23. Februar 2008

Nach Jahren im Dunkeln die Welt neu entdecken

Man sagt, das Herz ist der Sitz der Seele. Aber auch das Augenlicht kann der Seele gut tun, wenn man denn eines hat. Es ist doch schön, wenn man den Sonnenaufgang, die Blumen, die Familie und andere schöne Dinge sehen darf und sich daran erfreuen kann. Ilse, geb. Orben (1944 in Hermannstadt geboren, in Großprobsdorf aufgewachsen) und Dieter Gerst (1941 in Mediasch geboren) sind 1990 nach Deutschland ausgesiedelt und leben heute in Bad Neustadt. Die Eheleute haben ihre Herzen am richtigen Fleck. Es geht um den 24-jährigen Mircea Fratila aus Rumänien, der zur richtigen Zeit am richtigen Ort war und die Nächstenliebe von Ilse und Dieter Gerst erleben durfte.
Seit vielen Jahren verbringt das Ehepaar Gerst im Sommer seine Ferien in Siebenbürgen, so auch im Sommer 2005. Bei Massage-Anwendungen in einem Kur-Hotel lernten sich der Masseur und Dieter Gerst kennen. Dieter Gerst erzählte dem Masseur, dass er an einer Augenkrankheit leide. „Zuerst bemerkte ich gar nicht, dass der junge Mann nicht sehen konnte. Schließlich erfuhr ich, dass der blind ist.“ Und so kam man ins Gespräch und unterhielt sich über Einzelheiten, die Augenkrankheiten betreffen.

Mit etwa fünf Jahren stellte sich bei Mircea die Augenkrankheit ein. Der Befund des damals behandelnden Arztes in Rumänien war niederschmetternd: „nicht heilbar“. Das ist nun knapp 20 Jahre her. Dieter und seine Frau Ilse Gerst berührte das Schicksal des jungen Mannes und sie versprachen ihm, sich in der Augenklinik Würzburg, wo Dieter Gerst selber schon operiert wurde, kundig zu machen, ob dort eine Untersuchung möglich wäre.
Mircea Fratila (Bildmitte) mit Ilse und Dieter ...
Mircea Fratila (Bildmitte) mit Ilse und Dieter Gerst.
Man wolle nichts unversucht lasse, doch noch eine Verbesserung der Sehkraft herbeizuführen. Gerade einmal Licht, Schatten und Umrisse konnte Mircea erkennen. Eine lange Zeit der Vorbereitung und Organisation folgte. Außerdem stand Mircea mitten in der Berufsausbildung und es galt, die Kostenfrage für die bevorstehenden Operationen im Vorfeld zu klären. Im Juni 2007 war es dann endlich soweit – Mircea kam nach Deutschland, ein Termin zur Untersuchung in der Würzburger Augenklinik folgte und die Diagnose lautete „Innere Netzhautablösung beidseitig“. Eine völlig andere Diagnose wie vor zwei Jahrzehnten in Rumänien und das Wichtigste: Diese Krankheit ist zu behandeln.

Wäre er in diesem Sommer nicht zur Behandlung nach Deutschland gekommen, hätte man Mircea, so die Aussage des behandelnden Arztes Dr. Schrader von der Augenklinik Würzburg, das rechte Auge entfernen müssen. „Wenn ich Dieter und Ilse nicht begegnet wäre, hätte es ein schlimmes Ende für mich genommen“, so Mircea. Sechs Operationen, fünf am rechten, eine am linken Auge, hat der 24-jährige Masseur im November überstehen müssen. Die Chancen stehen gut, dass er eines Tages auf dem linken Auge bis zu 100 Prozent Sehkraft wiedererlangt. Mit dem rechten Auge sieht Mircea nichts mehr – nur nach einer weiteren schweren Operation kann er bis zu 30 Prozent Sehkraft wiedererlangen. Wann und ob überhaupt diese Operation ansteht, vermag noch niemand zu sagen. Bis zu einem Jahr muss er nun warten, ob und in welcher Größenordnung eine Besserung auf dem linken Auge eintritt. „Ich habe sehr große Hoffnung, dass ich wieder sehen werde, nicht so wie ein gesunder Mensch, aber doch mehr als nur Licht, Schatten und Umrisse“, so Mircea. „Für das, was ich bis jetzt sehen kann, haben sich die starken Schmerzen gelohnt“.

Dann ein großer Fortschritt: Mircea erkannte mit dem linken Auge die Zahlen auf einer Uhr sowie Farben, auf zwei Metern Entfernung konnte er beim Augenarzt die Ziffern benennen. Die Operationen finanziert Mircea Fratila zum Teil selbst. Er bekommt jedoch eine großzügige finanzielle Unterstützung durch seinen rumänischen Arbeitgeber. Aufgrund seiner Krankheit erlernte Mircea den Beruf des „Medizinischen Masseurs“. Drei Jahre dauerte die Ausbildung, die er im Juni 2007 mit „sehr gut“ abgeschlossen hat. Er wird nach seiner Genesung auch wieder in seinem Beruf im Kur-Hotel in Baaßen (Bazna) in Siebenbürgen tätig sein, dort wo er seine großzügigen Helfer aus Deutschland kennen lernte.

Ilse und Dieter Gerst beherbergten trotz ihrer nur kleinen Rente über vier Wochen die Mutter von Mircea, die ihren Sohn nach Deutschland begleitete, sowie den 24-jährigen Mircea knapp sieben Wochen in ihrem Zuhause in Herschfeld. Weil Mircea kein Deutsch spricht, fuhren Ilse und Dieter Gerst während seines Klinikaufenthaltes alle zwei Tage in die Augenklinik nach Würzburg, um bei den Besprechungen mit den Ärzten anwesend zu sein und für Mircea ins Rumänische zu übersetzen. Der zeitliche und finanzielle Aufwand zählen für Ilse und Dieter Gerst nicht. Sie freuen sich über den glücklichen Ausgang der Augenoperationen. „Wir haben einem Menschen und seiner Familie etwas Gutes getan und das ist doch ein wunderbares Gefühl“, so das Ehepaar Gerst übereinstimmend. In Hermannstadt wird Mircea sich von Spezialisten weiter behandeln lassen. „Ich gehe mit einem guten Gefühl in meine Heimat zurück und danke allen, die mich auf diesem Weg begleitet haben“.

Die letzte Kontroll-Untersuchung in der Würzburger Augenklinik war sehr zufrieden stellend. Danach trat Mircea die 24-stündige Rückreise mit einem Reisebus und in Begleitung seines Vaters, der in Deutschland arbeitet, an. Im Frühjahr 2008 wird Mircea höchstwahrscheinlich noch einmal zu einer Untersuchung nach Würzburg kommen. Sein größter Wunsch? – Sehen zu können und eine eigene Massage-Praxis zu eröffnen. Auf diesem Weg kann man dem jungen lebensbejahenden Mircea nur viel Glück und Gesundheit wünschen.

Katrin Schirmer

Schlagwörter: Hilfsaktion

Bewerten:

19 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.