6. März 2012

Begegnung mit Joachim Gauck

Auf Einladung des Bundespräsidialamtes nahm Horst Göbbel, Vorsitzender des Hauses der Heimat in Nürnberg e.V. und Träger des Bundesverdienstkreuzes, an der vom Alt-Bundespräsidenten Christian Wulff angeregten „Gedenkveranstaltung für die Opfer rechtsextremistischer Gewalt“ teil, die am 23. Februar im Konzerthaus Berlin stattfand. Dabei kam es zu einem Treffen mit Joachim Gauck, der vier Tage zuvor offiziell als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten vorgeschlagen wurde. Im folgenden Bericht schildert Horst Göbbel seine Eindrücke.
Zunächst bat Bundeskanzlerin Merkel in ihrer Rede die Angehörigen der Neonaziopfer um Verzeihung, versprach Aufklärung der Verbrechen sowie Bestrafung der Täter und Mittäter und äußerte sich sehr klar und weitblickend auch zum Thema Zusammenleben in Deutschland. „Demokratie zu leben mutet uns zu, Verantwortung zu übernehmen für ein Zusammenleben in Freiheit – und damit für ein Leben in Vielfalt. Gelingt dies, kann Vielfalt ihren Reichtum zum Besten aller entfalten.“ Angela Merkel hob hervor, dass Deutschland diese Erfahrung in seiner Geschichte immer wieder gemacht habe, denn es sei „auch eine Geschichte der Auswanderung und der Zuwanderung. So wurden Brücken in alle Welt geschlagen.“ Seinen Wohlstand verdanke Deutschland „zu einem guten Teil seiner Weltoffenheit und seiner Neugier auf andere.“ Sie fügte hinzu: „Wir leben hierzulande von Verschiedenheit, von den unterschiedlichsten Lebenswegen. Deutschland – das sind wir alle; wir alle, die in diesem Land leben; woher auch immer wir kommen, wie wir aussehen, woran wir glauben, ob wir stark oder schwach sind, gesund oder krank, mit oder ohne Behinderung, alt oder jung. […] Wir alle gemeinsam prägen das Gesicht Deutschlands, unsere Identität in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts – getragen von unserem Grundgesetz und seinen Werten, unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, formuliert in unserer Sprache. Gemeinsam verteidigen wir alle, die wir uns zu diesen Werten bekennen, die in unserer Verfassung zu Beginn festgeschriebene unantastbare Würde des Menschen.“

Semiya Șimșek, Tochter des am 9. November 2000 in Nürnberg ermordeten Enver Șimșek, betonte in ihrer emotionalen Rede neben dem Wunsch der vollständigen Aufklärung und strafrechtlichen Ahndung der Verbrechen die Notwendigkeit, unbedingt weiter standhaft gegen den Rechtsextremismus vorzugehen, und zwar „wir alle gemeinsam, zusammen – nur das kann die Lösung sein“.
Joachim Gauck im Gespräch mit Horst Göbbel. Foto: ...
Joachim Gauck im Gespräch mit Horst Göbbel. Foto: privat
Am Ende der Gedenkstunde eröffnete sich auch mir die Gelegenheit, den Kandidaten für das Bundespräsidentenamt, Joachim Gauck, kurz zu treffen. Ich stellte mich vor: „Herr Gauck, ich heiße Horst Göbbel, bin Siebenbürger Sachse und überbringe Ihnen aus Nürnberg Grüße vom Haus der Heimat und vom Integrationsrat.“ Bei den Wörtern „Nürnberg“ und „Siebenbürgen“ strahlte Joachim Gauck besonders. Es ging ihm, war mein Eindruck, so wie uns, wenn wir irgendwo in der Welt zufällig auf Siebenbürger Sachsen treffen und sofort als Landsleute innerlich frohlocken. Seine Lebenspartnerin wohnt in Nürnberg. Ich habe zudem den Begriff „Siebenbürger Sachse“ mit Bedacht gewählt, weil ich wusste, Joachim Gauck als früherer Bürger der DDR kann damit ebenso wie mit den Begriffen Diktatur, Stasi, Securitate im Vergleich zu vielen anderen etwas sehr Konkretes verbinden. Unser anschließendes kurzes Gespräch zu Nürnberg, zu Stasi, zu Siebenbürgen war sehr herzlich.

Joachim Gauck ist unter anderem – dies habe ich aus verschiedenen Erklärungen, Reden oder Äußerungen von ihm längst erfahren (im Februar 2000 hielt er einen Vortrag über Sinn und Arbeit der „Gauck-Behörde“ in unserer Schule, dem Hans-Sachs-Gymnasium Nürnberg, und auch ich konnte damals mit ihm in lockerer Atmosphäre diskutieren) – ein aufgeschlossener Bürger, für den wie für uns die Freiheit etwas besonderes Wertvolles darstellt. „Joachim Gauck hat über die Geschichtsvergessenheit der heutigen Jugend geklagt“, schreibt FOCUS. Der 72-Jährige bedauert, dass es „bei vielen Jugendlichen vor allem an Kenntnissen über die osteuropäische Geschichte“ mangele. Im heutigen Europa fehle es generell an einer Auseinandersetzung mit dem Osteuropa des Kalten Krieges. „In Europa wird gerade so getan, als ob es nur eine Erinnerung an eine westdeutsche Geschichte gibt, nicht aber auch eine osteuropäische.“

Schließlich sei erwähnt, dass Joachim Gauck in seiner Dankesrede als Börne-Preisträger am 5. Juni 2011 in der Paulskirche in Frankfurt am Main zum Thema Zusammenleben sagte: „ In dem weiten Raum einer offenen Gesellschaft gibt es viel Platz für Verschiedenheit. Und wenn Fremde bei uns einwandern, haben sie die Freiheit, auch die Sprachen, Kulturen und Religionen, die sie aus ihren Herkunftsländern mitbringen, uneingeschränkt zu pflegen.“. Dies gilt eindeutig auch für uns Siebenbürger Sachsen.

Ich freue mich, demnächst einen Präsidenten zu haben, der, wie Horst Köhler, mit Osteuropa, mit Siebenbürgen und den Siebenbürger Sachsen etwas Konkretes verbinden und in dem neuen Amt integrierend wirken kann.

Horst Göbbel

Schlagwörter: Politik, Integration, Bundespräsident

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