1. November 2011

30 Jahre HOG Agnetheln

Am 24. September hatten die ausgewanderten Agnethler zum achten Mal Gelegenheit, einander zu treffen, und über 720 von uns nutzten den festlichen Anlass. Die Heimatortsgemeinschaft Agnetheln, die nun schon auf eine dreißigjährige Erfahrung zurückgreifen kann, sorgte in der Mühltalhalle von Bad Rappenau im Kraichgau für einen angemessenen Rahmen. Das Programm war straff, viele Begegnungen mit alten Freunden und ehemaligen Nachbarn mussten kurz gehalten werden und manche sind diesmal wohl auch nicht zustande gekommen.

Selbstbewusste „Guarreschanner“

Schon allein die Festordnung ließ ein wenig Stolz darauf hochkommen, was die Agnethler noch zustande bringen, obgleich die Organisationsstrukturen rein freiwillig und ehrenamtlich sind. So fand sich in den vorausgegangenen Wochen ad hoc eine dreißigköpfige Blaskapelle unter der Leitung von Hans Kessler und Wilhelm Wächter zusammen, die den musikalischen Part der Andacht würdig gestaltete, die Ansprachen rahmte, das gemeinschaftliche Singen begleitete und zum Aufmarsch der Trachtenpaare aufspielte. Dass mehr als zwei Dutzend Agnethler für ein paar Stunden in die prächtige alte Orts­tracht schlüpfen, ist bei uns nicht Wiederaufnahme einer abgelebten Überlieferung oder folkloristischer Aufputz, sondern ein wohlbedachtes, komplexes Bekenntnis; seit 150 Jahren trug man sich in diesem Marktort „städtisch“, und das war Ausdruck unseres Selbstbewusstseins. Die Teilnehmer fanden Spaß an einem bald hundert Jahre alten und nicht ganz ernst gemeinten Versuch einer Ortshymne in breitester Mundart und sangen mit, sie verfolgten gern die Darbietungen einer Volkstanzgruppe aus Herzogenaurach und eines für diesen Tag gebildeten Jugendblasorchesters, das nach nur einer Probe erfolgreich mit einem Marsch und einer Polka auftrat.
Beim Agnethler Treffen überreichen Doris Hutter ...
Beim Agnethler Treffen überreichen Doris Hutter und Helga Lutsch (von l.) Urkunden an verdiente Mitglieder: Marianne Brenner, Gudrun Wagner, Hans-Walter Zinz, Kurt Breckner, Wilhelm Wächter, Johann Kessler; Michael Kraus konnte nicht teilnehmen. Foto: Dieter Graef
Helga Lutsch, die Vorsitzende der HOG, begrüßte die Ehrengäste, darunter Pfarrer Reinhardt Boltres und Lehrer Bogdan Pătru, die aus Agnetheln angereist waren, Letzterer der Initiator der dortigen rumänischen Urzelnzunft „Breasla lolelor“, die sich als Erbe des bekannten sächsischen Handwerkerbrauchs versteht. Pfarrer Boltres berichtete kurz, aber eindrucksvoll von seiner evangelischen Restgemeinde, heute auf 131 Seelen geschrumpft, ihren Schwierigkeiten und Hoffnungen. Mit Pfarrer i. R. Günther Auner hatten wir wiederum einen Agnethler, der für die Zeit der Andacht das Rednerpult zu seiner Kanzel verwandelte.

Alle mit Harbachwasser getauft

Und als Alfred Mrass, stellvertretendender Bundesvorsitzender und Vorsitzender der Landesgruppe Baden-Württemberg des Verbandes der Siebenbürger Sachsen, ans Pult trat, um uns auch einen Gruß von Dr. Bernd Fabritius, dem Bundesvorsitzenden des Verbandes, zu überbringen, so waren es Grüße eines Agnethlers, die uns ein ebensolcher übermittelte; das tat dieser dann auch schon versuchsweise in der Ortsmundart, dem „Goarreschanneresch“. (Das Spottwort vom Agnethler als Mährenschinder haben wir längst zum Ehrentitel gemacht.) Damit fand er den Ton für jene freundschaftliche Nähe, ja Enge, in der eine Festansprache von der feierlichen Höhe zur Sachlichkeit und zum Levitenlesen changieren kann. Diesen Augenblicken der Nachdenklichkeit folgte der Bericht des HOG-Vorstandes über die zurückliegende Arbeit, vorgelegt von unserer Vorsitzenden sowie von Doris Hutter, Vorstandsmitglied und ihrerseits stellvertretende Bundesvorsitzende des Verbandes. Jenen, die eine besondere Leistung vorweisen können, wurde auf der Bühne persönlich und öffentlich mit einer Auszeichnung gedankt (siehe Foto).

Entdeckungen auf dem Büchertisch

Neben einer Ausstellung mit Erinnerungsstücken, Bildern und Büchern gab es den Nachmittag hindurch die Möglichkeit, sich alte und aktuelle Film- und Videoaufnahmen zu dem Städtchen am Harbach und den Urzeln anzusehen, und den ganzen Tag über fand sich ein Gedrängel von Interessenten am Büchertisch. Obwohl die Leser-Nachfrage in den letzten Jahren deutlich abgenommen hat, fand die reich bebilderte Festschrift der HOG „Agnetheln. Eine Chronik aus alten und neuen Zeiten“, von Kurt Breckner erarbeitet (Eigenverlag, 100 Seiten), gute Aufnahme. Und der Bildkalender zum Oeuvre des Agnethler Malers Michael Barner (1881-1961) ist fast schon eine Neuentdeckung: Zwar gab es in manchem Haushalt ein Blumenstück oder ein Bild der Agnethler Kirchenburg von Barners Hand, nichts wirklich Nennenswertes, musste der Maler doch über lange Zeit diese Motive zur Zufriedenheit der Kundschaft und als schiere Brotkunst für das tägliche Überleben hinpinseln; aber es findet sich auch Gewagtes und Gekonntes. Eine stattliche Zahl seiner sehr unterschiedlichen Gemälde und viel vom schriftlichen Nachlass gingen in den fünfziger Jahren und nach Barners Tod in den Bestand des Agnethler Harbachtalmuseums ein und finden sich dort heute in konservatorisch bedenklichem Zustand. Helga Lutsch nahm es auf sich, den Spuren dieser Künstlerexistenz – neben Malerei und Zeichnung auch Lyrik in mehreren Sprachen, viele Liedvertonungen, diverse Aufzeichnungen sowie Korrespondenz – nachzugehen, wobei der Kalender ein äußerst interessantes, aber nur vorläufiges Fazit der Recherche darstellt.

So war der Büchertisch beim Treffen der Agnethler für sich genommen eine Fundgrube. Hanswalter Müller bot hier die Auflistung aller Geburtstage der lebenden Agnethler an. Zudem konnte man da neben den beiden aktuellen Titeln die Agnethleriana der letzten Jahrzehnte finden sowie zwei neue Publikationsprojekte, die mit Subskriptionslisten gezielt das Interesse des Publikums suchten. Themen wie die Bilddokumentation des Friedhofs von Agnetheln oder die Veröffentlichung alter, nun digitalisierter Tondokumente des Agnethler Originals „Fitzi“ in der Ortsmundart, die mittels Übersetzung und Kommentar auch für Nichtkenner einen Zugang schaffen will, werden sicherlich keine Renner auf dem Buchmarkt, aber sie heben im neuen Medium das Verlorene auf – zumindest noch ein wenig. Mögen darum auch diese Projekte ihre Verwirklichung finden!

Ob bei diesem Treffen Wünsche offen geblieben sind? – Allerdings! An guter Stimmung fehlte es nicht, auch wenn die junge Generation nur spärlich im Saal anwesend war. Die Band „Akustik“ spielte bis zwei Uhr nachts zum Tanz auf. Doch viele Freunde und Bekannte sind gar nicht erschienen, die ich gern von Angesicht gesprochen hätte. Die nächste Chance für diese Wiedersehenswünsche gibt es hoffentlich in drei Jahren, dem HOG-Vorstand sei Lob und Dank für dieses und das nächste Mal!

Horst Fabritius

Schlagwörter: HOG-Treffen, Agnetheln, Jubiläum

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