2. März 2007

Das Thema Flucht und Vertreibung im deutschen Fernsehen

Flucht und Vertreibung gehören zu den emotional besonders schmerzhaft erinnerten Ereignissen des Krieges. Der ergreifende und historisch fundierte Film „Die Flucht“ (ARTE und ARD) behandelt einen Stoff, über den oftmals Jahrzehnte geschwiegen wurde, weil er mit deutscher Schuld und Scham behaftet ist. Anhand einer Familiensaga ist es Regisseur Kai Wessel und der Drehbuchautorin und Historikerin Gabriela Sperl gelungen, mit Sensibilität und Fingerspitzengefühl das Schicksal der ostpreußischen Bevölkerung filmisch aufzuarbeiten, die am Ende des Zweiten Weltkrieges vor der heranrückenden Front fliehen musste. Der Spielfilm mit Maria Furtwängler in der Hauptrolle ist nur eine der bedeutenden Produktionen zum Thema Flucht und Vertreibung, die in den nächsten Tagen im deutschen und österreichischen Fernsehen gezeigt werden. Im Folgenden eine Übersicht.
ARTE, 2. März, 20.40-22.10 Uhr, Die Flucht, Folge 1 (von 2)
Achtung: Der Spielfilm wird zwei Tage später auch im Ersten (ARD) gezeigt!

Sommer 1944. Lena Gräfin von Mahlenberg (Maria Furtwängler) macht sich von Berlin aus auf den Weg in ihre Heimat Ostpreußen. Sie will sich endlich mit ihrem todkranken Vater Berthold von Mahlenberg (Jürgen Hentsch) aussöhnen. Acht Jahre zuvor war es zum Bruch gekommen, als Lena Ostpreußen verließ, um ihre uneheliche Tochter Viktoria (Stella Kunkat) großzuziehen, anstatt Heinrich Graf von Gernstorff (Tonio Arango) zu heiraten, dem sie schon lange "versprochen" war. Auch bei ihrer Rückkehr verhält sich der Vater zunächst abweisend. Um zu beweisen, dass sie eine gute Tochter ist, übernimmt Lena in den Kriegswirren die Verwantwortung für das Mahlenberg'sche Gut und lässt sich auf die Gepflogenheiten des Adels ein. Heinrichs Bruder hingegen, Ferdinand von Gernstorff (Max von Thun), der gerade als Soldat von der Ostfront zurückgekehrt ist, kann die ideologische Blindheit der deutschen Bevölkerung nicht mehr ertragen – traumatisiert durch die Greueltaten der Wehrmacht ist er der Einzige, der die Dinge beim Namen nennt, sehr zum Unmut seines linientreuen Bruders und seines autoritären Vaters Rüdiger (Hanns Zischler).

Zur gleichen Zeit gelingt es Lena, die sich selbstbewusst gegen absurde Befehle des Militärs auflehnt und sich auch für die Rechte der Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter einsetzt, ihre Tochter aus der Kinderlandverschickung zu sich zu holen. Sie ringt sich auch dazu durch, Heinrich nun doch zu heiraten – aber Ferdinands Selbstmord verhindert zunächst die Hochzeit. Unterdessen rückt die Front immer näher. Der Krieg ist für Deutschland so gut wie verloren. Wie die meisten Menschen in ihrer Umgebung verdrängt Lena zunächst die Wahrheit. Doch ein Mann auf ihrem Hof macht sie immer wieder auf die nahende Katastrophe aufmerksam: François Beauvais (Jean-Yves Berteloot), ein französischer Kriegsgefangener. Zwischen ihm und Lena entwickelt sich eine ebenso zaghafte wie unmögliche emotionale Verbindung. Im Januar 1945 schließlich bleibt den Menschen in Ostpreußen keine Wahl mehr: Sie müssen vor der nahenden Front flüchten. Graf von Mahlenberg bleibt auf dem Gut zurück und überträgt seiner Tochter die Verantwortung für das Überleben ihrer Schutzbefohlenen. Obwohl die Wehrmacht jeden Fluchtversuch mit dem Tod bestraft, bricht Lena mit dem Mahlenberg'schen Treck im tiefsten Winter Richtung Westen auf – in eine ungewisse Zukunft...

Mit dem großen TV-Zweiteiler "Die Flucht" hat Grimme-Preisträger Kai Wessel ("Leben wäre schön", "Klemperer – Ein Leben in Deutschland") ein aufwühlendes Historiendrama inszeniert. Nach einem Drehbuch der preisgekrönten Autorin und Produzentin Gabriela Sperl ("Wolfszeit", "Der alte Affe Angst") erzählt der aufwändige Film von einem dunklen, selten thematisierten Kapitel deutscher Kriegsgeschichte. In den Hauptrollen beeindrucken Maria Furtwängler (NDR-"Tatort: Hannover"), Hanns Zischler ("München") und Jean-Yves Berteloot ("The Da Vinci Code - Sakrileg"). In weiteren Rollen spielen Jürgen Hentsch ("Die Manns"), Tonio Arango ("Die Unberührbare") und Max von Thun ("Kronprinz Rudolf").

Der vielfach preisgekrönte Regisseur Kai Wessel wurde mit dem Spielfilm "Martha Jellneck" (1988), der für den Bundesfilmpreis nominiert war, einem breiten Publikum bekannt.
Maria Furtwängler, hier in der Rolle der jungen Gräfin Lena, spielte ihre erste große Rolle von 1985 bis 1990 an der Seite von Maria Schell in der TV-Serie "Die glückliche Familie". Der Franzose Jean-Yves Berteloot spielt in "Flucht und Vertreibung" einen eigenen Landsmann, den Kriegsgefangenen François.


ARTE, 2. März, 22.10-23.45 Uhr, Die Flucht, Folge 2 (von 2)
Achtung: Der zweite Teil des Spielfilms wird drei Tage später auch im Ersten (ARD) gezeigt!

Nach einer strapaziösen Flucht mitten im Kriegswinter 1945 erreichen Lena und ihre Schützlinge schließlich Bayern. Das gemeinsame Schicksal aller bringt die Menschen unabhängig ihres Standes einander näher und öffnet den Weg in eine neue Welt. Der Weg in die neue Zeit führt dazu, dass die bisher unverrückbar geltenden Konventionen verblassen: Privilegien, Standesdünkel und überkommene aristokratische Herrschaftsgefüge lässt Lena hinter sich. Durch die erzwungene Völkerwanderung sind die Menschen, von Sozialisation und Herkunft ursprünglich weit voneinander entfernt, gleicher geworden: Sie stehen alle vor dem Nichts, den Trümmern ihrer Existenzen und müssen, jeder für sich, neu beginnen.

WDR, Freitag, 2. März, 20.15-21.00 Uhr
WDR, Montag, 5. März, 14.15-15.00 Uhr
Eins Extra, 5. März, 20.15-21.00 Uhr
Flüchtlinge und Vertriebene an Rhein, Ruhr und Weser, "Heimweh und Hoffnung" (2/3)


Mit der Währungsreform 1948 und der Gründung der Bundesrepublik 1949 ist für die meisten Vertriebenen die Zeit gekommen, sich eine neue Existenz im Westen zu schaffen, selbst wenn viele noch immer auf eine Rückkehr in die Heimat hoffen. Die Schlesierin Margaret Männich erzählt: "Dann ist irgendwie Anfang der 50er das Bewusstsein gekommen, das hat keinen Zweck hier zu hoffen, da sind jetzt fünf-sechs Jahre vergangen, wir müssen hier sesshaft werden. Wir müssen hier, irgendwo müssen wir bleiben und müssen leben." Einheimische und Vertriebene kommen sich näher, erste Freundschaften entstehen und können doch die Kluft zwischen Hiesigen und Fremden nicht ganz überspringen.

Kein Wunder, dass viele Vertriebene sich in Landsmannschaften organisieren, alleine schon um einen Ort zu haben, an dem sie sich über ihr Heimweh und ihre Hoffnungen austauschen können - auch wenn dies bei den Einheimischen oft Unverständnis und Misstrauen hervorruft. Viele Flüchtlinge haben wegen der Kriegswirren keine abgeschlossene Schulausbildung mehr geschafft, oder sie haben Berufe erlernt, die hier im Westen so nicht gebraucht werden. So versuchen die meisten erst einmal irgendwie Geld zu verdienen. Viele arbeiten weit unterhalb ihrer Qualifikation oder lassen sich für den Bergbau anwerben, der dringend Arbeitskräfte benötigt.

ARD, 4. März, 20.15-21.45 Uhr, Die Flucht, Folge 1 (von 2)
Siehe Inhaltsangabe vom 2. März, ARTE

ARD, Sonntag, 4. März, 23.00-24.00 Uhr, Die Flucht der Frauen
Mehr zum Inhalt auf der Webseite der ARD

ARD, Montag, 5. März, 20.15-21.45 Uhr, Die Flucht, Folge 2 (von 2)
Auf der Flucht vor der nahenden Front führt Lena einen Flüchtlingstreck aus Ostpreußen Richtung Bayern. Unter den Angriffen der Roten Armee bahnt sich der Treck einen mühsamen Weg durch den unbarmherzigen Winter.
Siehe Inhaltsangabe vom 2. März, ARTE

ARD, Montag, den 5. März, 21.45-22.30 Uhr, Hitlers letzte Opfer
Mehr zum Inhalt auf der Webseite der ARD

ORF2, Sonntag, 4.März, 22.00-22.45 Uhr, Heim ins Nichts - Flucht und Vertreibung

Der Dokumentarfilm von Lorenz Gallmetzer beschäftigt sich mit jenem Teil der mehr als zwölf Millionen geflüchteten, vertriebenen oder umgesiedelten Deutschen, die ehemals zur Donaumonarchie gehörten: Sudetendeutsche, Donauschwaben, Siebenbürger und Südtiroler. Anhand von aktuellen Interviews mit Zeitzeugen (in Österreich, Tschechien, Südtirol und Siebenbürgen) und historischen Aufnahmen wird an die dramatischen Ereignisse, wie etwa den Brünner Todesmarsch, erinnert.

Die Historiker Oliver Rathkolb, Leopold Steurer und der Soziologe Vaclav Houzvicka analysieren die Ursachen, die aus Millionen Deutschen die "letzten Opfer Hitlers" gemacht haben: aggressiver Expansionismus, Rassenwahn und ethnische Entmischung. Der Dokumentarfilm erkundet auch die heute herrschende Stimmung unter den Opfern der Vertreibung und ihren Nachkommen sowie die Bemühungen zur Bewältigung der schmerzhaften Vergangenheit.

WDR, Freitag, 9. März, 20.15-21.00 Uhr
WDR, Montag, 12. März, 14.15-15.00 Uhr
Eins Extra, Montag, 12. März, 20.15-21.00 Uhr
Flüchtlinge und Vertriebene an Rhein, Ruhr und Weser, "Eine neue Heimat" (3/3)


Mitte der 50er Jahre ist die Situation für Flüchtlinge und Vertriebene in Nordrhein-Westfalen voller Kontraste. Die erste Generation der Ostpreußen, Schlesier und Sudetendeutschen hat sich längst in ihren adretten Eigenheimen in einer der vielen Flüchtlingssiedlungen des Landes und im Berufleben eingerichtet. Viele sind durch ihre Mitgliedschaft in den örtlichen Vereinen oder im Kirchenchor, manche auch durch Heirat längst Einheimische geworden. Trotzdem ist der landsmannschaftliche Zusammenhalt untereinander enorm wichtig.

Quelle: Pressetexte der TV-Sender

Schlagwörter: Kulturspiegel, Film, Vertriebene und Aussiedler, Zeitgeschichte

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