theologiestudenten. Eine weitere Nutzungserweiterung erfuhr sie ab 2003 mit der Eröffnung des Kultur- und Begegnungszentrums „Friedrich Teutsch“. Seitdem dient sie als Hort für Kunst- und Kulturgegenstände, beispielsweise das Henndorfer Taufbecken, den Flügelaltar aus Radeln, die Orgel aus Hadad oder ein Kreuzigungsbild von Katharina Zipser-Hienz.

Von Josef Bedeus von Scharberg, dem Erbauer der ...
Von Josef Bedeus von Scharberg, dem Erbauer der Johanniskirche, gestiftetes Glasfenster (1912). Foto: Konrad Klein
„Dass Kirchen 100 Jahre alt werden, scheint selbstverständlich angesichts unseres reichen Kulturerbes. Die Johanniskirche zeigt, dass es das nicht ist“, sagte Guib in seiner Predigt. Die heutige Johanniskirche ist nämlich bereits der zweite sakrale Bau an diesem Platz. Die erste Kirche, die im Jahr 1883 eingeweiht wurde, zeigte nach 16 Jahren bereits armdicke Risse, so dass der Bau schließlich aus Sicherheitsgründen abgerissen wurde. Dasselbe Schicksal hätte beinahe auch die originale Orgel der Firma Wilhelm Sauer aus Frankfurt an der Oder aus dem Jahr 1926 ereilt. Noch vor wenigen Jahren wollte die Gemeinde das derzeit nicht spielbare Instrument verkaufen. Zur Jubiläumsfeier stellte Gemeindekantorin Ursula Philippi eine Postkarte vor, mit der man um Spenden für die Orgelrestaurierung werben möchte.

Philippi lud später zu dem musikalisch-informativen Vortrag „Aus alten siebenbürgischen Manuskripten“, in dem sie ausgewählte historische Musikstücke vorstellte und an der Orgel vorspielte. Zuvor sprach Monica Vlaicu, Mitarbeiterin des Zentralarchivs der evangelischen Kirche im Teutsch-Haus und vormalige Leiterin des Hermannstädter Staatsarchivs, über die Archivgeschichte der evangelischen Kirche.

Zur Mittagszeit wurde im Teutsch-Haus die Fotoausstellung „Jenseits des Verschwindens. Aus dem fotografischen Nachlass der Gebrüder Fischer, Hermannstadt“ eingeweiht. Der Nachlass, der 2009 von Ortspfarrer Dr. Stefan Cosoroabă auf dem Dachboden des Michelsberger Pfarrhauses gefunden wurde, umfasst mehr als 12000 Fotografien, Negative und Glasplatten. Aus diesem Fundus wählte Kurator Christian Lindhorst 50 Bilder für die Ausstellung, die bis zum 28. Februar 2013 geöffnet ist.
Gerhild Rudolf, Leiterin des Teutsch-Hauses, ...
Gerhild Rudolf, Leiterin des Teutsch-Hauses, begrüßt die Besucher der Fischer-Ausstellung (im Hintergrund v.l. Christian Lindhorst und Konrad Klein). Foto: Dana Ackermann
Die als Wanderausstellung gedachte Schau sei mit dem Blick des außenstehenden Kulturwissenschaftlers konzipiert worden, meinte Lindhorst. Sie ist das Ergebnis eines unter dem früheren Leiter des Teutsch-Hauses, Dr. Wolfram Theilemann, ausgearbeiteten Projektes zur Aufarbeitung des Fischer-Nachlasses, berichtete die amtierende Leiterin Gerhild Rudolf. Finanziell unterstützt wurde das Projekt von der Edith-Haberland-Wagner Stiftung.

Erst bei der archivarischen Aufbereitung des Materials entdeckte man die Bedeutung des Zufallsfundes, der den bekannten Hermannstädter Fotografen Emil (1873-1965) und Josef Fischer (1898-1985) zuzuschreiben war. Unter den Bildern befinden sich zudem rund 300 Aufnahmen von besonderer „ästhetischer und dokumentarischer Qualität“ von Oskar Pastior sen., dem Vater des Lyrikers Pastior.

Wissenschaftlich begleitet wurde das Ausstellungsprojekt von Konrad Klein, einem Kenner der siebenbürgischen Fotografie. Dieser verfasste einen lesenswerten Beitrag über die Brüder Fischer sowie den Bilderfundus für den Ausstellungskatalog, der im Schiller-Verlag erschienen ist. Leider fehlen in der Ausstellung Aufnahmen von Emil Fischer, und das obwohl im Katalog die im Nachlass vorhandenen zeithistorisch-dokumentarischen Arbeiten E. Fischers gewürdigt werden, beispielsweise aus der „Gruppe von Fotos mit Sonderstatus“, die offizielle Anlässe um 1939 mit Bischof Viktor Glondys zeigen.

Der im Zentralarchiv der evangelischen Kirche A.B. in Rumänien aufbewahrte Fotonachlass ist laut Konrad Klein ein bedeutender Teil des siebenbürgischen Bildgedächtnisses, der zu weiteren Forschungen, Ausstellungen und Publikationen einlade.

Holger Wermke

Schlagwörter: Kirche, Hermannstadt, Jubiläum

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