10. April 2008

Wenn eine Idee zwingend wird

Am 5. April feierte die siebenbürgische Kinderbuchautorin Karin Gündisch ihren 60. Geburts­tag. 1948 in Heltau geboren, verlässt sie ihren Heimatort nach Abschluss der Schulzeit und geht zunächst nach Klausenburg und dann nach Bukarest, um Deutsch und Rumänisch zu studieren. In Bukarest arbeitet sie bis zu ihrer Auswanderung als Deutschlehrerin und freie Mitarbeiterin bei der rumäniendeutschen Presse, bei Rundfunk und Fernsehen, entwickelt Deutsch-Lehrbücher mit und veröffentlicht Kindergeschichten. Seit 1984 lebt sie als freischaffende Autorin in Bad Krozingen. In einem Gespräch erzählt sie von neuen Projekten, der Einsichtnahme in ihre Securitate-Akte und ihrem Alltag als Schriftstellerin.
Vor kurzem erfährt Karin Gündisch, dass sie mit ihrem noch unveröffentlichten Theaterstück „Die Braut aus dem Osten“ neben fünf anderen Autoren für den Dramatikerpreis des Stadt­theaters Klagenfurt nominiert worden ist. „In dem Stück geht es um drei Männer, die in einer Stadt in Deutschland leben, aber aus Rumänien stammen und einen unterschiedlichen Status haben. Der eine hat einen deutschen Pass, der andere war Orchestermusiker und der dritte verdient das meiste Geld, der ist Kellner, hat aber keine Aufenthalts- und keine Arbeitsge­nehmigung. Diese Männer-WG beschließt, sich per Inserat eine Haushälterin aus Rumänien zu holen, mit der sie gewisse Pläne haben, aber die Haushälterin ist eine tatkräftige Frau, die es wohl schaffen wird, ihre eigenen Ziele zu verwirklichen“, erzählt Karin Gündisch, die das Stück bereits verschiedenen Theaterleuten angeboten und sich nun damit für den Drama­tikerpreis beworben hat. Aus 130 Einsen­dungen stehen für das Finale am 20. April sechs Nominierte zur Auswahl, die um den mit 5 000 Euro dotierten Preis kämpfen.

Karin Gündisch. Foto: Uwe Gündisch ...
Karin Gündisch. Foto: Uwe Gündisch
Im Februar findet in Bukarest ein Kampf der ganz anderen Art statt: Karin Gündisch stellt sich ihrer eigenen Vergangenheit in Rumänien. „Ich habe bei der CNSAS in ein Dossier, das meine Tätigkeiten im Goethe-Institut verfolgt hat, Einsicht nehmen können. Unglaublich viele Menschen haben sich da mit mir beschäftigt. Es gab wohl einen Führungsoffizier, der für das Hochhaus zuständig war, in dem ich gewohnt habe, dann einen anderen für die Schule und einen weiteren für das Goethe-Institut. Obwohl diese Leute alle mit mir beschäftigt waren, ist dabei nichts herausgekommen.“ Für Karin Gün­disch subsummiert sich alles unter dem Begriff der „Banalität des Bösen“. „Es ist so banal, was da steht. Wenn es nicht gleichzeitig so gefährlich gewesen wäre, dann wäre es wirklich banal und auch lächerlich.“ Auf diese Weise mit der Be­spitzelung konfrontiert, reagiert Gündisch nicht etwa schockiert, sondern eher verwundert. „Es hat mich nicht getroffen, weil ich keine Enttäuschungen erleben musste. Ich konnte gar nicht identifizieren, wer mir übel wollte, weil es eine Figur ist, die keine Rolle in meinem Leben gespielt hat. Nur diese buchhalterische Genau­ig­keit, die finde ich schon verblüffend. Auf der anderen Seite finden sich dann wieder furchtbare Ungenauigkeiten in diesem Dossier. Es ist schon schrecklich, wenn man so bespitzelt wird. Allerdings steht vieles nicht drin, von dem ich erwartet hätte, dass es drin steht. Aber es kann noch andere Dossiers geben.“ Die eigene Se­curitate-Akte inspiriert die Autorin vielleicht nach langer Zeit wieder zu einem Buch für ein erwachsenes Publikum, auch wenn sie „grundsätz­lich nicht über ungelegte Eier“ spricht, „denn ich habe es zu oft erlebt, dass Leute etwas beginnen, darüber sprechen und dann nichts daraus wird.“ Noch hat sie es nicht in An­griff ge­nommen, noch schreibt sie an einem Thea­ter­stück für Kinder und beschäftigt sich ansonsten mit organisatorischen Dingen, die einer freischaffenden Autorin nicht erspart bleiben.

Wie kann man sich einen Arbeitstag von Karin Gündisch vorstellen? Wie organisiert sie ihren Schreiballtag? „Ich bin sehr viel auf Reisen, und da ist jeder Tag anders. Wenn ich zu Hause bin, kommt es darauf an, was ich gerade machen muss. Das Schreiben, das ein sehr intimer Vorgang ist, nimmt den geringsten Platz ein. Es ist das Schönste und, wenn es gut geht, das Befriedigendste, aber man muss eben auch sehen, dass man vom Schreiben leben kann. Das nimmt die meiste Zeit in Anspruch. Es ist keine ganz freie Wahl“, sagt sie, „denn meistens ist es so, dass irgendeine Idee auftaucht und dann zwingend wird. Ich habe also gar keine Wahl, weil mich ein Thema verfolgt, und dann beginne ich zu schreiben oder zu recherchieren, um schreiben zu können.“ Es gibt also keinen Plan, wenn eine Idee „zwingend“ wird. Die Heltauerin Gündisch schreibt, weil sie nicht anders kann. „Manchmal weiß ich, wie die Geschichte enden wird, und manchmal weiß ich es nicht, ich kann mir also keinen Plan im Voraus machen. Es passiert aber sehr oft, dass sich im Laufe der ersten Kapitel eine Linie herausschält. Dann kann es sein, dass ich den Anfang noch mal schreibe. Ich muss bei jedem Buch meinen Erzählmodus finden, ich muss schauen, welches die Perspektive ist, aus der ich erzähle, und das entscheidet sich in der Regel im Schreiben selbst. Daher passiert es relativ oft, dass die Anfänge in mehreren Varianten existieren.“ Wenn ein Manuskript fertig ist, beginnt der organisatorische Teil ihrer Arbeit. Da sie – im Gegensatz zu früher mit Beltz & Gelberg – keinen Stammverlag hat, ist sie darauf angewiesen, sich mit jedem Manu­skript neu zu bewerben. „Ich muss mich sehr ins Zeug legen, denn es gibt unendlich viele Bücher und viele Autoren, die dasselbe machen wie ich und auch einen Verlag wollen. Es ist vielleicht besser, wenn man einen Stammverlag hat, der für einen zuständig ist und auch mehr in die Werbung investiert, aber das allein macht natürlich noch keinen Erfolg. Da muss auch am Buch etwas dran sein.“

An ihren Büchern scheint jede Menge dran zu sein. Zahlreiche Auszeichnungen wie der Ru­mänische Kinderbuchpreis 1984, der Peter-Härtling-Preis für Kinderliteratur 1984, der Kinderbuchpreis der Ausländerbeauftragten des Berliner Senats 1991, ein Stipendium des baden-württembergischen Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst 2001 und der Mildred L. Batcheler Award für How I Be­came an American (Das Paradies liegt in Amerika), Preis der American Library Associa­tion für das hervorragendste ins Englische übersetzte Buch 2002, belegen die durchweg positive Resonanz auf ihre Arbeiten. Wichtiger noch ist aber die Reaktion der Kinder, also ihres Zielpublikums. Auf ihren zahlreichen Leserei­sen in verschiedene Länder kann Karin Gün­disch hautnah miterleben, was die Kinder bewegt und wie sie auf ihre Bücher reagieren. „In Kroatien beispielsweise interessiert man sich nicht so sehr für das Schicksal eines Roma-Jungen, der nicht zur Schule geht, aber man interessiert sich sehr für Deutschland und da­für, was passiert, wenn ein Kind nach Deutsch­land kommt.“, berichtet sie. „In meinem Publi­kum saßen ganz viele, die während des Bal­kankrieges in Deutschland waren und ähnliche Erlebnisse hatten wie die von mir geschilderten im Aussiedlerheim. In Armenien und Georgien, wo ich letzten Herbst gelesen habe, war man sehr interessiert an den Erfahrungen von Auswanderern, weil das Länder sind, aus denen ganz massiv ausgewandert wird. In den USA interessiert man sich auch für Auswan­derung, speziell aber auch für Einwanderung in die USA, also für mein Buch Das Paradies liegt in Amerika.“ Nicht nur die Thematik ihrer Bücher, auch der sprachliche Aspekt ist bei der Rezep­tion im Ausland bedeutsam. „Das In­teresse gilt sehr oft der einfachen und klaren Sprache, die Sprachschüler sehr gut verstehen können.“ Be­sonders in den USA wird Das Para­dies liegt in Amerika häufig im Deutsch­unterricht behandelt. Für diese Klassen liest Karin Gündisch manchmal per Skype vom heimischen Compu­ter. „Mein Sohn hat mir diese moderne Technik installiert, damit ich mein Enkelkind sehen und glucksen hören kann“, erzählt sie, aber per Skype lässt sich eben nicht nur das Enkelkind beobachten, sondern auch eine Lesung live nach Nordamerika übertragen. So hält das 21. Jahrhundert Einzug in Karin Gündischs Heim und ihren Berufsalltag, der von ihren siebenbürgischen Wurzeln stark geprägt ist. „Die Herkunft ist immer wichtig. Für mich und mein Schreiben ist es vor allem die Sprache, das Säch­sische, das einfach präsent ist und auch meine Literatursprache wesentlich beeinflusst hat. Auch die Auswanderung hat mich geprägt, das war eine einschneidende Ver­änderung.“

Die Rezeption der Bücher weist in Deutsch­land in eine ähnliche Richtung wie im Ausland. „Im Inland fällt die einfache und klare Sprache nicht so ins Gewicht, aber manchmal hat man auch hier eine Situation fast wie im Ausland, wenn in einer Klasse lauter Kinder sitzen, die zu Hause kein Deutsch sprechen. Die sind dann sehr erfreut und dankbar, wenn sie Geschichten vorgelesen bekommen, die sie gut verstehen und mit denen sie sich sogar identifizieren können.“ Angesprochen auf den Migrations­hin­ter­grund dieser Kinder und die damit einhergehende Problematik, entgegnet Gündisch: „Ich kann dieses Wort eigentlich nicht leiden, denn nicht der Migrationshintergrund ist das Pro­blem, sondern der mangelnde Bildungshinter­grund. Nicht die Tatsache, dass die Mutter aus Paris kommt, aus einem Dorf aus Rumänien, aus Kasachstan oder Südamerika, ist die Ur­sache für all das Übel, sondern der Mangel an Bildung.“ Vielleicht trägt Karin Gündisch mit ihren Büchern dazu bei, dass auch die Kinder aus so genannten bildungsfernen Haushalten ans Lesen herangeführt werden, weil sie Geschichten schreibt, mit denen sich die jungen Leser identifizieren können. Die im Sommer bundesweit anlaufende Aktion „Lesestart“ der Stiftung Lesen, bei der jedem Kind beim Arztbesuch ein Buchpaket überreicht werden soll, sieht sie kritisch. „Ich würde auf jeden Fall jedem Kind beim Eintritt in den Kindergarten, in die 1. Klasse, beim Abschluss der 4. Klasse und Eintritt in die 5. Klasse ein Buch schenken. Aber das müsste eine Aktion sein, die von den Lehrern betreut wird, damit diese Bücher nicht im Altpapier landen. Die Kinder, die zu Hause niemals ein Buch zu Gesicht bekommen, assoziieren Buch nur mit Schule, und wenn die Leistung in der Schule nicht gut ist, ist das eine negative Assoziation. Da ist dann sehr viel verloren.“

Bei ihrem Bilderbuch Der tapfere Felix, das im nächsten Frühjahr im renommierten Nord-Süd-Verlag erscheint, ist hoffentlich nichts verloren, obwohl sich die Suche nach einem Verleger schwierig gestaltet hat. „Ich habe das Manuskript oft verschickt, bis ich den richtigen Verlag gefunden habe. Es ist ein sehr poetischer Text, der nicht zu jedem Verlag passt. Wenn man einen Text einschickt und dafür dann einen Verlag findet, muss man entweder sehr berühmt sein oder ein Wahnsinnsglück haben, und ich habe dieses Glück gehabt. Ich bin sehr glücklich darüber, dass das Buch im Nord-Süd-Verlag erscheint, an diesem Gedanken erwärme ich mich schon die längste Zeit. Ich freue mich riesig.“, begeistert sich die Autorin.

Wir wünschen Karin Gündisch, dass sie sich auch in Zukunft noch oft an solchen Gedanken erwärmen kann – nicht ganz uneigennützig, versteht sich, denn das bedeutet für uns Leser ein neues Buch, eine neue Geschichte dieser sympathischen siebenbürgischen Autorin, in die wir eintauchen und an der wir uns „erwärmen“ können.

Doris Roth

Schlagwörter: Karin Gündisch, Kinder, Porträt, Heltau

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