4. Dezember 2008

Populismus – eine ganz normale Begleiterscheinung der Demokratie?

Noch nie wurde im laufenden Jahr über einen Begriff so viel geredet, berichtet oder geschrieben wie über „Populismus“. In den Schatten gestellt wird diese Diskussion gerade durch die weltweite Finanzkrise, die jedoch vergehen wird – unsere Weltmächtigen bekommen sie langsam in Griff. Wir wollen es hoffen. Der Populismus wird aber bleiben und gedeihen, von der politischen Bühne ist er nicht mehr wegzudenken. Seine achterbahnartige Existenz – welch ein Paradox – wird derzeit von einer der höchsten demokratischen Errungenschaften bestimmt: wo, wann und welche freien Wahlen anstehen.
Dazu zwei aktuelle Beispiele: das eine auf der großen Weltbühne von Amerika, die Präsidentenwahl vom 4. November, und das andere auf der kleinen, heimischen Bühne von Rumänien, die Parlamentswahlen vom 30. November 2008. Die beiden Präsidentschaftskandidaten der Demokraten und Republikaner verkündeten einen radikalen Wechsel (change) für Wirtschaftsaufschwung, generellen Wohlstand und sogar allgemeinen Weltfrieden. All das und mehr wurde breitspurig im Wahlkampf versprochen, ohne einen ausreichenden Beweis dafür zu erbringen.

In Rumänien versprechen die Politiker aller Parteien vorgezogene Rentenerhöhungen, über fünfzigprozentige Gehaltserhöhungen oder hochkarätige Prämien für alle heimkehrenden Fremdarbeiter – vergessen aber zu erwähnen, woher das viele Geld herkommen soll.

Ähnliche realitätsfremde Versprechungen werden im Wahlkampf in fast allen Herrenländern abgegeben, auch in Ländern mit großer demokratischer Tradition, etwa in England, Frankreich oder auch in Deutschland.

In der politwissenschaftlichen TV-Sendung „Frontal 21“ im ZDF (im Internet abrufbar unter www.frontal21.de) wurde kürzlich festgestellt: Fast alle heutigen Politiker, gleich welcher Partei-Couleur, praktizieren den Populismus, ohne ihrem öffentlichen Ansehen dabei auch nur im Geringsten zu schaden. Als markante Beispiele erwähnt wurden Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) mit seinem Spruch „Die Renten sind sicher“, Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU), der voreilig „blühende Landschaften“ in den neuen Bundesländern versprochen hatte, sein Nachfolger Gerhard Schröder (SPD)stellte „Steuererleichterungen“ in Aussicht und der heutige Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) „Vollbeschäftigung“. Auch bei den jüngsten Landtagswahlen in Bayern übertrafen sich die Spitzenpolitiker gegenseitig in ihren Versprechungen und verloren trotzdem sogar die einfache CSU-Mehrheit.

Der Populismus ist eine aufwärts strebende Entwicklung, die heute eher noch am Anfang steht. Immer weniger Bürger bleiben aus „Politverdruss“ den Urnen fern, während Politiker sich verpflichtet fühlen, sie zur Wahl zu locken und ihnen das Blaue vom Himmel zu versprechen. Das sind zwei gegenläufige Entwicklungen, die sich gemeinsam – wie im Teufelskreis – hochschaukeln. Das Phänomen ist dabei gar nicht so neu und inzwischen wissenschaftlich belegt: Kernpunkte des Populismus wurzeln tief in der Weltgeschichte. Erst im modernen Zeitalter hat diese Weltanschauung jedoch ihre wahren praktischen und zweckmäßigen Dimensionen erreicht. Ihr Kernbegriff beruht auf der jesuitischen Moral: „Der Zweck heiligt die Mittel.“ Auch Hermann Busenbaums These ist bekannt und inzwischen weit verbreitet: „Cum finis est licitus, etiam media sunt licita“ – auf Deutsch: „Wenn der Zweck erlaubt ist, sind auch die Mittel dazu erlaubt.“

Um diese Tatsache, wenn auch nur in großen Zügen, zu veranschaulichen, seien hier einige Wirkungsbereiche erwähnt, in denen dieselbe Doppelmoral unter jeweils anderem Namen und mit anderen Begründungen anzutreffen ist:
  • In der Religion ist sie als „Missionarismus“ bekannt: Die Konfessionserweiterer oder Sektenprediger nennen sich Religionserneuerer und Glaubensverbesserer.
  • In der Kunst: Die Vertreter des „Abstraktionismus“ nennen sich Visionäre und Kompositions-Grundformgestalter sei es in der Malerei, Musik, im Theater oder Film.
  • In der Gesellschaft ist das Phänomen als „Opportunismus“ bekannt: Die Konjunkturreiter oder Sozial-Nutznießer nennen sich Anpassungs- und Zeitgemäßhandelnde – natürlich immer nur zum eigenen Vorteil.
  • In der Wirtschaft ist es als „Korruptionismus“ bekannt: Die meist heimlichen Vertreter dieser Auffassung nennen es gegenseitige Hilfsbereitschaft oder kurz Mutualität – das in gehobenen Kreisen. Im niedrigen Stande oder im alltäglichen Leben heißt es einfach: Eine Hand wäscht die andere.
  • In der Wissenschaft ist es als „Relativismus“ bekannt: Die meisten Akademiker, aber auch so mancher Pseudogelehrte bezeichnen es als Erkenntnis- oder Entwicklungsprozess, doch auch als ewige Fortschrittsbegrenzung in relativem Sinne – ja, nicht selten greift einer sogar in Gottes heilige Schöpfung ein.
  • In der Staatsgewaltausübung ist es als „Terrorismus“ bekannt: Die Mitstreiter oder Fundamentalisten dieser Weltanschauung nennen sich Revolutionäre und Freiheitskämpfer mit dem Ziel, die Welt-, Staats- oder Gesellschaftsordnung umzugestalten und zu verbessern – dies nicht selten mit Selbstaufopferung und Massenmordausübung.
  • In der Politik ist es, wie schon gesagt, als „Populismus“ bekannt: Die Befürworter dieser These bezeichnen es als Zweckgestaltung der aktuellen Demokratie oder einfach als Wahlkampfstrategie, die im Grunde stets eigenen Interessen dient.
Im heutigen globalisierten 21. Jahrhundert ist der Populismus von der Politik und eben auch von der Demokratie nicht mehr zu trennen. Die Schlussfolgerung ergibt sich wie von selbst: Die Zeiten und Menschen haben sich unwiderruflich verändert – die Politik und die gute, alte Demokratie machen dabei keine Ausnahme. Wir alle, Bürger dieser Welt, müssen uns diesen Änderungen stellen und sie teilweise akzeptieren. Andererseits gilt es dem Populismus entgegenzuwirken und uns einen Spruch des römischen Politikers und Philosophen Cicero vor Augen zu halten: „Salus populi, suprema lex“ – auf gut Deutsch: „Das Wohl des Volkes ist das höchste Gesetz“.

Otto-Walter Roth

Link:

Anneli Ute Gabanyi: Gefährdet Populismus die Demokratie in Rumänien?, Siebenbürgische Zeitung Online vom 22. April 2008

Schlagwörter: Politik

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Neueste Kommentare

  • 06.12.2008, 22:26 Uhr von Elsi: Ein großer Vorteil des Artikels ist der, dass er recht kurz gehalten und unprätentiös ... [weiter]

Artikel wurde 1 mal kommentiert.

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