12. Oktober 2008

Das Hospiz in Hermannstadt ist wie eine Insel in der Zeit

Kurz nach halb zehn klingelt im Hospiz in Hermannstadt das Telefon. Hospizleiterin Ortrun Rhein, auch Direktorin des „Dr. Carl Wolff“-Alten- und Pflegeheims, wird heute zwei Patientinnen aufnehmen. Eine krebskranke Frau kommt in sehr geschwächtem Zustand nach einer Chemo­therapie in die September 2006 eröffnete Einrichtung der Sterbebegleitung. Sie bezieht ihr Zimmer. Ein Zuhause auf Zeit.
Umsorgt wird die Patientin von Krankenschwestern wie der 27-jährigen Alexandra B., die seit einem Jahr im Hospiz arbeitet. Erfahren hatte sie von dieser Arbeit durch einen christlichen Radiosender. Auf diesem Weg nach motivierten Mitarbeiterinnen zu suchen, war eine sehr gute Idee, sagt Ortrun Rhein: „Wir haben nur Leute ins Team übernommen, die noch nicht im staatlichen Krankenhaus gearbeitet haben. Mit dem Wissen, dass es eine recht schwere Zeit sein wird, ihnen das praktische Handwerk mitzugeben. Die Gruppe ist sehr jung, aber das ist auch eine Chance, mit dem Schweren umzugehen.“

Nach Hermannstadt ins Hospiz kamen anfangs auch Schlaganfallpatienten, die anderswo schon aufgegeben worden wären. Eine über 80-jährige Dame beginnt wieder selber zu essen und ist tief bewegt von der Liebe, mit der sie hier umsorgt wird: „Respekt und Menschlichkeit gibt es hier, das habe ich so noch nie erlebt.“ Ein Mittfünfziger lag im Koma, hatte starke Fieber­schübe. Dank der professionellen und liebevollen Pflege erholte er sich und beginnt, erste Worte zu formen. Alexandra B. schiebt diesen Patienten aus dem Zimmer in den freundlichen Lichthof, wo sich nachmittags die Hospizbewoh­ner und ihre Besucher treffen und reden.

Ortrun Rhein, Leiterin des „Dr. Carl Wolff“-Alten ...
Ortrun Rhein, Leiterin des „Dr. Carl Wolff“-Alten- und Pflegeheims und des Hospizes in Hermannstadt. Foto: Ruxandra Stănescu
Ohne Peter Lorand, den Arzt des Altenheims „Dr. Carl Wolff“, der wie Ortrun Rhein an seinem Arbeitsplatz wohnt, wäre die Hospizidee nie realisiert worden: „Es braucht in einem Hospiz einen Arzt, der bereit ist, sich auf eine Betreu­ung einzulassen, die weit über ein normales Arbeitsprogramm hinausgeht“, stellt Ortrun Rhein fest. „Peter Lorand ist eine wichtige Per­sönlichkeit für die Patienten und gibt den Kran­kenschwestern Sicherheit. Er kann jeden Patien­ten in der Muttersprache abholen, denn er spricht Deutsch, Rumänisch und Ungarisch.“

Der Tag im Hospiz vergeht mit dem Waschen der Patienten, den Behandlungen, dem Aus­teilen des Essens und vielen Gesprächen. Genau das ist der Unterschied zu den staatlichen Krankenhäusern. Pflege geschieht hier gemeinsam mit den Verwandten der Patienten. Viele müssen gefüttert werden. Um 14 Uhr dann ist Übergabe. Die Frauen der Frühschicht berichten den Kolleginnen der nächsten Schicht, wie der Vormittag vergangen ist. Wie sich die Patienten fühlen, wie sie gegessen haben, welche Medikamente sie erhalten haben. Es ist eine sehr konzentrierte Atmosphäre. Zeit für Fragen an den Arzt Peter Lorand und Reflexionen. Das gleiche Ritual wiederholt sich am Abend um halb zehn, wenn die Nachtschicht ihre Arbeit im Hospiz aufnimmt, berichtet Ortrun Rhein: „Wir sind dann alle da und es ist ruhig. Wenn dann Verwandte von Verstorbenen kommen und einen Kuchen bringen, ist das einer dieser Punkte, wo wir merken, unser Hospiz ist mehr als eine Institution.“

Ein Hoffnungszeichen in Rumänien

Das Hospiz ist keine Abschiebestation, so wie anfangs viele Angehörige von Patienten vermutet haben. Normalerweise pflegen Rumänen ihre kranken Familienmitglieder zuhause, aber der Mangel an Platz, an Erfahrung, Geld und dem nötigen medizinischen Wissen lässt viele Menschen verzweifeln und Hilfe suchen. Dann ist das Hos­piz eine würdige Alternative. „Solche Familien konnten sich gar nicht vorstellen, dass es auch einen anderen Umgang mit einem Todkranken gibt und dass ein Mensch in seiner letzten Le­benszeit ein Recht auf Würde und eine freundliche Umgebung hat“, erklärt Frau Rhein.

Dass die medizinisch aufwendige Pflege hohe Kosten verursacht, liegt auf der Hand. Spenden sind willkommen und werden mit großer Ver­ant­wortung eingesetzt. Rumänien ist seit Jahres­beginn in der EU, aber das bedeutet nicht, dass alle brennenden sozialen Probleme über Nacht gelöst sind. „Solange Spiritus und Verbandszeug in einem Krankenhaus fehlen und kaum der Wil­le da ist, etwas zu verändern, solange müssen Patienten leiden, besonders die Todkranken.“ In Rumänien kann es passieren, dass ein Palliativ­patient um 10.00 Uhr aus der Behandlung im Krankenhaus herausgenommen wird und dann möglicherweise bis 18 Uhr irgendwo auf einem Gang liegt und warten muss, bis ein Kranken­wagen frei wird. So versuchen die Verwandten, mit eigenen Mitteln die todkranken Patienten ins Hospiz zu bringen. Sie probieren auch den Krankenschwestern etwas zuzustecken, berichtet die 22-jährige Raluca F.: „Wir mussten uns sehr anstrengen, sie davon zu überzeugen, dass es hier anders läuft. Dass bei uns im Hospiz alle Patienten gleich gut behandelt werden.“

Die staatliche rumänische Krankenkasse, mit der das Hospiz seit Oktober 2007 vertraglich verbunden ist, übernimmt nur 40 Prozent der Pflegekosten. Fast ein Jahr hat Ortrun Rhein auf diese Entscheidung gewartet; arbeiten konnte das Hospiz in dieser Zeit nur dank der Spenden aus Deutschland. Trotzdem beteiligen sich auch die Familien der Patienten, fügt die Hospizleiterin hinzu. „Ich habe erlebt, dass Leute mit ihrem letzten Geld kommen, trotz allem können sie nicht die Kosten decken.“ Auch in Hermannstadt, das wirtschaftlich einen Auf­schwung erlebt, hat Ortrun Rhein erste lokale Spender gefunden. Doch in Rumänien gilt noch immer der Leitsatz: Solange eine arbeitende Familie nicht genug Geld hat, um den Alltag zu bewältigen, solange ist es fast aussichtslos, Men­schen zu überzeugen, etwas für die Pflege eines todkranken Patienten zu spenden.

Das Hospiz von Hermannstadt ist wie eine Insel in der Zeit, ein Ort des Aufgehobenseins. Das Haus ist ein Hoffnungszeichen in Rumänien und leistet Pionierarbeit. Auch die junge Ärztin Claudia Albu lässt sich in Palliativmedizin ausbilden und steht schon jetzt dem Hospizarzt Peter Lorand zur Seite. Dr. Peter leitet ein Team von Krankenschwestern wie Alexandra B. oder Raluca F., das sich Tag für Tag den psychischen und physischen Herausforderungen der Hospiz­arbeit mit Glaube und Enthusiasmus stellt. „Die Arbeitsbedingungen sind viel besser als anderswo“, resümiert Raluca F., „und wir haben die Chance auf unsere Patienten einzugehen. Ich habe hier im Hospiz gelernt, geduldiger zu sein und die Patienten durch wenige Gesten zu verstehen. Wir werden so etwas wie die Familie der Patienten. Darum ist es schwer, wenn wir wieder einen Menschen verlieren. Aber ich denke auch, wie gut dieser Ort hier ist, denn hier können wir ihnen helfen, ihre Schmerzen zu lindern.“

Grit Friedrich

Schlagwörter: Altenheim, Soziales, Hermannstadt

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