6. September 2009

Tag der Heimat: "Wahrheit und Gerechtigkeit – ein starkes Europa"

„Zu einem Gedenken nach den Maßstäben von Wahrheit und Klarheit gehört auch die Erinnerung an das Leid und das Unrecht der Vertreibung. (...) Wir erinnern, damit die Ereignisse von Flucht und Vertreibung des 20. Jahrhunderts Mahnung für alle für die Zukunft sind. Wir erinnern, um Wahrhaftigkeit und echter Versöhnung mit unseren Nachbarn eine Lebensfähigkeit zu geben. Wahrhaftige Erinnerung, um daraus zu lernen und Gegenwart und Zukunft in Versöhnung zu gestalten – das ist unsere Aufgabe heute.“ Mit diesen Worten stellte Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel als Festrednerin beim diesjährigen Tag der Heimat des Bundes der Vertriebenen (BdV) am 22. August in Berlin klar, dass die Erinnerung an die Vertreibung der Deutschen auch weiterhin eine wesentliche Aufgabe der kommenden Generationen bleiben werde.
Die Festveranstaltung, an der seitens des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland der Bundesvorsitzende Dr. Bernd Fabritius sowie die stellvertretenden Bundesvorsitzenden Alfred Mrass und Rainer Lehni teilnahmen, stand unter dem Leitwort „Wahrheit und Gerechtigkeit – Ein starkes Europa!“. Bundesinnenminister a.D. Otto Schily wurde mit der Ehrenplakette des Bundes der Vertriebenen ausgezeichnet.

Die Geschichte von Flucht und Vertreibung gehe uns alle an und sei Teil unserer nationalen Identität und unserer gemeinsamen Erinnerungskultur. Deshalb sei es wichtig, dass Zeitzeugen befragt würden, betonte die Kanzlerin. Die Kinder und Enkel der Vertriebenen, aber auch viele andere, stellten heute Fragen, die ehrlich und offen beantwortet werden müssten, nicht zuletzt, damit nicht neues Leid durch Leugnung, Verdrängung und Nichtachtung geschehe. Die Wahrheit lasse sich auf Dauer nicht leugnen, sagte die Bundeskanzlerin mit Verweis auf das diesjährige Leitwort des BdV: „Wahrheit und Gerechtigkeit – ein starkes Europa!“

Dem breiten Bedürfnis nach Erinnerung und als Mahnung für die Zukunft solle künftig durch die neue Stiftung „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ Rechnung getragen werden, die in der Trägerschaft des Deutschen Historischen Museums errichtet wurde und deren Umsetzung eine Aufgabe der nächsten Legislaturperiode sein werde. Merkel erinnerte an ihr Versprechen von 2005, eine Dokumentationsstätte für Flucht und Vertreibung zu unterstützen, das sie nun mit der Stiftung eingelöst habe. Sie dankte nachdrücklich der BdV-Präsidentin Erika Steinbach, die über Jahre hinweg einen maßgeblichen Beitrag dazu geleistet habe.

Schnelle Hilfe für Bistritzer Stadtpfarrkirche geleistet

Merkel betonte, dass es ihr immer ein wichtiges Anliegen gewesen sei, Menschen zu unterstützen, denen die Heimat genommen wurde. „Heimat ist nicht nur der Ort, an dem man lebt, Heimat ist auch ein Gefühl der Zugehörigkeit zu Menschen, zu einer Region, zu einer Kultur, zu einer Landschaft. Heimat hat viel mit der eigenen Kindheit zu tun. Heimat schafft Identität“, bekräftigte die Bundeskanzlerin, deren Festrede auch einen besonderen siebenbürgischen Akzent hatte: „Einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt des deutschen Kulturerbes leisten wir auch durch die Förderung der Denkmalpflege. So konnten wir zum Beispiel im Juni 2008 schnelle Hilfe leisten, nachdem im siebenbürgischen Bistritz der frisch renovierte Kirchturm der evangelischen Stadtpfarrkirche in Flammen aufging.“, erklärte Merkel und führte weiter aus: „Die Initiative für solche Vorhaben kommt oft aus den Landsmannschaften. Dafür sei allen, die viel Zeit, Kraft und Geld investieren, ein ganz herzliches Dankeschön gesagt. Ohne Ihre private Initiative ginge das überhaupt nicht. (...) Deutsche Kultur in Osteuropa ist an vielen Orten durch Deutsche lebendig, die dort leben. Diese deutschen Minderheiten sind ein Schatz, den es zu pflegen gilt.“

Dass die Integration in die Nachkriegsgesellschaft gelang, und zwar in beiden Teilen Deutschlands, sei und bleibe vor allem ein Verdienst der Vertriebenen selbst. Dabei habe das verantwortungsvolle Verhalten der Vertriebenenverbände eine wichtige Rolle gespielt, die die Interessen der Vertriebenen konsequent und selbstbewusst wahrgenommen hätten, ohne sich vom Wunsch nach Rache oder Vergeltung leiten zu lassen. Insbesondere lobte die Kanzlerin die stets ausgestreckte Hand der Vertriebenen, die nicht müde geworden seien, für Versöhnung einzutreten.

Merkel erinnerte an die deutsche Verantwortung für den Ausbruch des Krieges und wies darauf hin, dass Flucht und Vertreibung unmittelbare Folge des Krieges und der Verbrechen des Nationalsozialismus seien. Die Vertreibungen am Ende des Zweiten Weltkriegs seien ein Ausdruck, aber nicht der Schlusspunkt einer Politik, die die Umsiedlung und Vertreibung von Menschen als ein Mittel der Politik verstanden hätte. Nun müsse der Gedanke Platz greifen, sich weltweit dafür einzusetzen, dass Menschen- und Minderheitsrechte, Toleranz und Vielfalt geschützt werden und Vertreibung als Mittel der Politik nicht mehr angewendet werden dürfe. Nur in einem geeinten Europa sei deshalb dauerhafter Frieden möglich. Die Heimatvertriebenen hätten die europäische Dimension von Anfang an zu ihrem Selbstverständnis gemacht. Der Bund der Vertriebenen sei nicht nur ein wichtiger und unermüdlicher Bewahrer von Erinnerung. Er sei als Wegbereiter zur dauerhaften Versöhnung auf die Zukunft ausgerichtet.

BdV-Präsidentin Erika Steinbach, MdB, konnte im vollbesetzten Saal des Internationalen Congress Centrum (ICC) fast 2 000 Gäste zum Tag der Heimat begrüßen, unter ihnen eine Reihe von Bundestagsabgeordneten und Botschaftsmitgliedern sowie Vertreter der Kirchen und des öffentlichen Lebens. Aus Baden-Württemberg war Innenminister Heribert Rech angereist.

Steinbach ließ in ihrer Ansprache die vergangenen 70 Jahre Revue passieren und erinnerte an die Verdienste der Heimatvertriebenen beim Aufbau Nachkriegsdeutschlands: „Trotz der Entwurzelung, trotz der Traumata, trotz der Verzweiflung und trotz der Ablehnung, die ihnen von Seiten der Nichtvertriebenen landauf landab entgegenschlug, haben sich die Vertriebenen nicht als Sprengstoff unserer Gesellschaft und unseres Staates verstanden oder missbrauchen lassen, sondern sie waren die Hefe des bundesrepublikanischen Wirtschaftswunders und unserer Gesellschaft. Sie gestalteten dieses Land von Anbeginn auch politisch mit“, so Steinbach.

Die Präsidentin erinnerte daran, dass ursprünglich auf allen politischen Ebenen der Wille vorhanden war, das Schicksal der Vertriebenen als gesamtdeutsches Schicksal zu sehen. Dies änderte sich in den 60er Jahren, wobei es über die neue Ostpolitik Willy Brandts zu Spannungen zwischen den Vertriebenen und der SPD kam. „Das mediale und intellektuelle Klima in Deutschland aber stand schon lange gegen die Vertriebenen. Häme und Bösartigkeit gegenüber landsmannschaftlichen Treffen, Mitleidslosigkeit gegenüber den Opfern waren nicht Ausnahme, sondern Regel“, betonte Steinbach. Das Jahr 1990 sei eine zweifache Befreiung gewesen: „Politische Freiheit und die Erlösung, endlich traumatische Erinnerungen artikulieren zu dürfen, sich zusammenschließen zu können.“

Steinbach zog auch Bilanz über die Erfolge der Stiftung ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN. Im Jahr 2000 gegründet, habe sie bisher viel erreicht. Das lebhafte Interesse für das Schicksal der Vertriebenen sei in der Öffentlichkeit spürbar. Es gebe heute deutlich mehr Verständnis für dieses deutsche Schicksalsthema als noch wenige Jahre zuvor. Es sei eine längst überfällige Aufgabe Deutschlands, endlich eine Dokumentationsstätte in Berlin zu schaffen, in der das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen und Aussiedler mit ihrer Siedlungs- und Kulturgeschichte den nachfolgenden Generationen vermittelt wird. Von diesem Schicksal sei nahezu jede vierte Familie in Deutschland betroffen. Dieses gemeinsame Anliegen sei nun mit der staatlichen Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ erreicht worden. Die Präsidentin dankte allen Unterstützern der letzten Jahre für ihre Hilfe und erinnerte in dem Zusammenhang an ihren langjährigen verstorbenen Mitvorsitzenden Peter Glotz. Insbesondere dankte sie Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich schon „früh an unsere Seite gestellt“ habe.

Heftig wandte sich die Präsidentin gegen Rechtfertigungsversuche der Vertreibung. Die Verbrechen der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft seien keine Entschuldigung für Massenvertreibungen. Der historische Verlauf sei weiträumig und sehr komplex. Wer ihn unterschlage, begehe „Geschichtsverfälschung“. Schon früh hätten die Vertriebenen begonnen, den Weg der Versöhnung zu gehen. Sie hätten rechtzeitig erkannt, dass dauerhafter Frieden nur in einem geeinten Europa, in dem die Völker miteinander und nicht gegeneinander wirken, zu finden sein wird. Anschließend zeichnete die Präsidentin den früheren Bundesinnenminister Otto Schily mit der Ehrenplakette des Bundes der Vertriebenen aus. In der Laudatio heißt es unter anderem: „Schilys politisch mutigen und nicht immer unumstrittenen Aussagen haben dazu beigetragen, dass das Bild der deutschen Heimatvertriebenen in der öffentlichen Meinung der Bundesrepublik nicht mehr so stark durch Vorurteile und Einseitigkeit geprägt ist. Dies wiederum ermöglichte in den letzten Jahren eine breite Diskussion in den Massenmedien über das Leid und das Schicksal der Heimatvertriebenen am Ende des Zweiten Weltkrieges und in den schrecklichen Jahren danach.“ - „Gegen Kritik kann man sich zur Wehr setzen, gegen Lob ist man machtlos.“ Mit diesen Worten dankte der frühere Bundesinnenminister Otto Schily für die Ehrung. Schily wies darauf hin, dass man nicht immer einer Meinung sein müsse. Hauptsache sei, dass man miteinander spreche. „Es braucht den offenen Dialog.“

Walter Stratmann (DOD)

Schlagwörter: BdV, Vertriebene und Aussiedler

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