9. September 2015

Mehr Empathie für Flüchtlinge

Das vom Bund der Vertriebenen (BdV) für dieses Jahr ausgerufene Leitwort zum Tag der Heimat „Vertreibungen sind Unrecht – gestern wie heute“ zog sich wie ein roter Faden durch die zentrale Festveranstaltung am 29. August im Humboldt-Saal der Berliner Urania. Dr. Bernd Fabritius, MdB, begrüßte erstmals in seinem Amt als BdV-Präsident die Anwesenden und eröffnete die Veranstaltung mit einer Würdigung: Erika Steinbach, MdB, seine langjährige Amtsvorgängerin, habe die Ziele des BdV mit besonderem Nachdruck verfolgt und den Verband gleichzeitig in die Mitte der Gesellschaft gebracht und dort verankert. Gemäß einem einstimmigen Beschluss der BdV-Bundesversammlung wurde ihr die Ehrenpräsidentschaft verliehen. Da die Geehrte aus familiären Gründen kurzfristig verhindert war, bat der BdV-Präsident als Zeichen der Zusammengehörigkeit unter großem Zuspruch des Publikums das gesamte anwesende Präsidium zur Ernennung in Abwesenheit auf die Bühne.
Der ungarische Justizminister Dr. László Trócsányi betonte in seinem Grußwort, dass das BdV-Leitwort mahne, die Fehler der Vergangenheit aufzuarbeiten, um sie nicht immer und immer wieder zu machen. In diesem Sinne gestalte Ungarn auch seine Minderheitenpolitik. Aus europäischer Perspektive sei es heute vor allem wichtig, gemeinsam Lösungen für die aktuellen Flüchtlingsprobleme zu entwickeln, forderte Trócsányi, der ungarisch sprach und vom Botschafter der Republik Ungarn in Berlin Dr. József Czukor übersetzt wurde.

Im Geistlichen Wort und Gedenken nahm der Beauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für Fragen der Spätaussiedler und der Heimatvertriebenen, Kirchenpräsident i.R. Helge Klassohn, unter anderem Stellung zur Ostdenkschrift der Evangelischen Kirche, die 1965 auf den Weg gebracht wurde. Er würdigte das Dokument als wegweisend für die deutsche Ostpolitik, gab aber gleichzeitig zu bedenken, dass damals zu wenig Rücksicht auf die konkreten Leidenserfahrungen der deutschen Heimatvertriebenen und deren erlittenes Unrecht genommen worden sei.

Ehrenplakette für Bayern, Hessen und Sachsen

Dem diesjährigen Leitwort entsprechend griff BdV-Präsident Dr. Fabritius in seiner Ansprache auch den vor dem Hintergrund der derzeitigen Flüchtlingssituation immer wieder aufgebrachten Vergleich zwischen Flucht und Vertreibung damals und heute auf. Natürlich gebe es wichtige Unterschiede: Damals „kamen Landsleute, es kamen Menschen aus demselben Kulturkreis, sie sprachen dieselbe Sprache, beteten trotz unterschiedlicher Konfessionen zu demselben Gott, sie lebten die gleichen Wertvorstellungen.“ Heute hingegen kämen Fremde aus anderen Kulturen. Für diese sei die Ankunft sogar „um ein Vielfaches schwerer“, so wie es daher auch für die aufnehmende Gesellschaft schwerer sei. Fabritius bat die Verbandsmitglieder, aber auch die Gesellschaft insgesamt, „den leidgeprüften Menschen von heute mit noch mehr Empathie zu begegnen, als uns und unseren Müttern und Vätern vor 70 Jahren zuerst entgegengebracht wurde.“ Im Sinne der in Deutschland gelebten Werte sei es nötig, allen Kommenden menschlich zu begegnen. Gleichzeitig müsse „eine nachhaltige Bekämpfung der Vertreibungsursachen und der Vertreiber“ erfolgen. Um das Leid dennoch vorhandener Opfer von Flucht und Vertreibung zu bewältigen, brauche es europäische Solidarität. Außerdem sei es wichtig, zwischen Vertreibungsopfern und Menschen, „die sich selbst, aus meist wirtschaftlichen Gründen, für eine freiwillige Migration entscheiden“, klar zu differenzieren.

Mit der Ehrenplakette des Bundes der Vertriebenen wurden in diesem Jahr die Bundesländer Bayern, Hessen und Sachsen ausgezeichnet. Dr. Fabritius würdigte die Länder dafür, dass sie noch vor der Bundesregierung mit ihren landeseigenen Gedenktagen dokumentiert hätten, dass in ihren Ländern die Bewahrung und Aufarbeitung der Geschichte auch der deutschen Heimatvertriebenen und Flüchtlinge eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Für Bayern nahm Emilia Müller, MdL, Staatsministerin für Soziales und Schirmherrschaftsministerin der Sudetendeutschen, die Ehrenplakette entgegen, für Hessen Lucia Puttrich, Ministerin für Bundesangelegenheiten und Bevollmächtigte des Landes Hessen beim Bund, und für Sachsen Erhard Weimann, Staatssekretär in Berlin und Bevollmächtigter des Freistaates Sachsen beim Bund. Staatsministerin Emilia Müller dankte namens der drei Länder für die Ehrung. Sie verdeutlichte, dass der mahnende Blick auf die Vergangenheit in der Gedenktagsinitiative von Beginn an mit einem Auftrag für die Zukunft verbunden gewesen sei: Vertreibungen weltweit zu ächten. Darüber hinaus würdigte sie die deutschen Heimatvertriebenen und Aussiedler für deren Leistung beim Wiederaufbau Deutschlands sowie deren Einsatz für die Verständigung mit den europäischen Nachbarn.
Verleihung der BdV-Ehrenplakette beim Tag der ...
Verleihung der BdV-Ehrenplakette beim Tag der Heimat (v.l.n.r.): Dr. Bernd Fabritius, MdB, Staatssekretär Erhard Weimann (Sachsen), Staatsministerin Emilia Müller, MdL (Bayern), und Ministerin Lucia Puttrich (Hessen). Bildquelle: Bund der Vertriebenen, Foto: André Wagenzik

Weil ruft zu Solidarität mit Flüchtlingen auf

Die Festrede hielt in diesem Jahr der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil, MdL. Er erklärte unter anderem, es bestehe seit 70 Jahren „eine ausgesprochen enge Verbindung zwischen dem Land Niedersachsen und den Vertriebenen“. Mehr als 1,8 Millionen Menschen seien nach dem Zweiten Weltkrieg in das Gebiet des damals noch nicht gegründeten Bundeslandes gekommen, „und damit mehr als ein Viertel der gesamten Bevölkerung.“ Es sei „völlig ausgeschlossen, sich den Aufstieg der Bundesrepublik Deutschland ohne die Aufbauleistung dieser Menschen vorzustellen. Und das wiegt umso schwerer, als die Vertriebenen ja gleichzeitig auch noch das Trauma ihrer Vertreibung bewältigen und neue Wurzeln schlagen mussten“, erinnerte Weil. Gleichzeitig forderte der Ministerpräsident mehr Engagement für die heutigen Opfer von Flucht und Vertreibung. „In diesen Menschen spiegelt sich dieselbe Not wider, die vor 70 Jahren auch viele Deutsche erlitten haben“, sagte er. „Die historischen Bedingungen mögen unterschiedlich sein, die Not der Menschen ist vergleichbar“, so Weil weiter. Mitmenschlichkeit und Solidarität mit Flüchtlingen seien Lehren aus der deutschen Vergangenheit.

Bei der Kranzniederlegung und dem Totengedenken am Mahnmal der deutschen Heimatvertriebenen, der „Ewigen Flamme“ auf dem Berliner Theodor-Heuss-Platz, sprachen außer BdV-Präsident Fabritius auch der Berliner Landesvorsitzende des BdV Staatssekretär a.D. Rüdiger Jakesch sowie der Protokollchef des Berliner Senats Dr. Volker Pellet.

Marc-P. Halatsch

Schlagwörter: BdV, Tag der Heimat, Berlin, Ehrungen, Fabritius

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