24. Dezember 2006

Weihnachten 2006: Mit den Augen eines Kindes

Immer wieder holen Doris Schmidt die Erinnerungen ein. So auch heuer, in den trüben Novembertagen. Es scheint erst gestern gewesen zu sein, als sie als Kind mit vielen Wünschen und Heimlichkeiten dem Christtag entgegenfieberte.
Ich zweifelte nicht daran, dass der Christmann kam und uns Kindern Geschenke brachte. Doch dann stiegen Zweifel auf. Es seien die Eltern oder Verwandten, die uns beschenkten, hieß es von den größeren Kindern. Nun passte ich auf, begann heimlich alle in Frage kommenden Verstecke zu durchsuchen. Doch keine Spur von einem Geschenk! Gab es ihn doch, diesen Christmann? Schneeflocken hüllten mich ein, wenn ich draußen spielte. Dicker Schnee lag auf den Bäumen und überall in den Gassen. Meine Gedanken weilten immer öfter beim Christmann. Noch ein Tag bis Heiliger Abend. Alle Geschwister putzten sich heute die Schuhe besonders schön, denn der Christmann steckte gerne nur in glänzende Schuhe Äpfel, Nüsse und Süßigkeiten. Auch ich putzte sie. Wir durften beim Christbaumschmücken mithelfen. Es war herrlich. Jeder beeilte sich, die schönsten roten Äpfel anzuhängen. Die vergoldeten Nüsse vom vorigen Jahr waren auch da! Selbst gebackene Kuchenherzen, Engelfiguren, Zuckerkringel hängten wir an die Äste. Auch Kerzen befestigten wir. Da läuteten schon die Glocken. Nun schritten wir den dunklen Weg zum Kirchlein am Berg hinauf. Der Schnee glitzerte in der Kälte, die Bäume sahen beängstigend aus. Vielleicht war doch irgendwo der Christmann?

Weihnachtsleuchter aus Leblang. Foto: W. Förderreuther
Weihnachtsleuchter aus Leblang. Foto: W. Förderreuther

Endlich konnte man die Lichter auf dem Friedhof sehen! Wie schön das aussah! Die kleinen Tannenbäumchen, die vorüberhuschenden Leute, das Gemurmel, die dumpf klingende Glocke, der Schnee, die Sterne am Himmel, die dunkle Nacht. Dies war eine Heilige Nacht, man konnte es spüren. Die Glocke dröhnte mächtig. Wir traten in die Kirche ein und bestaunten den riesigen Christbaum und die beiden Lichtert, an denen Kerzen ihren Lichtschein ausstrahlten. Nach dem Leuchtersingen im Wechselgesang („Dies ist der Tag, den Gott gemacht“) musste ich auch schon mein Weihnachtsgedicht aufsagen. Diesmal sagte ich es klar und laut. Meine Mutter war mit mir zufrieden. Nach dem Krippenspiel und der Predigt erhielt jedes Kind ein Päckchen mit Süßigkeiten geschenkt. Vor Aufregung und Neugierde konnte ich mich daheim nicht schnell genug ausziehen. Die Stiefel schleuderte ich neben den Ofen, und lief im Mantel zum Baum. Sie waren da, die Geschenke. Welche Erleichterung, er war doch gekommen! Auch vor dem Christbaum sagte ich mein Weihnachtsgedicht klar und deutlich auf. Doch beim Singen merkte ich, dass jeder ein Geschenk hatte, nur meines fehlte. Ich wurde bitterböse. Sollen die anderen singen, dachte ich, und schwieg. Doch nach gutem Zureden sang ich wieder. Da sah ich mein Geschenk. Es stand etwas abseits. Ein wunderschönes, weißes Puppenbettchen mit weißrotem Kissen und Decke. Drinnen lag eine wunderschöne Puppe mit dunkelbraunem Haar und schlief. Nun stürzte ich hin, war glücklich und dem Christmann gegenüber voll tiefer Dankbarkeit.

Doris Schmidt

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 20 vom 20. Dezember 2006, Seite 5)

Schlagwörter: Erinnerungen

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Neueste Kommentare

  • 12.12.2009, 00:35 Uhr von Snowdancer: Eine wunderbare Erinnerung! Es ist schön, sie zu lesen. [weiter]

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