5. September 2018

Rentenpaket will Altersarmut bekämpfen, klammert aber Spätaussiedler aus

Berlin / München - Das Bundeskabinett hat am 29. August das von SPD und Union ausgehandelte Rentenpaket beschlossen. Es sieht zum 1. Januar 2019 Verbesserungen bei der Mütterrente als auch bei der Erwerbsminderungsrente vor, ebenso eine Stabilisierung des Beitragssatzes und des aktuellen Rentenniveaus bis 2025. „Mit dem Rentenpakt sichern wir das Kernversprechen unseres Sozialstaates neu ab, er gewährleistet Sicherheit und Gerechtigkeit für alle Generationen“, erklärte der federführende Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil (SPD). Kritik kam indes aus der Wirtschaft und seitens der Sozialverbände. Kontrovers beurteilt wird, ob der vom Kabinett beschlossene Gesetzentwurf den im Koalitionsvertrag vereinbarten rentenpolitischen Leitzielen - Rentenstabilität, Honorierung der Lebensleistung und Bekämpfung von Altersarmut - gerecht wird. Stichwort Altersarmut: Der Bundesaussiedlerbeauftragte Dr. Bernd Fabritius beklagt, dass die infolge der Rentenkürzungen der 1990er Jahre überproportional häufig von Altersarmut betroffenen Spätaussiedler weiterhin benachteiligt bleiben. Gleichzeitig fordert die Bundesvorsitzende des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, Herta Daniel, die Beseitigung der Schieflage im Fremdrentengesetz (FRG).
Das nun auf den Weg gebrachte Rentenpaket sieht vor, dass das aktuelle Rentenniveau von 48 Prozent bis 2025 stabilisiert werden soll. Der Arbeitslosenbeitrag soll zum Jahreswechsel um 0,5 Punkte auf 2,5 Prozent des Bruttolohns sinken. Im Zuge der höheren Erwerbsminderungsrente sollen Menschen, die ihren Beruf gesundheitsbedingt aufgeben müssen und nicht mehr arbeiten können, ab Januar 2019 so viel Geld bekommen, als hätten sie bis zum aktuellen Renteneintrittsalter gearbeitet und in die Rentenkasse eingezahlt. Die Anhebung der sogenannten Mütterrente, ein Kernelement des Gesetzesvorhabens, gilt als Anerkennung der Lebensleistung und Beitrag gegen Altersarmut: So sollen nun alle Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, zusätzlich einen halben Rentenpunkt (ein Rentenpunkt liegt im Westen zur Zeit bei 32,03 Euro, im Osten bei 30,69 Euro im Monat) gutgeschrieben bekommen. Kostenpunkt bis 2025: rund 26 Milliarden Euro.

Der Bundesrechnungshof monierte, das Rentenpaket, das die Rentenversicherung bis zum Jahr 2025 etwa 32 Milliarden Euro kosten soll, sei zu teuer. Der Sozialverband VdK kritisiert die Sicherung des Rentenniveaus bei 48 Prozent bis 2025 als nicht ausreichend; Ziel müsse es sein, so VdK-Präsidentin Verena Bentele, „dass das Rentenniveau über 2025 hinaus stabilisiert und auf 50 Prozent angehoben wird“.

Fabritius fordert Nachbesserungen für Spätaussiedler


Der Gesetzentwurf kann in den Ausschüssen des Bundestags und im Parlament noch geändert werden. Das anstehende Gesetzgebungsverfahren im Blick, machen gegenwärtig verschiedene Interessengruppen ihre Ansprüche geltend. So fordert der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Dr. Bernd Fabritius (CSU), Nachbesserungen am Rentenpaket. „Es ist bedauerliche Realität, dass die nach Deutschland gekommenen deutschen Spätaussiedler überproportional häufig von Altersarmut betroffen sind. Die Ursache dafür liegt nicht etwa in der jeweiligen Arbeitsbiografie der Betroffenen, sondern in einseitigen, diesen Personenkreis benachteiligenden Rentenkürzungen der 1990er Jahre“, stellt der ehemalige Verbandspräsident des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland und amtierende Präsident des Bundes der Vertriebenen in seiner Pressemitteilung (abgedruckt im Magazin Deutscher Ostdienst, Nr. 4/2018, Seite 10) fest.
Dr. Bernd Fabritius, Beauftragter der ...
Dr. Bernd Fabritius, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, mahnt Nachbesserungen für benachteiligte Spätaussiedler an.
Fabritius erinnert an die 1996 erfolgte pauschale Kürzung der durch Beitragszahlung vor dem Zuzug erworbenen Anwartschaften im Sinne des Fremdrentengesetzes (FRG) um 40 Prozent. Hinzugekommen sei „eine lebensleistungsunabhängige Deckelung der Entgeltpunkte auf einen Betrag unterhalb der Armutsgrenze, ganz gleich, was und wie viel diese Menschen in ihrem Leben gearbeitet haben“. Erschwerend wirke zudem, dass bereits seit 1993 Ehegatten und Abkömmlinge überhaupt nicht mehr in den FRG-berechtigten Personenkreis aufgenommen werden. Dadurch führe eine allein auf FRG-Zeiten basierende Alterssicherung Familien deutscher Spätaussiedler zwangsläufig in die Altersarmut. Bereits in der vergangenen Legislaturperiode seien ausgewogene Verbesserungsmaßnahmen vorgeschlagen, vom zuständigen Ressort jedoch nicht umgesetzt worden. Wie Fabritius weiter ausführt, habe man etwa „die Aufhebung bzw. Anpassung der lebenslaufunabhängigen Rentenbegrenzung, die Schaffung eines anrechnungsfreien Selbstbehaltes als Nachteilsausgleich bei Leistungsbezug aus dem Herkunftsgebiet, die Gleichbewertung der Kindererziehungszeiten von Spätaussiedlern und die Verhandlung angemessener Sozialversicherungsabkommen mit den Herkunftsstaaten“ empfohlen. Seit seiner Amtseinführung habe er in einer Vielzahl von Begegnungen mit Betroffenen „den erheblichen Unmut über die bestehende soziale Schieflage hautnah erlebt“. Die Bundesregierung werde zwar in vielen Bereichen ihrer Verantwortung für das besondere Kriegsfolgenschicksal deutscher Spätaussiedler gerecht, berechtigte Anliegen im Rentenrecht müssten jedoch noch umgesetzt werden.

Es sei sehr bedauerlich, dass diese Anliegen bislang keinen Eingang in den Entwurf des Rentenpaketes gefunden hätten. Fabritius forderte nachdrücklich dazu auf, dieses Thema bei geplanten Änderungen im Rentenrecht zu berücksichtigen. Seinerzeit seien die Fremdrentenkürzungen in der öffentlichen Debatte auch mit den damals sehr niedrigen Renten in Ostdeutschland begründet worden. Da hier inzwischen die 100-prozentige Angleichung an das Westniveau in Sicht sei, werde es höchste Zeit, dass die Fremdrenten nachzögen. Der Bundesaussiedlerbeauftragte setzte sich auch in einem Schreiben an die Bundeskanzlerin Angela Merkel für die Beseitigung der personenkreisspezifischen Benachteiligungen von Spätaussiedlern im Rentenrecht ein.

Bundesvorsitzende Daniel: Schieflage im Fremdrentengesetz beseitigen


Für das Schließen dieser Gerechtigkeitslücke plädiert auch die Bundesvorsitzende des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland. Herta Daniel erklärte dazu gegenüber der Siebenbürgischen Zeitung: „Unser Verband war Vorreiter bei der Gründung der Interessengemeinschaft gegen Fremdrentenkürzungen der 90er Jahre, die mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Juni 2006 immerhin Übergangslösungen für rentennahe Jahrgänge erreicht hat. Allerdings greift inzwischen die 40-prozentige Kürzung der Rentenanwartschaften aus dem Herkunftsland und zusätzlich in vielen Fällen die Deckelung unterhalb der Armutsgrenze bei unseren Landsleuten.
Die Bundesvorsitzende Herta Daniel (beim ...
Die Bundesvorsitzende Herta Daniel (beim Heimattag 2018 in Dinkelsbühl) appelliert an die Politik, die Schlechterstellung der Spätaussiedler zu beenden. Foto: Christian Schoger
Die seinerzeit bei der Einführung dieser Rentenkürzungen vorgeschobene Begründung, die (Spät-)Aussiedler dürften bezüglich Renten nicht bessergestellt werden als die Bürger der ehemaligen DDR, ist inzwischen obsolet: Nachdem die Renten in den neuen Bundesländern durch dynamische Erhöhungen ständig stiegen und nunmehr denen des alten Bundesgebietes inzwischen so gut wie gleichgestellt worden sind (der derzeitige Rentenwert Ost liegt bei 95,8 Prozent des aktuellen Rentenwerts West; Sozialminister Heil hat im März dieses Jahres ein identisches Niveau bis spätestens zur Rentenanpassung 2024 prognostiziert; die Redaktion), ist es höchste Zeit, dass auch der Personenkreis der Aussiedler und Spätaussiedler durch diese oben genannte Kürzung nicht mehr schlechter gestellt wird. Unserem Verband geht es darum, diese Schieflage im Fremdrentengesetz beseitigt zu wissen. Spätaussiedler zahlen solidarisch Beiträge in die Rentenkasse ein, führen dadurch zu deutlichen Überschüssen und wollen daher nicht benachteiligt werden. Hochrangige Politiker haben uns bei der Durchsetzung dieses wichtigen Anliegens Unterstützung zugesagt.“

Die Redaktion der Siebenbürgischen Zeitung hat in einer Presseanfrage an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf den Sachverhalt kritisch hingewiesen und um Stellungnahme gebeten.

Unterdessen hat die Rentenkommission der Bundesregierung ihren Abschlussbericht für März 2020 angekündigt. Dann soll das zehnköpfige Gremium ein Gesamtkonzept zur langfristigen und generationengerechten Alterssicherung vorlegen. Bis dahin plant die Kommission neben Fachgesprächen und Symposien mit Fachleuten ebenfalls einen Generationendialog mit Senioren- und Jugendorganisationen. Bleibt zu hoffen, dass dabei auch die berechtigten Anliegen der gut 2,8 Millionen Aussiedler und Spätaussiedler (Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2017) Gehör finden.

Christian Schoger

Schlagwörter: Fremdrente, Aussiedler, Spätaussiedler, Rente, Berlin, Rumänien, Koalition, Bundesminister, Arbeit, Soziales, Heil, Bernd Fabritius, Herta Daniel, Aussiedlerbeauftragter, BdV, Präsident

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