9. März 2016

Kampf gegen die Zeit: Erste Notmaßnahmen für Radeln und Rothbach

Ein Stück siebenbürgisch-sächsisches Kulturerbe liegt unter Schutt und Trümmern. Am Nachmittag des 14. Februar stürzte in Radeln bei Reps ein Teil des evangelischen Kirchturms entlang eines Mauerrisses ein (diese Zeitung berichtete). Wenige Tage später, am 19. Februar, schlug um 21 Uhr die Kirchturmuhr in Rothbach im Burzenland ein letztes Mal, dann stürzte der ganze Turm in sich zusammen und riss ein Viertel der Kirche samt Orgel und Glocken mit sich. Das jahrhundertealte Wahrzeichen von Rothbach existiert nur noch in Erinnerungen (SbZ Online vom 20. Februar 2016).
Die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien (EKR), Eigentümer der Kulturgüter, und das Kronstädter Evangelische Bezirkskonsistorium, das die Bauten verwaltet, informierten in einer Pressekonferenz über die mutmaßlichen Gründe der traurigen Vorfälle und die ersten Maßnahmen vor Ort. In Radeln sei der kritische Zustand der Kirchenburg von Fachleuten bereits oft thematisiert worden. Aus Mitteln des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und mithilfe der Peter Maffay Stiftung konnten in den vergangenen Jahren das Dach über dem Hauptschiff der Kirche sowie ein Teil der Ringmauer repariert werden. Doch für umfassende Reparaturen waren die Verwaltungswege und Wartezeiten für Finanzierungen leider zu lang. Nachdem die EKR bereits 18 Kirchenburgen aus europäischen Mitteln restaurieren konnte, wurde ein neuer Projektantrag für weitere 20 Kirchenburgen eingereicht, davon 12 im Kronstädter Kirchenbezirk. Radeln gehört zwar dazu – doch steht es zurzeit noch offen, ob das Sicherungsprogramm überhaupt finanziert wird.
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Der Kirchturm in Radeln ist an der südwestlichen Ecke eingestürzt. Foto: Monica Popovici
In Rothbach sei der Kirchturm trotz seiner Schieflage von Sachverständigen nicht als akut einsturzgefährdet eingestuft worden, so die Vertreter der EKR. Eine mögliche Ursache des Einsturzes könne der starke Auto- und Schwerlastverkehr auf der Nationalstraße 1 sein, der wenige Meter von der Ringmauer verläuft und die Kirche ständigen Erschütterungen aussetzt. Die reellen Gründe des Unglücks müssen jedoch von Fachleuten erst untersucht werden.

Indes wurden in Radeln und Rothbach die Unglücksorte abgesichert und erste Notmaßnahmen getroffen, um die Kult- und Wertgegenstände in den Kirchen zu retten. In Radeln wurde die Orgel abgebaut und in die Schwarze Kirche in Kronstadt in Sicherheit gebracht. Auch in Rothbach konnten noch viele Bestandteile der Orgel gerettet und nach Honigberg gebracht werden, so Orgelbauerin Barbara Dutli von der Honigberger Orgelwerkstatt, die mit dieser Aufgabe beauftragt wurde. Die drei Glocken der Rothbacher Kirche wurden bereits aus dem Schutthaufen geborgen, nun soll das gleiche auch in Radeln geschehen, wo die schweren Glocken die erhaltene Turmseite akut gefährden. Deshalb haben die Sicherungsmaßnahmen dort Priorität, so Stefan Bichler, Pressesprecher der EKR. Im März soll der Turm mit Holzstützen stabilisiert werden, danach sollen die Glocken mithilfe eines Krans geborgen werden. Erst danach können die Restaurierungsarbeiten beginnen.

Für Rothbach sei es noch zu früh, konkrete Pläne zu entwerfen, so Stefan Bichler. Denkbar seien zurzeit mehrere Herangehensweisen, u.a. eine originalgetreue Nachbildung des Turms anhand der vorhandenen, sehr präzisen Dokumentation zum historischen Bau des Gotteshauses, eine Sicherung des Kirchenschiffes ohne Wiedererrichtung des Turms, das Belassen der Ruine im jetzigen Zustand oder ein Ideenwettbewerb für innovative Architekturprojekte.
Der Kirchturm und mehr als ein Viertel des ...
Der Kirchturm und mehr als ein Viertel des Kirchenschiffes in Rothbach stürzten am 19. Februar 2016 ein. Foto: Christian Chelu
Eine weitere Möglichkeit, die auf längere Sicht in Frage kommt, ist es, gefährdete Kirchenburgen den politischen Gemeinden zu überlassen, damit diese die nötigen Reparaturarbeiten durchführen lassen. In dieser Hinsicht wurden mit dem Bürgermeister der Gemeinde Marienburg, zu der Rothbach gehört, bereits Gespräche geführt, doch man einigte sich noch nicht auf konkrete Schritte – auch weil die bürokratischen Hürden hoch sind.

Mittel- und langfristig bleibt neben der Geldfrage auch die Frage nach der menschlichen Ressource offen. „Eine der großen Herausforderungen in Bezug auf die Kirchenburgen ist die Tatsache, dass die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien vor einigen Jahrzehnten 250 000 Mitglieder zählte, von denen heute nur noch 12 000 geblieben sind“, so Reinhart Guib, Bischof der EKR. Es sei unmöglich für die kleine Gemeinschaft, die Verwaltung und den Erhalt von 250 Gotteshäusern einschließlich 160 Kirchenburgen allein zu stemmen. In Radeln zähle die evangelische Kirchengemeinde 42 Seelen, in Rothbach nur noch zwölf. Die EKR sei weiterhin sehr bemüht, alles zu tun, um das Kulturerbe zu retten, zu erhalten und nachhaltig zu nutzen. Etwa die Gründung der „Stiftung Kirchenburgen” und das erfolgreiche Projekt „Entdecke die Seele Siebenbürgens” seien Schritte in diese Richtung, so der Bischof. Doch sei man heute noch vielmehr als bisher auf die Unterstützung der im Ausland lebenden Siebenbürger Sachsen, der internationalen Partner, der rumänischen Gesellschaft und des Staates angewiesen.

Letzterer konnte wenige Tage nach den Vorfällen in Radeln und Rothbach eingeschaltet werden. Kulturminister Vlad Alexandrescu schlug vor, die dringenden Maßnahmen in den beiden Dörfern aus Mitteln des Nationalen Restaurierungsprogramms mitzufinanzieren. Außerdem gab er seine Absicht bekannt, einen Dringlichkeitsfonds für Kulturerbe zu gründen, um Gelder für Notinterventionen schneller zur Verfügung stellen zu können. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Kampf gegen die Zeit kein hoffnungsloses Wettrennen ist und dass der Zerfall nicht geschwinder voranschreitet als die Hilfsmechanismen.

Christine Chriac

Links:

Übersichtsseite der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien zu Radeln und Rothbach

Akzente-Sendung des Rumänischen Fernsehens über Radeln und Rothbach, 25. Februar 2016

Fotodokumentation über die Tragödie in Rothbach (Christian Chelu), Siebenbuerger.de, 21. Februar 2016

Rothbach am zweiten Tag nach dem Kirchturmeinsturz, Videofilm von Christian Chelu, YouTube, 21. Februar 2016

Schlagwörter: Radeln, Rothbach, EKR, Kirchenburgen, Einsturz

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Neueste Kommentare

  • 09.03.2016, 18:48 Uhr von Melzer, Dietmar: Das ist nur der Anfang.... und danach folgt Streitfort und andere Ortschaften, wenn nichts ... [weiter]

Artikel wurde 1 mal kommentiert.

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