21. April 2007

Zum Tod des Hermannstädter Schauspielers Wolfgang Gyurgyevich

Seine Belastbarkeit war erstaunlich. Zumindest scheinen dies die überlieferten Zahlen seine Künstlerlaufbahn betreffend zu belegen. Er wird wohl selbst errechnet haben: Reihte man die Schritte aneinander, die der Schauspieler Wolfgang Ernst in 50 Jahren in mehr als 140 Rollen im engen Geviert der Theaterbühne zurückgelegt hat, hätte er den Erdball zweimal umrundet. Was er sich tatsächlich im geografischen Sinn nie angetan hätte. Dazu war er zu tief verwurzelt in seinem Hermannstadt, wo er am 15. Mai 1938 als Wolfgang Ernst Gyurgyevich geboren worden war und wo er am 29. März d. J. plötzlich verstorben ist. Unvergessen bei Kollegen und Freunden sein kategorisches sächsisches „Nä“, mit dem er jedes ihm zuwider laufende Ansinnen abschmetterte.
So war er folgerichtig als letztes Gründungsmitglied der deutschen Abteilung des Hermannstädter Staatstheaters vor Ort geblieben. Im November 1956 hatte er bei der offiziellen Premiere von Brechts „Mutter Courage“ den Zeugmeister gespielt – beim 50. Jubiläum seiner Bühnen- und Schauspielerlaufbahn stand er, wie Beatrice Ungar in der Hermannstädter Zeitung schreibt, in der Inszenierung von Brigitte Drodtloff („Deus ex machina“ von Gheorghe Săsărman) allein auf der Bühne und spielte gegen die Wand. Seine virtuellen Mitspieler geisterten über eine Leinwand (zur Vorstellung im Münchener Gasteig am 3. Juli 2005 siehe SbZ-Kritik Theater um gefährdete Seele).

Der Schauspieler Wolfgang Ernst (1938-2007)
Der Schauspieler Wolfgang Ernst (1938-2007)
Was geschah aber zwischen diesen Eckdaten Hermannstädter, siebenbürgischer, rumäniendeutscher Theatergeschichte der Nachkriegszeit? Über 140 Rollen, das sind bei einem Tourneetheater ungezählte und wohl auch unzählbare Auftritte in Städten und vielen, vielen Dörfern Siebenbürgens und des Banats. Auch die erstaunlichste Belastbarkeit ist endlich. Hätte er, Wolfgang Ernst, an dieser Stelle von jenem Krug gesprochen, der so lange zum Wasser geht, bis er bricht?

Seine Bonmots waren eher origineller. Als er gemeinsam mit etlichen Schauspielerkollegen dazu verdonnert wurde für die deutschsprachige Fernsehsendung gereimte Lobhymnen auf den „conducător“ zu rezitieren und zu diesem Anlass „festliche Kleidung“ angeordnet wurde, hakte er mit der Frage nach: „Festiv vesel sau festiv trist?“ Die Fernsehregisseurin erbleichte.

Solches Ausloten der äußersten Grenzen des Sagbaren – das war nicht der Alltag des Schauspielers Wolfgang Ernst. Möglich wurde es jedoch durch die lustvolle Ernsthaftigkeit mit der er dramatisch Vorgeformtes erst ergründete und dann wiedergab, und durch sein Bemühen, auch sperrige Pflichttexte aus dem Rumänischen in ein für Schauspielkollegen und das Publikum spielbares und ertragbares Bühnendeutsch zu übertragen. Auch dafür ist man ihm vielleicht einigen Dank schuldig geblieben.

Jedenfalls: Sollte es jemals zu einer überarbeiteten Neuauflage des „Lexikons der Siebenbürger Sachsen“ kommen, und sollte ein bisher fehlendes Stichwort Theater der Siebenbürger Sachsen eingefügt werden – auch dem Schauspieler Wolfgang Ernst stünde mehr als die namentliche Erwähnung zu.

Rolf Maurer

Schlagwörter: Kulturspiegel, Theater, Hermannstadt

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