15. April 2008

Wirtschaftsboom in Rumänien: Siebenbürgische Fachleute sind heiß begehrt

„Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen. In Deutschland hätte ich nie die Möglichkeiten gehabt, die ich hier gefunden habe. Dort wäre ich einer von vielen gewesen, hier in Rumänien bin ich einer von wenigen“. Hans Scherer fühlt sich glücklich in Bukarest. Er gehört zu jener mobilen Schicht unter den Siebenbürger Sachsen, die in der Jugend nach Deutschland ausgewandert ist und nun die Berufschancen der letzten Jahre in Rumänien nutzt. Er kam 2001 nach Bukarest und half, die erste MAN-Werkstatt in Rumänien aufzubauen, und avancierte inzwischen zum Kundendienstleiter von MHS Truck & Bus in Bukarest. Angesichts des akuten Mangels an Fachkräften, der den deutschen und österreichischen Investoren immer mehr zu schaffen macht, sind die ausgesiedelten Siebenbürger Sachsen eine attraktive Zielgruppe – allerdings noch ein Geheimtipp. Ihre Verdienstmöglichkeiten sind vergleichbar mit jenen in Deutschland.
Als Nokia im Januar ankündigte, sein Werk in Bochum zu schließen und die Produktion nach Jucu bei Klausenburg zu verlagern, zog ein Sturm der Entrüstung durch Deutschland. Dabei ist der finnische Konzern überhaupt keine Ausnahme, berichtet die WirtschaftsWoche in einer ausführlichen Reportage am 11. März 2008. Deutsche Unternehmen haben schon in den vergangenen Jahren begonnen, im großen Stil Standorte in dieser Gegend aufzubauen – ohne dass jemand dagegen protestiert hätte. Längst sei in den ehemaligen deutschen Sied­lungsgebieten Siebenbürgen und Banat eine „Art deutsche Exklave entstanden“. „Deutsche In­dus­triemanager pilgern zu den rumänischen Arbeitskräften wie einst in den Sechzigerjahren nach Süditalien oder Griechenland.“ Rund 50 deutsche Unternehmen hätten sich binnen weniger Jahre in der Region niedergelassen, viele davon stammten aus Süddeutschland, die meisten seien Autozulieferer.

Hans Scherer, 41, Kundendienstleiter von MHS ...
Hans Scherer, 41, Kundendienstleiter von MHS Truck & Bus in Bukarest, wuchs in Urwe­gen auf und kam mit 14 Jahren nach Mün­chen. Übernimmt in Kürze die Geschäfts­füh­rung einer neuen MAN-Filiale in Hermannstadt.
„Viele Kontakte zu deutschen Autozulieferern entstanden über ausgewanderte Siebenbürger Sachsen im Raum Stuttgart“, zitiert die WirtschaftsWoche den Juristen Detlef Barth­mes, der im Jahr 2000 in Hermannstadt das Beratungsunternehmen ILC gründete und zurzeit den Deutschen Wirtschaftsclub in Her­mann­stadt leitet. Dafür, dass noch mehr Unter­nehmen kommen, sorgt auch Viktor Späck. Der Siebenbürger Sachse, der lange in Frankfurt am Main lebte, erschließt derzeit ein 52-Hektar-Grundstück für Hermannstadts nächsten Indus­triepark namens Zios. Für ein Drittel der Fläche interessieren sich bereits Investoren – „und ich habe noch nicht einmal Werbung gemacht“, sagt Späck.

Der Kampf um qualifiziertes Personal ist voll enbrannt

Allerdings sei der Sog Hermannstadts inzwischen so stark, dass Bürgermeister Klaus Jo­han­nis keine Begrüßungsgeschenke mehr an Investoren verteilen müsse. Rund 100 deutsche Manager haben sich – teils mit Familie – in Her­mannstadt niedergelassen, viele andere pendeln. Eingesessene Unternehmen am Zibin fürch­ten die Ansiedlung neuer Betriebe, die den Kampf um qualifiziertes Personal weiter anheizen würde. Hitzige Diskussionen im schweizerischen Restaurant Max, der Hermannstädter Oase für Expats, wie die Expartriierten auf Eng­lisch heißen, zeigen, dass vor allem Deutsch­land-erfahrene Mittelmanager oder Sekretärin­nen mit guten Deutschkenntnissen stark umworben sind. Die Bürgermeister in Siebenbürgen wetteifern um Großinvestitionen. Spätestens seit seinem Erfolg bei Nokia gilt Klausenburg als der Aufsteiger, heißt es in der WirtschaftWoche.

Werner Schmidt, 40, Teilhaber und ...
Werner Schmidt, 40, Teilhaber und Geschäfts­führer der BMW- und MAN-Filiale in Kron­stadt, stammt aus Deutsch-Kreuz und wander­te 1981 nach Deutschland aus. Nach dem Schulabschluss absolvierte er eine Kfz-Meis­ter­ausbildung, seit 1993 arbeitet er an der Seite seines Bruders Michael in Rumänien.
Während der Kampf um qualifiziertes Perso­nal längst entbrannt ist, setzen Kenner des rumänischen Arbeitsmarktes auf ausgewanderte Siebenbürger Sachsen. „Siebenbürgische Mitar­beiter sind ein großer Gewinn für unsere Orga­nisation“, erklärt Jorge Leuschner, Geschäfts­führer der MAN-Vertretung in Rumänien, MHS Truck & Bus, gegenüber der Siebenbürgischen Zeitung. „Bei ihnen paaren sich urdeutsche Eigen­schaften, wie Gründlichkeit, Verantwor­tungs­bewusstsein, Ernsthaftigkeit und Können, mit einer Sicht der Dinge, die einfach in dieses in vielen Belangen noch rückständige Land passt und von den Menschen hier voll respektiert wird.“

Die Vorzüge siebenbürgisch-sächsischer Mitarbeiter

Leuschner ist ein alter Hase im Automo­bilgeschäft, und es macht ihm großen Spaß, mit engagierten jüngeren Managern zusammenzuarbeiten. Er sitzt mit drei Siebenbürgern vor keiner leichten Aufgabe. Ihre MAN Organisation in Rumänien ist schnell gewachsen, allein in 2007 sind einige tausend neue und gebrauchte Lkw ins Land gekommen, die nun alle gewartet und gegebenenfalls repariert werden wollen. Seine drei Kollegen im Raum, Hans Scherer, Kun­dendienstleiter fürs ganze Land, Werner Schmidt, Geschäftsführer des Betriebes in Kron­stadt, und Robert Krafft, der die gleiche Aufgabe in Temeswar wahrnimmt, wissen, dass sie ihren Mechanikern einen Leistungsanreiz bieten müssen. Anders werden sie die Produkti­vität und Effektivität der MAN-Werkstätten nie steigern können – und der boomende Markt zwingt sie dazu.

„Wir können nicht alles und jeden kontrollieren“, wirft nun einer in die Debatte, „dafür sind es zu viele, aber die Gruppe, die kann es. Wir müssen in den Werkstätten Teams bilden, von fünf oder sechs Leuten, und neben der Ein­zelleistung auch die Gruppenleistung prämieren. Der nicht so Fleißige wird dann von seiner Gruppe ermuntert, doch zu arbeiten. Dem Gruppenwillen kann er sich doch nur schwer entziehen.“

In Deutschland ausgebildet, in Rumänien geschätzt

„Wieder einmal eine zündende Idee!“, freut sich Leuschner. Am Ende der Besprechung ha­ben sie zu viert ein gutes Programm entwickelt, das sie für eine leistungsbezogene Bezahlung der Arbeiter einsetzen können. Und Leuschner weiß auch, dass seine drei Kollegen es erfolgreich umsetzen werden: „Sie kennen ihr Ge­schäft. Aber noch mehr, und da haben sie mir viel voraus: Sie kennen die Menschen hier, die Mentalität, die Gegebenheiten. Alle drei sind Siebenbürger, die mit ihren Familien als Kinder nach Deutschland auswanderten, dort ihre Ausbildung machten und nun hier in Rumänien das einsetzen, was sie gelernt haben“, erläutert Jorge Leuschner. Seine Vorfahren waren nach Südamerika ausgewandert, er kennt das Gefühl, mit zwei grundverschiedenen Kulturen aufzuwachsen. Und er schätzt das bei sich selbst inzwischen ungemein: „Denn es gab mir eine erweiterte und aufnahmebereite Weltsicht, die mir auf meinem Lebensweg von großem Nutzen wurde – trotz oder gerade wegen anfänglicher Identitätskrisen während der Jugend.“

Robert Krafft, 34, Geschäftsführer der BMW- und ...
Robert Krafft, 34, Geschäftsführer der BMW- und der MAN-Filiale in Temeswar, ist in Hel­tau aufgewachsen und mit 17 Jahren nach Deutschland ausgewandert. Er machte eine Aus­­bildung zum Kfz-Meister in Leverkusen und kam Mitte 2005 wieder nach Rumänien.
Im Gespräch mit seinem Kollegen Hans Sche­rer will Leuschner wissen, was ihn eigentlich dazu bewegt hat, aus Deutschland nach Rumä­nien zurückzukommen. „Oh, das ist eine lange Geschichte. Aber unser Chef, Michael Schmidt, ist da sicher nicht ganz unschuldig“, sagt Sche­rer. „Er kannte mich aus der Jugendgruppe der siebenbürgischen Landsmannschaft. Vielleicht ist ihm aufgefallen, wie ich bei den Treffen die Fußballturniere organisierte. Ich war 1999 bereits fünf Jahre Testfahrer bei der Endmontage von MAN in München, und er wollte einen MAN-Service in Bukarest aufbauen. So lag es für ihn wohl auf der Hand, mich dazu gewinnen zu wollen. Bei mir aber gab es allerlei Barrieren, die mich von diesem Schritt abhielten. Bin ja auch nicht der Typ, der sich gerne verändert und es ging mir in München doch gut. Stark war die Un­gewissheit, denn der Schrecken, mit dem meine Familie aus den Fängen des furchtbaren Ceaușescu-Regimes entflohen war, sitzt tief. Aber 2001 war es dann so weit, Michael Schmidt hatte mich überzeugt“.

Die Suche nach Fachleuten geht weiter

Michael Schmidts Erfolgsgeschichte begann 1994 mit der Gründung von Automobile Bavaria in Bukarest. Als einziger BMW-Genera­l­im­por­teur in Rumänien arbeitete er sich mit viel Ri­sikobereitschaft und Engagement empor. Die beiden Marken MAN und BMW, die er in Rumä­nien betreut, profilieren sich weit vorn im jeweiligen Konkurrenzumfeld, in Osteuropa ziem­­lich einmalig. So erzielte MAN mit rund. 200 Mit­ar­beitern im letzten Jahr einen Umsatz von 115 Millionen Euro in Rumänien, für BMW war es mit rund 500 Mitarbeitern ein Umsatz von 215 Millionen Euro.

Rumänien bietet nach Ansicht von Jorge Leusch­­ner gerade für Siebenbürger Sachsen äußerst interessante Berufsperspektiven. Auch MAN und BMW suchen weiter händeringend Fach­leute mit Kfz-Hintergrund.

Siegbert Bruss

Schlagwörter: Wirtschaft, Investoren, Porträt

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Neueste Kommentare

  • 09.05.2008, 20:57 Uhr von gloria: @Wanderer Ich dachte Sie seien schon längst wieder in Siebenbürgen! Stellen Sie sich vor,ich war ... [weiter]
  • 09.05.2008, 18:20 Uhr von Joachim: Wanderer ich verstehe Dich sehr gut, aber genauso gut verstehe ich auch Elsi. Gruß und schöne ... [weiter]
  • 09.05.2008, 13:32 Uhr von Wanderer: Hallo Gloria, Um die Realität über Rumänien und speziel Siebenbürgen kennenzulernen würde ich ... [weiter]

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