24. März 2017

Aus dem Schulleben im Burzenland: Erinnerungen des Lehrers Stefan Dezsö

Stefan Dezsö wurde am 21. September 1914 in Tartlau geboren. Nach der Volksschule in Tartlau und dem Gymnasium in Kronstadt besuchte er das Lehrerseminar in Hermannstadt. Seit 1936 war er – mit Unterbrechungen durch Krieg, Deportation und Verhaftung – Lehrer und Schulleiter in Tartlau, kurzzeitig auch Schulinspektor in Kronstadt. 1977 reiste er zu den beiden Kindern nach Arpke bei Hannover aus, wo er am 28. September 1996 an Herzinfarkt starb. Der Literaturwissenschaftler Horst Schuller hat aus Dezsös autobiographischen Aufzeichnungen jene Erlebnisse ausgewählt, die von allgemeinem Interesse sind.
Diese Dokumentation, der „Tatsachenbericht“ des Schulmannes Stefan Dezsö, ist nun unter dem Titel „Aufrechter Lehrer in schwierigen Zeiten“ auf www.siebenbuerger.de kostenlos abrufbar. Horst Schuller schreibt im Vorwort: „Die bei Tochter Hermine Löx aufbewahrten autobiographischen Aufzeichnungen des nicht nur im Burzenland hoch geachteten und von seinen Schülern geliebten Schulleiters und Schulrates Stefan Dezsö (‚Lehrer Steff‘), enthalten nicht nur eine private Familienchronik, sondern sind auch ein aufschlussreiches Zeitzeugnis. Das Leben von Stefan Dezsö, des musisch und sportlich besonders aktiven Grundschullehrers, war so reich an Gefährdungen, existenziellen Grenzsituationen, an extremen äußeren Zwängen und Fremdbestimmung, dass man sich wundern muss, wie er das alles, zuinnerst betroffen, ‚schweren Herzens‘, aber ungebrochen überstanden hat.“ Eines dieser anschaulich erzählten Erlebnisse wird im Folgenden wiedergegeben.

Es war nicht der Adler

Man hatte mir versprochen, dass ich wieder in mein altes Amt als Schulrat eingesetzt würde. Ich aber wollte nur noch Lehrer bleiben. Vom Schulamt sagte man mir, ich müsse das Rektorat wieder übernehmen. Zu großen Feiertagen wie 7. November, 30. Dezember, 1. Mai und anderen mussten die Klassenzimmer und auch die Gebäude mit Losungen und Fahnen geschmückt werden. Nun hatte ich in der deutschen Ausgabe der sowjetischen Zeitschrift „Für Demokratie und Frieden“ ein Bild gesehen: die Weltkugel und darauf eine Friedenstaube. Wir hatten einen Lehrer Nussbächer, von uns Nussi genannt, der konnte gut zeichnen. Ich fragte ihn, ob er dieses Bild groß auf einen Karton 2 x 1 Meter malen könnte. Wir würden es an unserem Schulgebäude anbringen und am Abend mit einem Scheinwerfer von einem Kastanienbaum aus anstrahlen. Er machte sich sofort an die Arbeit, und im Nu war das Bild fertig. Wir befestigten es in einem Lattenrahmen und hingen es an dem mittleren Schulgebäude auf. Am nächsten Tag sah ich gegenüber der Schule, auf der Promenade, den Sekretär des Volksrates, den Parteisekretär und den Chef der Gendarmerie, wie sie eifrig diskutierten und immer auf unser Gebäude zeigten. Plötzlich kamen sie in unser Sprechzimmer und wollten mit mir sprechen. Ich bat sie in meine Kanzlei und fragte sie, was sie zu uns führe. Sie drucksten herum und meinten: „Nicht wir, aber das Volk spricht, aber wie gesagt, nicht wir, das Volk.“ Ich fragte: „Ja, was sagt das Volk denn?“ Da postierte sich der Gendarmeriechef, ein Riese im Vergleich zu den anderen und auch zu mir, und sagte: „Das Volk sagt: An der deutschen Schule flattert der deutsche Adler.“ Darauf sagte ich: „O, das ist ja etwas Furchtbares, aber warten Sie nur ein wenig.“ Ich ging und brachte die Zeitschrift, zeigte sie ihnen und fragte: „Kennen Sie diese Zeitschrift?“ Alle drei bejahten wie aus einem Munde: „Natürlich, es ist die sowjetische Zeitschrift ‚Für Frieden und Demokratie‘“. Dann schlug ich die nächste Seite auf und zeigte ihnen das Bild. „Sehen Sie, auch in der sowjetischen Zeitschrift flattert der deutsche Adler.“ Die Gesichter hätte man fotografieren müssen. Alle drei entschuldigten sich und meinten noch einmal, nicht sie hätten es gesagt, nur das Volk, und zogen ab wie begossene Pudel. Nach etwa zwei Stunden kam der gefürchtete Parteisekretär vom Gebietsnetz Săcele ins Sprechzimmer und fragte: „Wer hat das Bild gezeichnet?“ Mein Gott, dachte ich, jetzt geht es wieder los mit dem deutschen Adler. Ich sagte ihm, dass es ein Lehrer gezeichnet habe. „Kann er mir auch eines zeichnen?“ Ich glaubte, nicht gut gehört zu haben. „So ein Bild wollen Sie?“ „Natürlich.“ „Ich muss Sie aber aufmerksam machen, man hat uns gesagt, es sei der deutsche Adler.“ Da sagte er wütend: „Wer war der Ochse?“ Ich sagte ihm, wer sie waren. „Alle drei sind Dummköpfe!“ Ich fragte Nussi, bis wann er ein solches Bild noch mal malen könne. „In einer Stunde kann er darum schicken.“ Der Parteisekretär bedankte sich schön, klopfte mir auf die Schulter und ging.

Stefan Dezsö




Den gesamten Tatsachenbericht von Stefan Dezsö (21 Seiten) können Sie als kostenloses eBook unter „Dokumente, Materialien, Aufsätze“ auf Siebenbuerger.de herunterladen.

Schlagwörter: Lehrer, Erinnerungen, Burzenland, Buchvorstellung

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