18. November 2015

Expertenregierung soll Rumänien grundlegend reformieren

In Rumänien vollzieht sich ein Regierungswechsel in innenpolitisch schwieriger Lage. Ein Jahr nach den Präsidentschaftswahlen bleibt der Wunsch der rumänischen Zivilgesellschaft nach einem grundlegenden Wandel der politischen Klasse und nach effizienterer Korruptionsbekämpfung weiterhin bestehen. Auf Druck der Massen musste die Regierung Ponta abdanken, ein Technokraten-Kabinett unter der Leitung des ehemaligen EU-Agrarkommissars Dacian Cioloș soll nun die notwendigen Reformen in die Wege leiten.
Die Regierung des längst in Verruf geratenen Sozialdemokraten Victor Ponta (PSD) ist am 4. November geschlossen zurückgetreten, nachdem mehr als 25000 Demonstranten in der Hauptstadt und weitere Tausende in anderen Städten Rumäniens Pontas Rücktritt gefordert hatten. Auslöser der Straßenproteste war eine Brandkatastrophe am 31. Oktober in einem Bukarester Klub, bei der mehr als 50 Menschen ums Leben kamen und rund 180 verletzt wurden. Viele Protestierende machten für die mangelhaften Brandschutzmaßnahmen die Korruption im Land verantwortlich: Der Klubbesitzer habe seine Betriebsgenehmigung mit Bestechungsgeld erkauft, um nicht in adäquaten Brandschutz investieren zu müssen. Außerdem seien in dem für 80 Personen zugelassenen Klub fünf Mal mehr Menschen gewesen, viele starben in der Massenpanik.
Mehrere Abende hindurch demonstrierten in ...
Mehrere Abende hindurch demonstrierten in Bukarest, Jassy, Temeswar, Kronstadt, Hermannstadt, Ploiesti und Klausenburg überwiegend junge Leute und fegten damit die Regierung unter Victor Ponta hinweg. Im Bild: Demonstranten in Hermannstadt am 5. November, darunter mit Transparenten wie „Singura soluție/Incă o revoluție“ (Die einzige Lösung/eine neue Revolution). Foto: Konrad Klein
Pontas Amtsniederlegung sei „spät, zu spät“ erfolgt, befand Staatspräsident Klaus Johannis, der in den vergangenen Monaten den Ministerpräsidenten mehrmals zum Rücktritt aufgefordert hatte. „Wären Regeln und Gesetze eingehalten worden, hätte niemand sterben müssen“, unterstrich der Staatschef. Man dürfe Korruption nicht wuchern lassen, bis sie tötet. Auch der Bundestagsabgeordnete Dr. Bernd Fabritius, Verbandspräsident des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V. und Präsident des Bundes der Vertriebenen, kommentierte Pontas Rücktritt als „längst überfälligen Schritt“. Er wünsche sich nun „einen Neuanfang“ mit einer Regierung, die „gemeinsam mit dem Staatspräsidenten einen glaubwürdigen Kampf für mehr Rechtsstaatlichkeit“ führen werde. Fabritius appellierte zudem an deutsche Kliniken, Rumänien nach der Brandkatastrophe Hilfe zu leisten und medizinisches Personal sowie Behandlungsplätze anzubieten.

Victor Ponta, gegen den bereits seit Monaten wegen Steuerhinterziehung, 17-facher Urkundenfälschung und Geldwäsche ermittelt wird, hatte sich ursprünglich trotz wachsenden Druckes vorgenommen, bis zum Ende seines Mandats (November 2016) im Amt zu bleiben. Mit seiner Niederlegung des PSD-Parteivorsitzes hatte er im Juli gehofft, die Empörung der Öffentlichkeit zu entschärfen. Nun dürfte seine politische Karriere in Spitzenämtern zunächst beendet sein: Im November musste er zusammen mit seinem früheren Kanzleipartner und ehemaligen Transportminister Dan Șova beim Obersten Gericht erstmals auf der Anklagebank Platz nehmen. Die beiden Juristen ersuchten die Instanz, mehrere gegen sie gerichtete Gutachten der Antikorruptionsbehörde DNA neu erstellen zu lassen. Ob die Anträge zulässig sind, soll bis zum kommenden Gerichtstermin entschieden werden.
Jeden Tag wurde das Meer aus Grablichtern ...
Jeden Tag wurde das Meer aus Grablichtern zwischen dem Bürgermeistergebäude und dem Brukenthalmuseum auf dem Großen Ring in Hermannstadt größer. Foto: Konrad Klein
Der Straßenprotest, der als Trauermarsch für die Verstorbenen begonnen hatte, wandelte sich indes trotz Pontas Rücktritt zu einem Ruf nach tiefgreifender politischer Veränderung. Bis zu 70000 Menschen versammelten sich auch an den darauffolgenden Abenden in Bukarest, Temeswar, Hermannstadt, Klausenburg, Konstanza, Jassy und anderen Städten und forderten die Auflösung des Parlaments, Neuwahlen, eine schlankere und effizientere Legislative, die Beseitigung der Großkorruption und „Krankenhäuser, keine Kathedralen“. Letzteres ist eine Anspielung auf die Rumänisch-Orthodoxe Kirche, die in Bukarest zurzeit die größte orthodoxe Kathedrale des Landes bauen lässt.

Eine grundlegende Änderung wird vor allem von der neuen Regierung erwartet. Knapp eine Woche nach Pontas Rücktritt hat Staatspräsident Klaus Johannis den früheren EU-Kommissar Dacian Cioloș (parteilos) als Regierungschef vorgeschlagen, der als „integre Persönlichkeit“ in keine Skandale verwickelt sei und seine Fähigkeiten mehrfach bewiesen habe. Cioloș stellte am 15. November sein Kabinett vor, das zum größten Teil aus Technokraten mit langjähriger Berufserfahrung u.a. in europäischen Institutionen, Einrichtungen der Zivilgesellschaft sowie in der freien Wirtschaft besteht. Die neuen Minister seien „professionell, effizient und dialogbereit“, so der designierte Ministerpräsident. Zu den Regierungsmitgliedern gehören Raluca Prună (Justiz), der ehemalige Botschafter Rumäniens in Berlin und derzeitige Berater des Staatspräsidenten, Lazăr Comănescu (Außenminister), der rumänische Botschafter in London, Mihnea Motoc (Verteidigung), der Leiter des Klausenburger Onkologie-Instituts, Patriciu Achimaș Cadariu (Gesundheitsminister), sowie Anca Paliu Dragu (Finanzen), die zurzeit als Wirtschaftsanalystin für die Europäische Kommission arbeitet. Die beiden Vizepremierminister sind der Generalmanager des Unternehmens Lafarge, Cosmin Borc (zugleich als Wirtschaftsminister vorgeschlagen), sowie Vasile Dâncu (Entwicklungs- und Verwaltungsminister), ein Vertrauter des PSD-Vorsitzenden Liviu Dragnea. Letzterer ist zwar eine Ausnahme im Expertenkabinett und wird für seine politischen Verbindungen zu den Sozialdemokraten kritisiert, könnte jedoch der neuen Regierung im Parlament das Wohlwollen der PSD-Fraktion sichern. Liberale, Ungarnverband, Minderheitenfraktion sowie die Union für den Fortschritt Rumäniens (UNPR) hatten Cioloș bereits bei Vorgesprächen ihre Unterstützung zugesagt. Die neue Ministerriege wurde am 17. November mit 389 Für- und 115 Gegenstimmen im Parlament bestätigt und soll bis zu den Parlamentswahlen im Herbst 2016 regieren.

Dacian Cioloș war zuletzt Sonderberater des EU-Kommissionschefs Jean-Claude Juncker für Ernährungssicherheit und bekleidete davor das Amt des EU-Landwirtschaftskommissars von 2010 bis 2014. Der 46-Jährige stammt aus Zillenmarkt (Zalău), studierte Agrarwissenschaften in Klausenburg, Rennes und Montpellier und war Agrarminister in der Regierung Călin Popescu-Tăriceanu (2007-2008). Als Regierungschef versprach er nun eine größere Offenheit gegenüber Signalen aus der Zivilgesellschaft, warnte jedoch vor allzu hohen Erwartungen. Ein Jahr sei „zu kurz, um die erwarteten Reformen abzuschließen”. Auf EU- und NATO-Ebene erfreut sich Cioloș jedenfalls eines ungleich besseren Rufes als sein Vorgänger, was Rumänien zu mehr Glaubwürdigkeit bei internationalen Verhandlungen verhelfen könnte.

Kommentatoren sehen die politischen Herausforderungen für den neuen Ministerpräsidenten unter anderem im Bereich der Innenpolitik, da die Regierung einen einwandfreien Verlauf der Kommunal- und Parlamentswahlen 2016 sicherstellen muss. Im Bereich der Justiz sollen im kommenden Frühjahr die Leitungsstellen der Antikorruptionsbehörde und der Generalstaatsanwaltschaft neu besetzt werden, was sich entscheidend auf den weiteren Erfolg der Korruptionsbekämpfung auswirken wird.

Christine Chiriac

Schlagwörter: Politik, Regierung, Ponta, Ciolos

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