4. Januar 2009

„Äm Härwestwängd“: Gedichte in Kerzer Mundart und in Hochsprache von Friedrich Schuster

Bis heute hat weder die Literaturwissenschaft noch die Linguistik die Begriffspaare Dialektlite­ratur-Mundartliteratur, Dialektlyrik-Mundartlyrik, Dialektdichter-Mundartdichter präzise von­einander abgegrenzt. Nun liegt der im Honterus-Verlag in Hermannstadt ge­druckte Band von Friedrich Schuster vor mit dem Untertitel: „Gedichte in siebenbürgisch-sächsischer Mundart und deutscher Sprache“. Eingedenk der Entstehungszeit der Gedichte kann man getrost von siebenbürgisch-sächsischen Dialekten sprechen, gegliedert nach Ortsmundarten. Schuster schreibt konsequent in Kerzer Mundart im Unterschied zu vielen Vorgängern, die eine städtische Koine benutzten. Dementsprechend werden wir im Folgenden von Mund­artdichtung sprechen.
Mundartdichtung und im besondern Mundart­lyrik stand auch in Siebenbürgen über Jahrzehn­te im Fahrwasser der Romantik. Fritz Schuster distanziert sich entschieden von dieser Richtung, er ist kein Epigone der bekannten Mundartauto­ren vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahr­hunderts. Vielmehr wagt er einen Neuansatz, der in der Schweiz unter dem Be­griff „modern mundart“ die neuen Tendenzen in der Dialektly­rik zusammenfasst. Allgemein will Mundartdich­tung Volkstümliches und Re­gionales ausdrücken. In den meisten Gedichten nimmt aber Schuster das Regionale nur zum Ausgangspunkt für die Hinterfragung allgemein-menschlicher Befind­lichkeiten, die kollektive Existenzproblematik tangieren, wie im Gedicht „Derhim“. Ähnlich wird auch mit vordergründig als Natur­lyrik erscheinenden Texten verfahren, der Herbst in der Natur mutiert zum Herbst eines Volkes. Die Erlebnis- und Natur­lyrik mutiert zur Gedan­kenlyrik.


Das Schicksal der Menschen seiner Heimat ist immer wieder Thema von Gedichten, doch verfällt Schuster nie in einen elegischen Ton, sondern arbeitet die Thematik poetisch-gesellschaftskritisch, bisweilen sogar agitatorisch auf, wobei – und dieses ist in allen Gedichten der Fall – er die poetischen Möglichkeiten, die in der Mundart stecken, gezielt nutzt. Ein störender, verzerrender Einfluss der Hochsprache ist beim sprachkundigen Autor nicht spürbar.

Andere Themenschwerpunkte entfalten sich als echte Liebeslyrik, eingebunden in das Brauchtum der Siebenbürger Sachsen, wie in „Den hieschte Mueibum ois dem Bäsch“. Die in der Mundartdichtung häufig angetroffenen The­men und Motivkreise „Mensch-Leben-Natur“ sind auch bei Schuster zu finden, aber Idyllen, selbstverordnete Isolation, Provinzialität sind nie Themen um sich ihrer selbst Willen, sondern Ausgangspunkt für Überlegungen, Um­deutun­gen, kritisches Betrachten. Kirchenburgen verwandeln sich in einen Mercedes-Wagen im Her­zen der Menschen. So hinterfragt er die ehedem für die Siebenbürger Sachsen symbolträchtige Persönlichkeit Stephan Ludwig Roth: Fehlt er uns heute mehr als in seiner Zeit? Friedrich Schuster sucht in seinen Gedichten nach Lösun­gen für die Probleme, denen die siebenbürgisch-sächsische Welt am Ende des 20. Jahrhunderts ausgesetzt war und bleibt. Er erkennt scheinbar Auswegloses, fasst es sprachlich in Bildern zu­sammen. Er macht den Fehler nicht, eine Lösung zu bieten. Beim Erkennen von Entwicklungs­richtungen im Bereich des Gesellschaftlichen seiner siebenbürgischen Heimat entwickelt er regelrecht visionäre Fähigkeiten, wenn davon ausgegangen wird, dass ein Teil der Gedichte noch im achten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts entstanden sind.

Der Autor hat wie kaum ein anderer in der zweiten Hälfte des vergangen Jahrhunderts die siebenbürgisch-sächsischen Ortschaften be­reist, um Erzählgut zu sammeln. Aus dem rationalen und gefühlsmäßigen Erfassen der unterschiedlichen Dorfgemeinschaften entstanden eine Reihe von Gedichten, die gruppiert in diesem Band abgedruckt sind. Der Autor greift sich bei jedem Ort – Zied, Martinsberg, Birthälm, Holzmengen, um nur einige zu nennen – wenige, aber den Ort prägende Eigenheiten heraus und verleiht diesen eine zweite, symbolische Dimension, wobei die Endzeitstimmung eindeutig erkennbar ist, meist fatalistisch, selten elegisch.

In eine ganz andere Richtung weisen humorvoll-witzige Gedichte, wie „Der Misch uch de Mäck“. Zu diesem Themenkreis gehören auch Texte, die an Kinderreime erinnern und ohne weiteres auch als solche gelten können. Hier kann der Autor seinem sprachlichen Spieltrieb freien Lauf lassen, kombinieren, variieren, karikieren.

Gewissermaßen der Gedankenlyrik zuzuordnen sind etliche Gedichte, die Teile oder ganze Verszeilen aus bekannten siebenbürgisch-sächsischen Liedern oder Gedichten übernehmen. Diese in ihrem historischen Kontext eindeutigen Aussagen werden gegenwartsbezogen umgedeutet, die Aussage zur Frage umfunktioniert, in Frage gestellt – und bleiben meistens unbeantwortet. Schuster informiert nicht (nur), er sin­niert und provoziert zum Weiterdenken.

Zu einer weiteren Spielform der Gedanken­lyrik gehören Gedichte, die auf Bildern fußen. Diese sind des Öftern synästhetisch, sinnübergreifend. Anthropomorphistische Elemente der dinglichen Welt, wie der seinen Bart kämmende Mond, neh­men Einfluss auf das Schicksal der Menschen.

Ein letzter Themenkreis beinhaltet zum Teil balladeske Texte. Der vorwiegend analytisch-se­zierende, rational-analysierende Autor schafft es dann, sprudelnd erzählerisch zu berichten, wobei Erzählung wiederum nur vordergründig gedankliche Tiefendimensionen anschaulich in Zeit-Raum-Geschehen umsetzt.

So vielfältig wie die Themen sind auch die Form und Gestaltung der Gedichte. Freie Rhyth­men sind kaum anzutreffen, die Sprache ist rhythmisch gebunden. Der Reim kann gänzlich fehlen, erscheint als Endreim gepaart oder ge­kreuzt, Binnenreim und Stabreim sind ebenfalls anzutreffen sowie Haufenreime und auslautende Wortreduktionen.

Was den Gedichtband von Friedrich Schuster zusätzlich lesenswert macht, ist der Umgang mit der Sprache, mit der siebenbürgisch-sächsischen Mundart. Die schlichte Bauernmundart wird poetisch erhöht, neue gemeinsprachlich ungebräuchliche Kombinationen geschaffen, Begrif­fe mit Konnotationen versehen. Weitere Begriffe werden in Metaphern gezwungen, das Wort­spiel ist omnipräsent, das Spiel mit dem Wort Leidenschaft.

Den mehr als hundert Gedichten in Mundart sind 15 in Hochdeutsch nachgestellt. Der Um­gang mit dem geschriebenen Wort ist unverkennbar identisch zu den Texten in Mundart. Die Themenstreuung ist in den ersten Gedich­ten vordergründig weiter, doch dann kommt Schuster wieder zu seiner Herzenssache:

Mein Schweigen

Die sieben Burgen liegen
in einem tiefen Brunnen
daraus schöpfe ich
täglich
mein Schweigen:

wenn Reden mir auf den Magen schlagen
wenn Sätze mir im Hals stecken bleiben
wenn Worte mir den Mund verkleben

Der Band ist illustriert mit zwölf Bleistift-, Kohle- und Kreidezeichnungen von Franz Pin­dur, einem ebenfalls in Kerz beheimatetem Maler. Im Anhang informiert ein Text über das Leben und Werk des Künstlers.

Von Nutzen ist sicherlich das Wörterverzeich­nis in Mundart mit den hochdeutschen Entspre­chungen, nützlich nicht nur für Nichtkenner der Kerzer Ortsmundart.

Werner Sedler


Friedrich Schuster: „Äm Härwestwängd“. Gedichte, Hermannstadt: Honterus-Verlag, 2007, Harteinband, 192 Seiten, Preis: 15,00 Euro, zu beziehen beim Autor: Friedrich Schuster, Kirchardtsbrunnen 37, 74906 Bad Rappenau, Telefon: (0 72 68) 91 12 64, E-Mail: Friedrich.Schuster[ät]ymail.com.

Schlagwörter: Mundart, Rezension, Gedichtband

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