4. Oktober 2010

20. Sachsentreffen wirft Bistritz in ein neues Licht

Das Sachsentreffen fand, wie in dieser Zeitung berichtet, vom 17. bis 19. September 2010 erstmals in Nordsiebenbürgen statt. Der positive Verlauf dieses wahrlich großen Jubiläumstreffens – es war das zwanzigste dieser Art – in Bistritz wurde in zahlreichen Gesprächen mit Teilnehmern des Bundesvorstandes des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, des Demokratisches Forum der Deutschen in Siebenbürgen, der HOG Bistritz-Nösen und der noch in Siebenbürgen lebenden deutschen Gemeinschaft verdeutlicht. Eine Nachlese von Horst Göbbel, stellvertretender Vorsitzender der HOG Bistritz-Nösen e.V, der auch auf die hervorragende Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung und die Frage des siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes eingeht.
„Das Sachsentreffen in Bistritz war ein wohltuendes Erlebnis. Hätte das Wetter mitgespielt, wäre es ausgezeichnet gewesen. Insgesamt hört man nur anerkennende Worte und die Bereitschaft, beim nächsten Mal wieder dabei zu sein.“ So lautet ein erstes Fazit von Dr. Hans Franchy, Vorsitzender der HOG Bistritz-Nösen, die sich schon seit 2007 (einem Jahr vor dem verheerenden Kirchenbrand in Bistritz) bemüht hat, dieses Sachsentreffen im Jahre 2010 nach Bistritz zu holen. Natürlich hat der Brand am 11. Juni 2008 nolens volens das Augenmerk in besonderem Maße nach Bistritz gelenkt, noch mehr jedoch die Hilfswellen in seinem Gefolge sowie die sehr erfolgreichen Wiederaufbauarbeiten: Im Oktober 2008 erfolgte die Glockenweihe und im Juli 2010, nach der unerwartet schnellen Fertigstellung des neuen Kirchendaches, wurde die neue Uhr installiert und an die Stadt Bistritz übergeben. Die drei Glocken und die Uhr sind ein Geschenk der HOG Bistritz-Nösen. Dem Siebenbürgenforum sind wir zu großem Dank verpflichtet für seine Entscheidung, das Sachsentreffen 2010 in Bistritz durchzuführen und für die umfassende Organisation des Treffens in Zusammenarbeit mit gewichtigen Partnern: der Stadt Bistritz, namentlich dem Bürgermeister Ovidiu Teodor Crețu, dem örlichen Forum, der Bistritzer evangelischen Kirchengemeinde und der HOG Bistritz-Nösen, namentlich unserem unermüdlichen Dr. Hans Franchy.
Dr. Hans Franchy (links) überreicht Stadtpfarrer ...
Dr. Hans Franchy (links) überreicht Stadtpfarrer Dieter Kraus die HOG-Ehrenplakette. Foto Horst Göbbel
„Bistritz – ein Höhepunkt. Bistritz ist uns genau so wichtig, wie das Alte Land“, meinte Erhard Graeff, Bundesgeschäftsführer unseres Verbandes, und betonte das erstmalige Dabeisein des kompletten Bundesvorstands bei einem Sachsentreffen, weil man dieses Treffen in Bistritz für besonders wichtig erachtet habe. Bundesvorsitzender Dr. Bernd Fabritius bewertet das Treffen mit einem Wort: „Ausgezeichnet!“ Damit das Dach des Kirchenchores noch vor dem Winter gedeckt werden kann, hat der Verband der Siebenbürger Sachsen im Sommer dieses Jahres die Kirchengemeinde Bistritz mit Euro 20.000 unterstützt. Michael Konnerth, Vorsitzender des Verbandes der Siebenbürgisch-Sächsischen Heimatortsgemeinschaften, schreibt begeistert: „Vielen Dank für die großartige Leistung beim Bistrizer Sachsentreffen“, und Dr. Michael Kroner, von 1958 bis 1968 stellvertretender Schulleiter am Bistritzer Gymnasium, sieht darin „eine große Sache für Nordsiebenbürgen, mit viel Prominenz, die die Bedeutung von Bistritz auch als Ort der frühen sächsischen Bildungseinrichtungen ins rechte Licht gerückt“ habe.

Besonderer Einsatz der Stadt Bistritz

Wohl noch nie hat sich eine rumänische Stadtverwaltung (Bistritz hat ca. 83 000 Einwohner, davon zählen noch etwa 270 zur evangelischen Kirche) so massiv für ein Sachsentreffen eingesetzt. Auf Initiative des Bürgermeisters Ovidiu Teodor Crețu hat der Stadtrat Gelder bewilligt, um beispielsweise die Jubiläumsfeierlichkeiten der ersten sächsischen Ackerbauschule in Bistritz (von 1870) in einem großartigen Rahmen durchzuführen sowie die rund 550 Ehrengäste (besonders diejenigen aus dem Ausland) in einem aus Bukarest eingeführten Festzelt gratis festlich zu bewirten und mit Musik zu versorgen. Ebenso wurden für die Organisatoren kostenlos die Bühne in der Fußgängerzone in der Holzgasse und das städtische Kulturzentrum (das frühere schmucke Gewerbevereinshaus) mit seiner Infrastruktur zur Verfügung gestellt. Der Empfang im Rathaus war dem Bürgermeister eine große Ehre, der Sektempfang im Gewerbeverein ein Geschenk der Stadt an uns, ihre wohlgesehenen Gäste.
Dr. Bernd Fabritius und Bürgermeister Ovidiu ...
Dr. Bernd Fabritius und Bürgermeister Ovidiu Crețu beim Rathausempfang. Foto Horst Göbbel
Das niveauvolle Konzert des „Neuen Siebenbürgischen Orchesters“ aus Klausenburg (gespielt wurden Mozart, Verdi und Johann Strauss) war eine Hommage und ebenfalls ein Geschenk des Vorsitzenden Direktors des „Vereins für Konzerte“ in Bistritz, Gavrilă Țărmure, an uns Sachsen. Wenn jemand in der Stadt Bistritz den Wiederaufbau und die Renovierung der Evangelischen Kirche tatkräftig vorantreibt, dann dieser Bürgermeister, der sich in dem anlässlich des Sachsentreffens erschienenen Buchs „WIR NÖSNER – Sonderausgabe 2010“ wie folgt bekennt: „Als Bürgermeister und gleichzeitig Bürger der Stadt Bistritz fühle ich mich als Nachfolger jener Siebenbürger Sachsen, die diese Stadt durch Willens- und Arbeitskraft erschaffen haben und sie verteidigten, indem sie ihr Leben dafür opferten. Ich fühle mich als Nachfolger jener Sachsen, die diese Stadt erbaut haben und nicht als jener, die sie mit ‚Feuer und Schwert’ überzogen haben.“

In den Lokalzeitungen wurde das Sachsentreffen sehr positiv begleitet. „Mesagerul de Bistrița-Năsăud“ am 19. September: „Cea mai frumoasă „Întâlnire a sașilor“, „Răsunetul“vom 21. September: „Bistrita – centrul tradițiilor săsești“). Unter diesen positiven Eindrücken des Sachsentreffens genehmigte der Bistritzer Stadtrat am 30. September 2010 weitere 800 000 Lei für Arbeiten an dem Kirchendach der evangelischen Kirche über dem Chor. Somit hat die Stadt in diesem Jahr insgesamt 1 800 000 Lei für die Reparaturen an der Kirche bewilligt und zur Verfügung gestellt (das sind über 400 000 Euro!). Der Bürgermeister hatte 500 000 vorgesehen, ein Abgeordneter der Opposition hat die Erhöhung auf 800 000 Lei vorgeschlagen. Der Antrag wurde bewilligt.

„Gottes Güte hat kein Ende“

Im Rahmen des Sachsentreffens wurden zwei beeindruckende Gottesdienste in der ehrwürdigen evangelischen Stadtpfarrkirche gefeiert. Am Samstag, dem 18. September, predigte im wirklich vollen Gotteshaus – erstmals nach vielen Jahren durften wir durch das westliche Hauptportal unter der Renaissancefassade zum Gottesdienst schreiten, ein erhebendes Gefühl – unser hochverehrte Landesbischof Dr. Christoph Klein tiefgründig zum Thema des Heimattages „Bildung ist Freiheit“.

Obman Dieter Lindert aus Traun kam mit 90 Gästen ...
Obman Dieter Lindert aus Traun kam mit 90 Gästen aus Öberösterreich. Foto: Horst Göbbel
Am Sonntag, übernahm die Auslegung des Wortes Gottes der langjährige Stadtpfarrer von Bistritz Kurt Franchy – erstmals nach knapp 33 Jahren wieder in seiner Heimatkirche. Predigttext: Klagelieder 3, 22-23: „Die Güte Gottes ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.“ Keineswegs frei von tiefen Emotionen wob Franchy in seine Auslegung des Bibelwortes seine eigene Existenz und die unseres Volkes am Beispiel von Bistritz und des Nösnerlandes ein und immer wieder betonte er: „Aber Gottes Güte hatte kein Ende. Er ließ die Sonne über dieser Stadt nicht untergehen.“ Nicht nach dem Mongolensturm, nicht nach den bewegten Zeiten im Mittelalter und in der Neuzeit, nicht im zum Teil so dunklen zwanzigsten Jahrhundert. Es sei ja keineswegs selbstverständlich, dass wir hier Gottesdienst und Abendmahl feiern dürfen. „Denken wir an die Tage zurück, als der große Brand den Turm zerstört, die Glocken vernichtet und das Kirchendach so sehr beschädigt hat, dass wir den Einsturz des Gewölbes befürchten mussten. Viele Menschen haben ihr Scherflein dazu beigetragen, dass die Beseitigung der ärgsten Schäden möglich wurde.“ Und schließlich, nach dem großen Bogen der Dankbarkeit, hält der frühere Stadtpfarrer von Bistritz treffend und wohltuend zusammenfassend fest: „Heute leben wir in aller Welt verstreut. Wir gehen mit Österreichern, mit Bayern und Rheinländern, mit Amerikanern, Kanadiern, und hier mit rumänischen Christen zum Gottesdienst und loben Gott in unterschiedlichen Sprachen. Das ist ein wunderbares Miteinander in neu entdeckter ökumenischer Gemeinschaft, die über Grenzen und Zeiten hinweg reicht. Wir haben ein Jahrhundert zurückgelassen in dem es viele Irrungen und Wirrungen gab, in dem wir viele Verletzungen und Wunden erfahren und zum Teil verursacht haben. Aber Gott hat uns nicht aufgegeben. Christus ist in die Welt gekommen, uns zu versöhnen, das geknickte Rohr aufzurichten und den glimmenden Docht neu zum Brennen zu bringen. Und darum nochmals: Gott ist treu!“ In beiden Gottesdiensten erfreuten uns durch ihre bezaubernde Musik Noemi Domokos an der Orgel und als begnadete Sopranistin mit einigen markanten Gesangsoli Edith Borsos.

Kulturelle Akzente

Das Sachsentreffen 2010 umfasste weitere qualitativ wertvolle Unternehmungen im Bereich Kultur und Bildung: die Vernissage zweier Ausstellungen im Kreismuseum („Acasă … încotro – Heimat wohin?“ und „Norbert Thomae – Gemäldeausstellung“ in Zusammenarbeit mit dem Siebenbürgischen Museum Gundelsheim) und eine in der Kreisbibliothek: „Bistritz – Punktum“ (zu dem alten Bücherbestand des Evangelischen Gymnasiums Bistritz), eine Kunstausstellung in der ältesten romanischen Kirche in Mönchsdorf und einen großen Festakt im früheren ev. Deutschen Gymnasium, heute Nationalkolleg „Liviu Rebreanu“ Bistritz aus Anlass der hundertsten Wiederkehr des Erstbezugs des Gymnasialgebäudes am 8. September 1910 – worüber in den nächsten Folgen der Siebenbürgischen Zeitung noch berichtet wird.

Die Frage des siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes

Das Sachentreffen 2010 in Bistritz war aus Sicht der HOG Bistritz-Nösen auch wegweisend erfolgreich im Sinne des gemeinsamen Wirkens mit unseren rumänischen Nachfolgern in der Frage der Bewahrung und des Fruchbarmachens des siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes in den früheren Städten und Dörfern der Siebenbürger Sachsen. Wer sich dieser Frage verschließt, hat die Zeichen unserer Zeit nicht erkannt. Klar, hinter dem großen Engagement der rumänischen Behörden in Bistritz stehen auch handfeste – nachvollziehbare und legitime – materielle Interessen im Bereich der Förderung des Tourismus. Jedoch genau dies trägt auch zur Bewahrung unseres siebenbürgisch-sächsischen Kulturguts bei. Wir haben in Nordsiebenbürgen kaum Kirchenburgen. Uns stehen als vorzeigbare Kulturdenkmäler neben dem städtischen Ensemble des Bistritzer Zentrums mit seinem unverwechselbaren Kornmarkt, dem Gymnasialgebäude im Stile der Neorenaissance, die imposante Bistritzer Stadtpfarrkirche, die wohl älteste romanische Kirche Siebenbürgens in Mönchsdorf, die Gotikperle in Treppen, der Speckturm in Mettersdorf, die beiden Kirchenruinen in Senndorf und Wermesch und die mehr als 20 zu orthodoxen Kirchen umgewandelten, heute meist in bestem Zustand befindlichen ehemals evangelischen Dorfkirchen als Vorzeigeobjekte zur Verfügung. Je mehr es gelingt, diese Kulturgüter auch im Bewusstsein der heutigen dortigen Bewohner als wertvoll und erhaltenswert zu verankern, destor realistischer ist ihre Überlebenschance. Diese Gedanken spielten beim Bistritzer Sachsentreffen in manchen Köpfen auch eine Rolle.

Horst Göbbel

Schlagwörter: Sachsentreffen, Bistritz

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