7. Juli 2011

Podiumsdiskussion beim Heimattag: Licht bringen in Securitate-Verstrickungen

Marianne Hügel ist Opfer einer Falschmeldung geworden. Ein Informeller Mitarbeiter des Geheimdienstes Securitate hatte 1961 über sie berichtet, sie hätte sowjetische Filme als „gut für die Schweine“ bezeichnet. Diese Aussage führte dazu, dass die damals siebzehnjährige Agnethlerin aus dem Gymnasium exmatrikuliert wurde und in die Fabrik arbeiten gehen musste. Ihre schulische und berufliche Laufbahn wurde erheblich erschwert. „Der Rausschmiss hat mir seelisch so viel angetan, dass ich es auch heute kaum verkraften kann“, sagte sie bei der Podiumsdiskussion „Die Wahrheit? Mit Sicherheit? Rund um das Archiv der Securitate“, mit der der 61. Heimattag der Siebenbürger Sachsen am 13. Juni 2011 im Kleinen Schrannensaal in Dinkelsbühl ausklang.
Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus im Dezember 1989 hat Rumänien seine Freiheit wiedererlangt. Der Securitate ist es jedoch gelungen, viele Unterlagen zu vernichten oder verschwinden zu lassen, mit dem Ziel, die Spuren ihrer Tätigkeiten zu verwischen. Nach der 1999 erfolgten Gründung des Nationalen Rates für das Studium der Securitate-Archive (CNSAS), einer der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen vergleichbaren Einrichtung, haben nun auch viele Siebenbürger Sachsen ihre Securitate-Akte in Bukarest eingesehen.

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Damit wird immer mehr aktenkundig, dass es auch Landsleute gab, „die sich für die politische Polizei und gegen ihre Nächsten gestellt haben“, wie die Politologin Dr. Anneli Ute Gabanyi, die die Podiumsdiskussion moderierte, einführend feststellte. Diese Leute hofften, weiterhin unerkannt zu bleiben. Das Ganze müsse dabei sehr nuanciert betrachtet werden, neben Tätern und Opfern gebe es viele Abstufungen: Mitwisser, Mitschweiger usw.

Am Anfang einer wissenschaftlichen Aufarbeitung müssten daher die Fakten stehen, stellte Gabanyi fest. Das ermöglichten beispielsweise 1073 Forscher, die bei der CNSAS zugelassen sind, und die gute Zusammenarbeit mit der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU). Die CNSAS-Behörde in Bukarest ist ebenso wie andere osteuropäische Einrichtungen zur Aufarbeitung der politischen Polizei mit der BStU vernetzt. „Trotzdem werden wir nie zu einem Endergebnis kommen, da brisante Akten der Securitate gezielt vernichtet wurden. Wir müssen uns mit allen uns möglichen Mitteln der Aufarbeitung der Securitate-Vergangenheit stellen“, betonte Dr. Gabanyi.
Podiumsdiskussion: Sie versuchen die Aufarbeitung ...
Podiumsdiskussion: Sie versuchen die Aufarbeitung der Securitate-Vergangenheit voranzubringen, von links: Peter Motzan, Anneli Ute Gabanyi, Stefan Sienerth, Christian Schoger (nicht auf dem Bild: Hermann Schuller). Foto: Konrad Klein
Einen ähnlichen Standpunkt vertreten auch die beiden Germanisten und Literaturwissenschaftler Prof. h.c. Dr. Stefan Sienerth und Prof. h.c. Dr. Peter Motzan, die tags zuvor mit dem Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreis 2011 ausgezeichnet worden waren. Seit 2006 betreuen sie als Direktor bzw. Stellvertretender Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) an der LMU München das Projekt „Rumäniendeutsche Literatur im Spiegel und Zerrspiegel der Securitate“. Bei einer IKGS-Tagung im Dezember 2009 in München setzten Schriftsteller ihre Erfahrungen in Bezug zu ihren Securitate-Akten. Die Aufarbeitung der Vergangenheit steht allerdings noch am Anfang: „Wir brauchen noch sehr viele Beispiele. Wir wollen vorerst Fälle beschreiben, Mechanismen erläutern, um später Statistiken und Schlussfolgerungen vorlegen zu können“, betonte Dr. Stefan Sienerth. Man maße sich dabei keinesfalls die Rolle einer Instanz an, die andere verurteile, ebenso wenig betreibe man eine Hexenjagd. Vielmehr wolle man sich mit den Mitteln der Wissenschaft der Aufgabe stellen, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Es gebe moralische und christliche Grundsätze, an die man sich auch in Diktaturen halten müsse. „Wir sind der Wahrheit verpflichtet, wir dürfen die Tatsachen nicht einkleistern“, sagte Sienerth. Das Wissen um diese Vergangenheit bedeute Aufklärung und trage zur Versöhnung bei.

Dr. Peter Motzan erläuterte die historischen Hintergründe: Nicolae Ceaușescu habe 1968 die Securitate unter die Kontrolle der Partei gestellt. Auf den stalinistischen Terror sei zwar verzichtet worden, „aber Ceaușescu hatte eine panische Angst vor möglichen Widersachern“. Sein Ziel sei eine flächendeckende Überwachung mit speziellen Schwerpunktbereichen gewesen, zu denen die Schriftsteller, Künstler und die deutsche Minderheit gehörten. Diese Ethnie habe wegen der sprachlichen Nähe zu Westeuropa unter Generalverdacht gestanden, wie die umfangreiche Sammelakte über „Deutsche Faschisten und Nationalisten“ („Fasciști si naționaliști germani“) im Archiv der ehemaligen Securitate belege. Obwohl nach 1945 nur noch höchstens 380 000 Deutsche in Rumänien lebten, habe die Securitate ihr sehr viel Aufmerksamkeit und enorme Ressourcen gewidmet.

Um Informelle Mitarbeiter (IM) anzuwerben, verwendete die Securitate ausgefeilte Methoden und Strategien, die von Zwang und Kompromittierung über Überzeugung bis hin zu materiellen Zuwendungen und Privilegien reichten. Peter Motzan erläuterte ein Kommunikationsschema, aufgrund dessen zu untersuchen sei, unter welchen Umständen, zu welchem Zeitpunkt, mit welchen Absichten und welchen Auswirkungen die Aussagen der IM getroffen wurden. Eine Vernichtung der Bespitzelten sei nicht zwingend erforderlich gewesen – trotzdem habe es bösartige Denunziationen gegeben.

Die Verleihung des Literaturnobelpreises an Herta Müller und der Fall „Otto Stein“ (Oskar Pastior) haben das Thema Securitate in das Licht der großen Öffentlichkeit gerückt. Das mediale Interesse sei eine Chance, sich damit zu befassen. „Alle Gegenargumente genügen nicht, um das Thema zu tabuisieren“, unterstrich Christian Schoger, Redakteur der Siebenbürgischen Zeitung (SbZ), der den vielbeachteten Artikel "Über den Sinn von Aufklärung und die Schädlichkeit des Verdrängens" verfasst hat als Reaktion auf Leserbriefe. Die Redaktion habe Informationen, erwiesene Fakten und Berichte von Zeitzeugen verbreitet, erklärte Schoger. Dabei seien nur einige wenige namhafte Autoren erwähnt worden. Begonnen hatte es mit dem Fall Oskar Pastior, Werner Söllner hatte sich im Dezember 2009 auf der erwähnten IKGS-Tagung als IM offenbart, Horst Weber bekannte sich in einem Leserbrief in der Hermannstädter Zeitung als IM „Vladimir“, und Dr. Claus Stephani äußerte sich in der FAZ zu seiner IM-Tätigkeit in den frühen 1960er Jahren. „Wir werden dem Thema weiterhin offen gegenüber stehen. Wir sollen aufarbeiten wollen, und zwar ergebnisoffen“, sagte Schoger.

Dekan i.R. Hermann Schuller, Vorsitzender des Hilfskomitees der Siebenbürger Sachsen und evangelischen Banater Schwaben im Diakonischen Werk der EKD, schilderte ein persönliches Erlebnis. Mehrere Pfarrer hätten im Herbst 1970 im Freundeskreis in Kleinschelken gefeiert und seien vom plötzlichen Besuch des zuständigen Kultusinspektors, des offiziellen Vertreters der Staatmacht gegenüber der Kirche, unterbrochen worden. In den nächsten Tagen habe die Securitate alle Teilnehmer verhört und ihnen zu verstehen gegeben, dass man über ihr Tun Bescheid wisse. Aufgrund dieser Erfahrung sprach sich auch Hermann Schuller für eine Fortsetzung der wissenschaftlichen Aufarbeitung aus, wobei es stets nötig sei, auch die andere Seite anzuhören („audiatur et altera pars“) und mit den Unterlagen sehr vorsichtig umzugehen, seien sie doch „Fäkalien der Geschichte“, wie der Pfarrer und frühere DDR-Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer festgestellt hatte.

Die Wortmeldungen aus dem Publikum zeigten, wie stark und aus welch unterschiedlichen Perspektiven das Thema Securitate die Siebenbürger Sachsen beschäftigt. Besorgt zeigte sich Pfarrer Dr. Christian Weiss, Vorsitzender der Sektion Genealogie des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde, darüber, dass er in Siebenbürgen fälschlicherweise in den Ruf gekommen sei, Mitarbeiter der Securitate gewesen zu sein. Diesen Ängsten stellte Stefan Sienerth entgegen, dass ein Studium der Securitate-Akten auch dazu führen könne, ungerechtfertigte Verdächtigungen aus dem Weg zu räumen.

Nach Ansicht des ehemaligen Kronstädter Stadtpfarrers Mathias Pelger war der Ungarnaufstand von 1956 ein einschneidendes Ereignis für die Securitate, die ihre Methoden danach verändert und vermehrt Informelle Mitarbeiter unter den Deutschen angeworben habe. Nach Einsicht in viele Securitate-Unterlagen sei er überrascht gewesen, wie bereitwillig einige Sachsen mitgemacht, während andere sich heftig dagegen gesträubt hätten.

Bettina Ganzert, die tags zuvor mit dem Siebenbürgisch-Sächsischen Jugendpreis ausgezeichnet worden war, kündigte an, dass sie ihr Preisgeld für ein Projekt zur Verfügung stelle, in dessen Rahmen junge Leute Interviews mit Zeitzeugen durchführen sollen. Der Regisseur Günter Czernetzky, der schon viele Zeitzeugenvideos erstellt hat, rief seine Landsleute auf, ihre Erfahrungen zu erzählen. Er wolle dazu beitragen, die Mosaiksteine zusammenzutragen und „uns der Wahrheit zu nähern“.

Auf die Notwendigkeit der Aufarbeitung der Securitate-Vergangenheit wies Dr. Bernd Fabritius, Bundesvorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen, hin. Das Thema Securitate bewege unsere Gemeinschaft und habe das Potenzial zu spalten. Es sei nötig, versöhnlich miteinander umzugehen, und dazu gehöre auch, dass die Täter Wahrhaftigkeit zeigten und aufrichtig mit ihren Opfern umgingen.

Bernd Fabritius dankte den beiden Kulturpreisträgern Stefan Sienerth und Peter Motzan, die ihre Dotierung des Kulturpreises an den Verband der Siebenbürger Sachsen mit der Auflage gespendet haben, einen Solidaritätsfonds zur Unterstützung von Securitate-Opfern in rechtlichen Auseinandersetzungen einzurichten. Zudem habe der Verband eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die einen wissenschaftlichen Beirat und eine Kommission zur Aufarbeitung der Securitate-Vergangenheit ins Leben rufen soll. Die in wissenschaftlicher Unabgängigkeit tätigen Gremien werden mit Forschern und Fachleuten besetzt, die das Thema sachlich behandeln werden. Damit dürfte auch Opfern wie Marianne Hügel geholfen werden, Licht in dieses dunkle Kapitel der kommunistischen Vergangenheit zu bringen.

Siegbert Bruss

Schlagwörter: Heimattag 2011, Podiumsdiskussion, Securitate, Verbandspolitik

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