2. Oktober 2008

AKSL-Tagung in Stuttgart: Toleranz oder Pragmatismus?

Toleranz, Koexistenz oder Antagonismus – mit welchem dieser Begriffe können die Verhältnisse im frühneuzeitlichen Siebenbürgen am treffendsten gekennzeichnet werden? War Siebenbürgen, wie es im Max-Moltke-Lied so schmeichelhaft heißt, stets ein „Land der Duldung, jedes Glaubens sichrer Hort“? War die Toleranz das spezifisch Siebenbürgische, oder sollte man eher von einer mehr oder weniger friedlichen Koexistenz der verschiedenen Nationen, Stände, Religionen sprechen? Gab es nicht auch unlösbare Gegensätze zwischen den Religionsgemeinschaften, Antagonismen, die zu Konflikten geführt haben oder hätten führen können? Diesen Fragen widmete sich die 43. Jahrestagung des Arbeitskreises für Siebenbürgischen Landeskunde (AKSL), die vom 18. bis 20 September d. J. in Stuttgart stattgefunden hat. Die Veranstaltung stand unter dem Titel: „Toleranz – Koexistenz – Antagonismus. Wahrnehmungen religiöser Vielfalt in Siebenbürgen zwischen Reformation und Aufklärung“.
Der Mythos vom Land der Duldung oder jener von der Einzigartigkeit Siebenbürgens im südosteuropäischen Raum gerade wegen seiner Toleranz wurde von Anbeginn kritisch unter die Lupe genommen. Professor Joachim Bahlcke, Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte der frühen Neuzeit an der Universität Stuttgart, der mitveranstaltenden Institution, stellte in seinem einleitenden Referat fest, was er auch in seinem Schlusswort bekräftigte, dass Siebenbürgen im südosteuropäischen Raum keinesfalls ein Sonderfall war und dass Toleranz „kein zwingender Begriff“ für die Beschreibung der siebenbürgischen Verhältnisse jener Zeit sei, die vielmehr mit Koexistenz und Konkurrenz auf den Punkt gebracht werden könnten: „Siebenbürgen mag wie Polen ein Land ohne Scheiterhaufen gewesen sein, es war aber nicht ein Land des Segens, ein Land der Friedfertigen. Die Konkurrenz bestimmte das Zusammenleben, unterschiedliche Interessen wurden ausgehandelt. Siebenbürgen war auch nicht die singuläre Region, die nur Unvergleichliches geliefert hätte.“

Die außenpolitischen und völkerrechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen sich Siebenbürgen damals entwickelte, beleuchtete Dr. Gerald Volkmer (Siebenbürgen-Institut – Gundelsheim) in einem zweiten einführenden Vortrag. Dabei wurde deutlich, dass das Fürstentum Siebenbürgen etwa eineinhalb Jahrhunderte lang seine konfessionelle Vielfalt dank einer geschickten Schaukelpolitik zwischen der osmanischen und der habsburgischen Großmacht gegen die Rekatholisierungsversuche des benachbarten Habsburgerreiches behaupten konnte („Der Türck ist der Lutherischen Glück“, hieß es damals in Siebenbürgen).

Auch die Habsburger mussten später diese Vielfalt akzeptieren. Eine höhere Staatsräson gebot die Toleranz. Dr. Márta Fata (Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde Tübingen) untersuchte die Tagebuchaufzeichnungen Josephs II. und Texte seiner Berater im Zusammenhang mit seiner Reise durch Siebenbürgen 1773. Der aufgeklärte Monarch, der der Naturrechtslehre Pufendorfs anhing („der Fürst kann niemanden dazu zwingen, mit seinem Herzen zu glauben“) beurteilte die religiösen Rivalitäten, von denen er erfuhr, als kontraproduktiv für die Ziele des Staates: Alle Konkurrenz zwischen den Konfessionen sollte unbedingt vermieden werden. Auch für die von seiner Mutter Maria Theresia betriebene sogenannte Transmigration Evangelischer an den Ostrand des Reiches fand er keine Entschuldigung. Seine Einstellung war eine rein populationistische: Alle Völkerschaften und Religionsgemeinschaften waren gleichermaßen willkommen, solange sie dem Staat und seinen Interessen dienten.

Über die Wahrnehmung der Transmigranten (der späteren Landler) im Siebenbürgen des 18. Jahrhunderts durch die bodenständige sächsische Bevölkerung und umgekehrt, das Bild der Sachsen unter den Zwangsumsiedlern berichtete die Kulturwissenschaftlerin und Ethnologin Dr. Irmgard Sedler (Kornwestheim). Die demütigenden Religionsverhöre bei der Ankunft der „odiösen Transmigranten“ (sächsischer Behördenjargon), die auch als „Rädelsführer“ und „Bettler“ beargwöhnt wurden, führte bei diesen zum Misstrauen gegenüber den „Saksen, die saksisch predigen und sonderlich fluchen in ihrer abscheilichen Sprach“. Später, nach erfolgreicher Integration der Landler in Siebenbürgen, wurde in den sächsisch-landlerischen Dorfgemeinschaften der Mythos von der Gemeinsamkeit der „evangelisch deutschen Menschen“ heraufbeschworen und verinnerlicht.

Aspekte der Außenwahrnehmung Siebenbürgens wurde in mehreren Referaten behandelt. Die Reiseliteratur untersuchten u. a. Prof. Dr. Detlef Haberland (Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa – Oldenburg) und Prof. Dr. Vasile Leb (Universität Klausenburg); Dr. Konrad Gündisch nahm die an Einträgen über Siebenbürgen reiche deutsche Lexikon-Literatur sowie einige deutsche Zeitschriften aus dem 18. Jahrhunderts unter die Lupe, Dr. Robert Born (Geisteswissenschaftliches Zentrum Ostmitteleuropa – Leipzig) zeigte anhand von Trachtenbüchern, wie sich der „fremde“ Blick im Laufe des 17. Jahrhunderts zum „ethnographischen Blick“ auf die siebenbürgischen Völker wandelte.

Insgesamt fünf Beiträge kamen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Klausenburg: Außer dem bereits Genannten waren dies Doz. Dr. Edit Szegedi – sie wertete drei Tagebücher Klausenburger Persönlichkeiten des 17. Jahrhunderts aus, um die wechselnden Toleranzverhältnisse zwischen Unitariern und Reformierten in der damals auch sächsischen Stadt darzulegen; Doz. Dr. Enikő Rüsz-Fogarasi richtete ihr Augenmerk auf Gesetzestexte der siebenbürgischen Landtage und stellte unterschiedliche Toleranzstufen im Rechtsgebrauch der Frühneuzeit in Siebenbürgen fest, Dr. Maria Crăciun wies in ihrem Bildvortrag auf die Veränderungen religiöser Symbole auf sächsischen Altären in nachreformatorischer Zeit hin, Dr. Greta Miron ging auf das Bild der Griechisch-Orthodoxen in der Wahrnehmung der Jesuiten ein.

Den siebenbürgisch-sächsischen Gesangbüchern widmete sich Dr. Tamás Szőcs (Gronau), Hon.-Prof. Dr. Stefan Sienerth (IKGS München) sprach über pietistische Spuren in der siebenbürgisch-deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts. Über die Sachsen im Altreich, die verspätet zur lutherischen Reformation übergingen, sich im Kirchenritus den Orthodoxen anpassten und bald auch die rumänische Sprache annahmen, sprach Dr. Alexandru Ciocâltan (Nicolae Iorga-Institut – Bukarest).

Es würde den Rahmen dieses kurzen Berichtes sprengen, alle Beiträge anzuführen. Zwei sollen noch genannt werden: Dr. Harald Roth (Deutsches Kulturforum östliches Europa – Potsdam) zeigte anhand zahlreicher historischer Details, dass die sächsische lutherische Kirche sich noch lange der römisch-katholischen Tradition bediente und führte dies auf die fehlende Konkurrenz zurück: Da alle Sachsen die Reformation annahmen, musste man sich nicht durch äußere Symbole gegen die Katholiken absetzen. Auch die Ikonographie der katholischen Zeit wurde, wie Dr. Christoph Machat in seinem Beitrag veranschaulichen konnte, in den lutherisch-reformierten Kirchen Siebenbürgens entgegen der Bildersturm-Mentalität der Reformation noch lange bewahrt. Heiligenbilder wurden nicht bzw. erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts übermalt (so in der Schäßburger Bergkirche), auch Plastiken wurden nicht verstümmelt: „Einen Bildersturm hat es in den siebenbürgisch-sächsischen Kirchen nicht gegeben“.

Sonderfall Siebenbürgen? Zumindest ein weiterer Beweis dafür, dass Pragmatismus (auch) in Siebenbürgen oft die religiösen Verhältnisse regelte. Der Begriff der Toleranz, der eine Einsicht in und ein Verständnis für das Falsche, das Andere, den Anderen voraussetzt und seine aktive Duldung bedeutet, wurde von der Geschichtsschreibung nicht immer zu Recht auf die Verhältnisse in Siebenbürgen übertragen.

Annemarie Weber

Schlagwörter: Siebenbürgen-Institut, AKSL, Landeskunde, Geschichte

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