23. März 2025

60 Jahre Urzelnzunft Sachsenheim/Urzelntag 2025: ein Fest der Tradition und Gemeinschaft

Am 1. März feierte die Urzelnzunft Sachsenheim ihr 60-jähriges Bestehen mit dem traditionellen Urzelntag. Dieses besondere Jubiläum zog zahlreiche Teilnehmer und tausende Besucher an und bot einen Tag voller Brauchtum, Musik und Gemeinschaft.
60 Jahre Urzelnzunft Sachsenheim – 500 Urzeln ...
60 Jahre Urzelnzunft Sachsenheim – 500 Urzeln führen die siebenbürgisch-sächsische Tradition fort! Foto: Jürgen Kotsch
Es war ein Tag voller Höhepunkte. Der Festtag begann frühmorgens um 7.30 Uhr mit dem Treffen der Urzeln an der Sporthalle Sachsenheim. Nach der offiziellen Begrüßung durch Zunftmeister Thomas Lutsch fuhren die Teilnehmer zum Schlosshof, wo ein gemeinsames Gruppenfoto entstand. Dieses Foto war ein symbolischer Moment der Verbundenheit der Zunftmitglieder, erforderte jedoch eine intensive Vorbereitung. Um das beeindruckende Bild zu ermöglichen, wurden ein Steiger und eine kleine Tribüne genutzt, damit alle Teilnehmer perfekt in Szene gesetzt werden konnten.

Anschließend zogen die Urzeln durch die Ortsteile, wie Kleinsachsenheim, Häfnerhaslach, Ochsenbach, Spielberg und Hohenhaslach, sowie Großsachsenheim, um ihr traditionsreiches Brauchtum zu präsentieren. Die Urzeln, gekleidet in ihr charakteristisches Fransenhäs aus grober weißer Leinwand mit dicht aufgenähten schwarzen Stofffransen, zogen mit Kuhglocken, Peitschen und Rätschen durch die Straßen. Die auffällige bemalte Drahtmaske mit Pelzrand und das schwarze Tuch mit Hanfzopf rundeten das traditionsreiche Kostüm ab. Während des gesamten Tages erklang der traditionelle Narrenruf der Urzeln: „HIRRÄI!“

Der große Urzelumzug

Um 12.00 Uhr fand der große Urzelnumzug statt, begleitet von der Stadtkapelle Sachsenheim. Der Festzug startete am Bahnhof und führte bis zum Schlosshof. Dort wurden die Urzeln von Bürgermeister Holger Albrich empfangen, der in seiner Ansprache die Bedeutung der Urzelnzunft für das kulturelle Leben der Stadt hervorhob.

Ein besonderer Höhepunkt war die beeindruckende Präsentation der Traditionsfiguren, angeführt vom Paradehauptmann mit seinen beiden Engelchen. Das Schneiderrösschen und das Mummerl eröffneten die Vorführung mit einer Darbietung, die die Tradition der Schneiderzunft aufleben ließ. Ihre Bewegungen erinnerten an die handwerkliche Präzision und Kreativität, die dieses alte Handwerk auszeichnete. Darauf folgten der Bär und sein Treiber, die mit ihrer Präsenz Stärke und Entschlossenheit verkörperten – Werte, die tief in der Geschichte der Kürschnerzunft verwurzelt sind.
Voller Schlosshof am Urzelntag: ...
Voller Schlosshof am Urzelntag: Reifenschwingerinnen ganz synchron. Foto: Werner Kuhnle
Den Höhepunkt bildeten die Reifenschwingerinnen, die in diesem Jahr mit einer beeindruckenden Formation aus fünf Schwingerinnen auftraten. Mit Präzision und Anmut zeigten sie den alten Brauch der Fassbinderzunft und brachten ihre reiche Handwerkstradition dem Publikum näher. Jede Darbietung spiegelte auf ihre Weise die Werte und Geschichten der Handwerkszünfte wider.

Pfarrer Dieter Hoffmann, Zunftmeister Thomas ...
Pfarrer Dieter Hoffmann, Zunftmeister Thomas Lutsch und Bürgermeister Holger Albrich (von links). Foto: Kerstin Haible
Nach den Brauchtumsvorführungen zog die Parade an die Stadtkirche und es versammelten sich alle Teilnehmer und Besucher zu einem gemeinsamen, traditionellen Singen des Lieds „Af dieser Ierd“ mit Stadtpfarrer Hoffmann.

Am Mittag versammelten sich alle in der Sporthalle zu einem gemütlichen Beisammensein. Die Urzelnzunft zog feierlich in die Halle ein. Begleitet wurde der Einzug von der Stadtkapelle Sachsenheim, die mit Klängen den festlichen Rahmen schuf. Besonders beeindruckend war die Darbietung des „Urzelnmarsches“, einem Stück, das 2015 von Wulf Wager komponiert wurde und seither ein fester Bestandteil dieser Tradition ist. Zunftmeister Thomas Lutsch begrüßte die Anwesenden herzlich. In seinen Worten würdigte er nicht nur das Engagement der Mitglieder, sondern bedankte sich auch bei den Helfern und Unterstützern, die mit ihrer Arbeit dieses besondere Ereignis möglich gemacht hatten.

Nach dem gemeinsamen Mittagessen wurde ein abwechslungsreiches Nachmittagsprogramm geboten. Die Brauchtumsvorführungen fanden erneut statt und begeisterten das Publikum mit ihren lebendigen Darstellungen der Handwerkszünfte. Für die Kinder wurde ein Plätschwettbewerb veranstaltet, der für viel Freude sorgte. Zudem lud die Stadtkapelle Sachsenheim zum gemeinsamen Singen ein.

Ein besonders bedeutender Moment war die Ehrung von Maja Bitto-Fielk. Für ihre 25 Jahre engagierten Reifenschwingens wurde sie mit der goldenen Urzelnadel und einer Ehrenurkunde ausgezeichnet. Diese Auszeichnung unterstrich nicht nur ihre Ausdauer und Hingabe, sondern verdeutlichte auch, wie wichtig individuelle Beiträge für den Erhalt und die Weitergabe von Traditionen sind. Zunftmeister Thomas Lutsch sprach ihr im Namen der gesamten Gemeinschaft großen Dank und höchste Anerkennung aus.

Am Nachmittag zogen die Urzeln in kleinen Gruppen, den sogenannten Parten, durch die Stadt und besuchten zahlreiche Haushalte. Dabei wurde der traditionelle Begrüßungsvers des Partenführers vorgetragen:

„Mir wäintschen Gläck än diesem Hais./ Mer draiwen mät Schallen uch Gaußel/ De Suarchen uch den Arjer ais./ As Lauder uch Wätz kaun e jäider hiren,/ Dat mer ech besäcken,/ bewaist, dat mer ech ihren.“ [Hochdeutsch: „Wir wünschen Glück in diesem Haus,/ wir treiben mit Schellen und Peitsche/ die Sorgen und den Ärger aus./ Unsere Lieder und Witze kann jeder hören./ Dass wir euch besuchen,/ beweist, dass wir euch ehren.“]

Fasnachtsball ein gelungener Abschluss

Der festliche Höhepunkt des Urzelntages war der große Jubiläumsball am Abend unter dem Motto „Sachsenheim tanzt“. Die Combo-Band sorgte mit einem vielseitigen Repertoire für beste Stimmung und lud das Publikum zum Tanzen ein. Besonders beeindruckend war die ausgelassene und fröhliche Atmosphäre, die den gesamten Abend prägte. Mitglieder der Urzelnzunft, Gäste aus der Region und zahlreiche Besucher feierten gemeinsam und genossen das Beisammensein. Der Festball wurde zu einem fröhlichen Abschluss eines rundum gelungenen Festtages, der Tradition und Gemeinschaft auf wunderbare Weise vereinte.

Die Urzelnzunft und ihr kulturelles Erbe

Die Ursprünge der Urzelnzunft reichen zurück zu den Handwerkszünften im siebenbürgischen Agnetheln (rumänisch: Agnita). Die Urzeln waren ursprünglich Begleiter und Beschützer beim feierlichen „Laden forttragen“, einem Brauch, bei dem die Zunftlade von einem alten zu einem neu gewählten Zunftmeister getragen wurde. Dieser Brauch entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem größeren Fest, dem sogenannten „Mummenschanz der Zünfte“, das 1689 erstmals urkundlich erwähnt wurde.

Der Name „Urzel“ leitet sich vermutlich von „Urzen“ ab, einem Begriff für Stoffreste im Agnethler Dialekt, die zur Herstellung der Urzelnkostüme verwendet wurden. Einer Legende zufolge ist der Name auch mit einer mutigen Frau namens Ursula verbunden, die in einem zotteligen Kostüm mit einer Peitsche bewaffnet Angreifer von der Wehrkirche in Agnetheln abschreckte.
Gründerbild der Urzelzunft Sachsenheim 1965 - die ...
Gründerbild der Urzelzunft Sachsenheim 1965 - die ersten 13, jeweils von links nach rechts, oben: Julius Platz, Hans Rehner, Hans Wachsmann, Hans Lutsch, Helmut Mieß, Gottfried Sturm, Hans Wächter, Rudolf Butter; unten: Wilhelm Sill, Eduard Graef, Hans Graef, Wilhelm Herberth, Friedrich Zins. Fotoarchiv: Urzelnzunft Sachsenheim e.V.
Im Jahr 1965 brachten 13 Agnethler Sachsen diese einzigartige und traditionsreiche Kultur in ihre neue Heimat Sachsenheim und hauchten ihr dort neues Leben ein. Was damals mit einer kleinen, leidenschaftlichen Gruppe begann, ist heute eine beeindruckende Erfolgsgeschichte der Gemeinschaft und des Engagements. Aus bescheidenen Anfängen wuchs die Zunft beständig und zählt mittlerweile rund 500 aktive Urzeln – eine lebendige Gemeinschaft, die mit Herzblut und Hingabe dafür sorgt, dass dieses kostbare kulturelle Erbe nicht nur bewahrt, sondern in jeder neuen Generation lebendig gehalten wird. Dieser beispiellose Wandel zeigt, wie tief verwurzelt diese Tradition in den Herzen ihrer Mitglieder ist und welche Strahlkraft sie bis heute entfaltet.

Mittlerweile ist der Brauch nicht mehr nur ein rein siebenbürgisch-sächsischer Brauch, sondern hat im schwäbischen Raum ein festes Zuhause gefunden. Dies ist ein perfektes Beispiel gelungener Integration.

In ihrer Geschichte konnte die Zunft zahlreiche bedeutende Meilensteine feiern. So war die Urzelnzunft Sachsenheim stolzer Ausrichter von drei großen Narrentreffen der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte (VSAN): 1995, 2001 und schließlich 2015 anlässlich ihres 50-jährigen Jubiläums. Diese Veranstaltungen zogen nicht nur zahlreiche Teilnehmer an, sondern machten Sachsenheim weit über die Region hinaus bekannt.

Ein weiterer großer Moment war im April 2024 die Erfüllung eines lang gehegten Traums: Der Kauf der eigenen Zunftstube. Dieses neue Zuhause dient seitdem als Ort der Begegnung und Pflege des Brauchtums.

Seit 1987 ist die Urzelnzunft Sachsenheim offizielles Mitglied der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte (VSAN) und trägt damit aktiv zur Bewahrung des schwäbisch-alemannischen Fastnachtsbrauchtums bei. Die Urzelnzunft ist ein bedeutender Bestandteil der Schwäbisch-Alemannischen Fasnet, die 2014 als immaterielles Kulturerbe der UNESCO in die nationale Liste aufgenommen wurde.

Kerstin Haible

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Urzelnzunft Sachsenheim feierte 60-jähriges Jubiläum

Schlagwörter: Urzelnzunft Sachsenheim, Brauchtumspflege, Jubiläum

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