9. Juni 2007

Gedenkstätte in Dinkelsbühl: "Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft"

Die Feierstunde an der Gedenkstätte am Abend des Pfingstsonntages stand dieses Jahr unter einem besonderen Motto: 40 Jahre Gedenkstätte – das war Grund genug, eine kurze Rückschau zu halten. Dr. Christoph Hammer, Oberbürgermeister von Dinkelsbühl, sprach von der Gedenkstätte als einer „Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft“ und wertete sie als Zeichen der Verbundenheit, des Dankes und der Freundschaft. Sie sei seit ihrer Einweihung 1967 ebenso ein Mahnmal für die Toten wie auch ein Symbol für die Verbundenheit der Siebenbürger Sachsen mit Dinkelsbühl, der Stadt, in der seit über 50 Jahren der Heimattag stattfindet. Besonders hob Hammer hervor, dass die Gedenkstätte nicht von Vergeltung und Rückblick geprägt, sondern ein Zeichen der Hoffnung und der Zukunft sei. „Seien Sie uns heute und auch in Zukunft herzlich in Ihrer Stadt Dinkelsbühl willkommen“ – mit diesen Worten schloss der Oberbürgermeister seine kurze Rückschau und übergab an Pfarrer i.R. Kurt Franchy, Ehrenvorsitzender des Hilfskomitees der Siebenbürger Sachsen und evangelischen Banater Schwaben im Diakonischen Werk der EKD, dessen Ansprache hier im Wortlaut veröffentlicht wird.
Seit 40 Jahren versammeln wir uns am Heimattag der Siebenbürger Sachsen, an unserem Heimattag, vor diesem Denkmal. Den langen Fackelzug begleitet die Knabenkapelle von Dinkelsbühl mit dumpfem Trommelwirbel. Von ganz weit her, als käme ihr Klang aus dem fernen Siebenbürgen, dringt zu uns herüber das zarte Stimmchen der Heimatglocke. Sobald wir die Allee betreten, die uns zu dem Denkmal führt, werden wir stiller. Mit jedem Schritt steigt die Spannung, und wir werden von einem sonderbaren Gefühl erfasst, denn hier begegnen wir einem Geheimnis. Es ist, als würden wir hier, wie in einem Dom etwas Jenseitigem, Ewigem gegenüber stehen. Wenn dann gegen Ende der Gedenkfeier der Choral „Ich bete an die Macht der Liebe, die sich in Jesus offenbart“ erklingt, wird jedem, der den Text noch kennt, deutlich, wie sich in diesen Minuten der Ort verwandelt. Vor unserem Auge taucht die Vergangenheit auf. Ich sehe mich als zehnjährigen Jungen auf den langen Wegen der Evakuierung aus Nordsiebenbürgen im Herbst 1944. Bomben fallen, Tiefflieger schießen auf uns, wir hungern, Kinder und Alte sterben und werden unterwegs begraben. Für junge Menschen unter uns sind solche Szenen nur aus Filmen oder verblassten Fotos bekannt. Nach 62 Jahren Frieden in Mitteleuropa erscheint vielen manches unwahrscheinlich, ja unglaublich.

Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer spricht zum 40-jährigen Jubiläum der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl. Foto: Dr. Bernd Fabritius
Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer spricht zum 40-jährigen Jubiläum der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl. Foto: Dr. Bernd Fabritius

In uns vollzieht sich ein Wandel. Aus fröhlichen, vom Wiedersehen dankbar erfüllten Herzen, von Gott lobenden und im Gottesdienst von Heimatgefühlen erhabenen Glaubensbekennern, aus stolzen Trachtenträgern am heutigen Vormittag, werden wir hier zu nachdenklichen, von Trauer bewegten Menschen.

An diesem Ort sollten wir es uns verbieten von Ruhmestaten oder von hehren Opfern für Volk und Vaterland zu sprechen. Hier gedenken wir der Toten unseres Völkchens, der Geopferten. Es kann nicht ausbleiben, dass Fragen in uns aufsteigen, Fragen nach dem Warum.

Wir würden es uns zu einfach machen, den Machthabern vergangener Tage Schuld zuzuschreiben. Aber wir wollen auch denen das Wort nicht reden, die von uns nach bald 100 Jahren Schuldbekenntnisse abverlangen. Es haben sich Katastrophen von europäischen Dimensionen ereignet, und unser kleiner Volksstamm ist von ihnen nicht verschont geblieben. Schuld entsteht erst dort, wo aus Katastrophen nicht gelernt wird. Wo man falsche Konsequenzen zieht. Darum stellt sich an diesem Ort für uns die Frage: Welche Konsequenzen haben wir daraus gezogen, und welche haben wir daraus zu ziehen?

Wir stehen vor diesem Denkmal und damit an der Schnittstelle zwischen Tod und Ewigkeit auf der einen, Leben und Zukunft auf der anderen Seite. Schnelle Schlüsse dürfen hier nicht gezogen werden. Vielleicht ist es ratsam, uns auch von dem Zeitraum, vom Ersten bis nach dem Zweiten Weltkrieg, wie das Denkmal es uns sagt, von einem Gedankengang, der in die Enge führt, zu lösen.

Hinter uns liegt eine lange Geschichte. 900 Jahre Geschichte eines kleinen, fern von seinem Ursprung, von Rhein und Mosel angesiedelten deutschen Volksstammes. Neben den vergänglichen Gütern, dem gepriesenen „Gold und Rebensaft“ wurden auch viele Verluste, Leiden und Tod in den Chroniken verzeichnet. Als unsere Vorfahren nach Siebenbürgen aufbrachen, lockten sie nicht nur Freiheit, Wohlstand und von Königen geschützte Sonderrechte. In ihrem Auftrag stand: „ad retinendam coronam“ – zum Schutz der Krone, also der Grenzen des Landes. Die Einwanderer wurden an die religiösen, kulturellen und wirtschaftlichen Grenzen des damaligen Europa gestellt. Hermannstadt, Kronstadt, Bistritz und die vielen Kirchenburgen waren Grenzwächter. Es galt eine Kultur und den Glauben zu schützen und zu verteidigen. Unsere Vorfahren haben in den verflossenen Jahrhunderten ungezählte Opfer erbracht. In Erfüllung ihres Auftrages ist viel Blut geflossen. Oft standen Frauen und Kinder an Gräbern von Angehörigen, deren Leben für gerechte Ziele geopfert wurde. Andere haben die Grabstätten ihrer Lieben nie gesehen.

Heute, wie an jedem Pfingstsonntagabend sind wir an diese Stelle gekommen, um derer zu gedenken, die, wie wir auf dem Denkmal lesen können, „in zwei Weltkriegen und schweren Nachkriegsjahren deutsches Schicksal teilend“ ihr Leben lassen mussten. Die Inschrift beantwortet unsere Fragen nach dem Warum nicht. Die Geschichtsforscher werden sich um eine korrekte Antwort noch zu bemühen haben. Doch eines steht schon heute fest: Bei den schicksalsschweren Entscheidungen des erwähnten Zeitraums wurde von den Verantwortlichen nach dem Willen Gottes, nicht wirklich gefragt. Unglauben und Hybris hatten das Liebes- und Friedensgebot Jesu Christi aus den Köpfen und Herzen zu verdrängen versucht.

Wir gedenken „der Söhne und Töchter Siebenbürgens, die, ihr Leben“ „im Osten“, „im Süden“, „im Westen“, „im Norden“, hinter Stacheldraht“, „auf der Flucht“, „in der Heimat“ lassen mussten. Der Stadt Dinkelsbühl und seinen Bürgern danken wir, dass wir diese Stätte des Gedenkens haben dürfen.

Seit der Entstehung und Einweihung des Denkmals sind Jahrzehnte verstrichen. In diesem Zeitabschnitt haben große Veränderungen stattgefunden. Zehntausende ehemals aus Nordsiebenbürgen evakuierte und geflohene Landsleute, Russlandheimkehrer aus Zwangsdeportation und Gefangenschaft, haben nach ernstlichem Prüfen und Gewissensplagen entschieden, im freien Westen zu bleiben. Die systematische Erschütterung des Glaubens an eine bessere Zukunft, unter dem kommunistischen Regime in Rumänien haben schließlich zu dem Massenexodus geführt, der nach menschlichem Ermessen, die 900-jährige Geschichte eines deutschen Volksstammes in Siebenbürgen an ihr Ende gebracht hat.

Nicht alle Opfer waren vergebens

Mancher Friedhof wurde zur Wüste oder Hutweide. Manchenorts kann man die Namen unserer Toten kaum noch lesen. Grabsteine wurden zu Haustreppen und dem Bau von Fundamenten verwendet. Und seit langem ruhen viele unserer lieben Verstorbenen in ungezählten Orten und Ländern, mit denen uns Geschichte kaum verbindet. Auch in diesem Sinne sind „Wir in Europa“. Und doch! Wenn wir zurück blicken, erkennen wir: Nicht alle Opfer waren vergebens. Die vor Jahrhunderten im Kampf mit Mongolen, Tataren und Türken nicht, und die im vergangenen Jahrhundert auch nicht.

Millionen Menschen sind zu der Einsicht gekommen, dass die auf unserem kleinen Kontinent geführten Kriege sinnloses Sterben verursacht haben. Die Geopferten der Kriege, dieser furchtbaren europäischen Katastrophen, haben uns die Erkenntnis vermittelt, dass wir durch diese Opfer einem tausend Jahre alten Traum der Verwirklichung näher gekommen sind: einem vereinten Europa, der Europäischen Union. Eine trennende Mauer und die von unvorstellbar grausamen Waffen geschützten Grenzen fielen über Nacht. Die Völker unseres geschundenen und von Blut getränkten Europa können jetzt zueinander finden. Noch ist das Werk nicht vollendet. Es bedarf noch mancher Einsicht und noch vieler Bemühungen, um ein Europa zu schaffen, in dem friedliches Ringen, tolerantes und respektvolles Nebeneinander sowie bewährte Werte neues Leid und sinnloses Sterben verhindern und der übrigen Welt ein Vorbild werden.

Lassen sie uns von diesem Ort des Gedenkens in unsere Lebensbereiche zurückkehren und mit Herz und Hand dafür eintreten, dass das große Werk, die Europäische Union, gelingt. Gott, der Schöpfer und Erhalter dieser Welt, möge seinen Segen dazu geben.

Pfarrer i.R. Kurt Franchy

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 9 vom 15. Juni 2007, Seite 9)

Schlagwörter: Heimattag, Gedenken, Flucht und Vertreibung

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