24. Mai 2022

Nachruf auf den Schaaser Martin Binder

Am Karsamstag, dem 16. April, verstarb der langjährige Vorsitzende der HOG Schaas, Martin Binder, im gesegneten Alter von fast 88 Jahren in München.
Martin Binder (1934-2022) ...
Martin Binder (1934-2022)
Seine Geburt am 21. Juli 1934 in Schaas sollte für viele Generationen in unserer Heimatgemeinde und hier in unserer neuen Heimat von Bedeutung werden. Beim Heimgang eines geschätzten Menschen erwachen Bilder aus der Vergangenheit, die uns geprägt und begleitet haben. Unser Verstorbener hat sich eingebracht, hat gehandelt, ohne dies oder sich selbst besonders hervorzuheben. Dietrich Bonhoeffer hat es mit den Worten ausgedrückt: „Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen, nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen, nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit.“

Martin Binder hat, wenn ich an die 54 Jahre zurückdenke, an die ich mich bewusst an ihn erinnern kann, so manche „Wegweisung“ gesetzt, die mein, aber auch das Leben unserer ganzen Dorfgemeinschaft sehr beeinflusst und bereichert hat.

So zum Beispiel als mein Klassenlehrer und „Kulturheimdirektor“. Nach der Grundschule durfte ich die Schule besuchen, die auf der anderen Straßenseite meines Elternhauses stand und in die der „Kultursaal“ integriert war. So habe ich als „neugieriger Junge“ manche Begegnung Martin Binders mit „wichtigen“ Persönlichkeiten der Öffentlichkeit (politische Verantwortliche, Pressemitglieder) beobachten dürfen. Einige davon fanden im Schatten unseres Birnbaumes statt. Die Bedeutung dieser Begegnungen ist mir erst später bewusst geworden. Sie ermöglichten ein weiteres Wiederbeleben sächsischen Kulturgutes nach dem Zweiten Weltkrieg. So konnte unter Einbindung der ganzen Dorfgemeinschaft das „Kronenfest“ am Peter- und Paulstag (29. Juni 1969) gefeiert werden. Darüber berichteten Fernsehreporter und die Zeitungen. Dieses Fest war in den vielen Jahren danach ein wichtiger Baustein für die Stärkung unserer Gemeinschaft und des Zusammenhalts.

Vor mir liegt eine mit Blümchen bemalte Baumscheibe, die mein Klassenlehrer mir – so wie jedem anderen Schüler auch – am 1. Juni 1971 geschenkt hat. Auf ihr steht zu lesen: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“ und auf der Rückseite: „Zum Kindertag von deinem Klassenlehrer Martin Binder“. Ob ich diesen anspruchsvollen Leitsatz, der aus Goethes Feder stammt, immer erfüllen konnte? Wahrscheinlich nicht, aber als Orientierung hat er allemal gedient.

Ob heiter oder auch traurig, die zahlreichen Theaterstücke, die Martin Binder zusammen mit vielen anderen geschätzten Lehrkräften aufführte, bildeten das Leben mit seinen Höhen und Tiefen ab. Sogar mit uns Schülern wagte er solche für uns unvergesslichen Theateraufführungen. So prägte und bereicherte Martin Binder über Jahrzehnte auch das kulturelle Leben unserer Gemeinde. Dass wir eine deutschsprachige Schule unser Eigen nennen durften, war mindestens teilweise sein Verdienst. Durch die Errichtung eines Internats, in dem die sächsischen Kinder aus den umliegenden Dörfern Peschendorf, Denndorf und Wolkendorf in der Schulzeit wohnten, waren unsere Klassengrößen viele Jahre gesichert. Gerne denke ich auch an die sportliche Entwicklung in unserer Gemeinde. Unter der Federführung von Martin Binder entstanden zum Beispiel die uns Kindern und Jugendlichen liebgewordenen Sportplätze. Wer konnte sich vor 50 Jahren dessen rühmen, auf dem Dorf Plätze für Handball, Volleyball, Fußball sowie Schwebebalken und eine Weitsprunggrube mit Sand aufweisen zu können. Sogar für den Sportunterricht im Winter wurde ein alter Stall umgebaut. So stand einer körperlichen Ertüchtigung – wenn auch nicht ganz nach olympischen Vorschriften – wenig im Wege und unter den „Internatskindern“ wurde so sogar manches „sportliche Juwel“ entdeckt. Besonders gerne hielten wir uns am Sonntagnachmittag auf dem Fußballplatz am Weiher auf. Die Rivalität mit der Nachbargemeinde Trappold suchte ihresgleichen, und unser Lehrer versuchte mit großem Einsatz als Torwart seinen Kasten möglichst „sauber zu halten“!

Leider war die politische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes nicht erfreulich und so bröckelte unsere Gemeinschaft immer mehr. Martin Binder nutzte einen Deutschlandbesuch 1973, um den negativen Entwicklungen zu entkommen, blieb aber seiner Einstellung, aktiv zu sein und Verantwortung zu übernehmen, weiterhin treu.

Schon im darauffolgenden Jahr, am 4. Mai 1974, lud Martin Binder zum „1. Schaaser Treffen in der neuen Heimat“ ein. Die Einladung lautete: „Liebe Nachbarin, lieber Nachbar, in Schaas gehörten wir einer Gemeinschaft/Nachbarschaft an. Hier, in der neuen Heimat, sind wir in alle Himmelsrichtungen verstreut. Wir versuchen uns anzupassen. Wem es gelungen ist, kann sich glücklich schätzen. Uns bot die neue Heimat materielle Sicherheiten und Freiheiten, die wir schon lange nicht mehr kannten! Wie steht es mit deinen Gefühlen? Willst du dich nicht noch einmal mit deinen ehemaligen Landsleuten treffen? Wenn ja, komme bitte am 4. Mai nach Dachau in den ,Hörhammersaal‘ zu unserem 1. Treffen. Bei dieser Gelegenheit wollen wir unsere vierte Nachbarschaft, die mit Sitz in Deutschland, gründen. Wir freuen uns auf ein Wiedersehen mit dir und deiner Familie!“

Dieser Einladung folgten damals Schaaser und Personen, die zu Schaas eine Bindung hatten und durch den Krieg und die darauffolgende Familienzusammenführung schon hier waren. Mit dem vom Tonband abgespielten Glockenklang aus der Heimat gründeten die Anwesenden eine Nachbarschaft. Nun fanden die Heimattreffen jährlich statt und stärkten so die Gemeinschaft. Dies drückte sich nicht zuletzt auch in der Hilfsbereitschaft nach der Überschwemmung 1975 in Schäßburg und der Missernte im Dorf aus. Die vierte Nachbarschaft veranlasste Hilfspakete, um die Not zumindest etwas zu lindern und Solidarität zu zeigen. Hilfen gab es nun in regelmäßigen Abständen, vor allem vor Weihnachten.

Martin Binder führte zusammen mit weiteren Mitstreitern die Geschicke der Nachbarschaft bis 1989, als diese durch die unerwartete Wende von 1989 schnell Mitglieder gewann. Diese Veränderung der dagegen immer kleiner werdenden Gemeinde in Schaas ließ im Vorsitzenden unserer Heimatortsgemeinde die Notwendigkeit erkennen, ein Heimatbuch zu erstellen. Zusammen mit Dr. Heinz Heltmann und weiteren Autoren entstand 1999 ein gelungenes und beachtenswertes „Schaaser Buch“ mit fast 900 Seiten. Darin lässt sich das Wesentliche an Geschichte, Traditionen und Ereignissen eindrucksvoll nachvollziehen. Nach dieser herausfordernden Arbeit führte Martin Binder die Geschicke der Nachbarschaft noch bis 2001. Am 26. Mai 2001 überreichte er die Stafette an meine Mitstreiter und mich. Als wir sein Erbe nach 19 Jahren an die jüngere Generation weitergeben wollten, hatte er Angst, dass sein „Kind“, die Nachbarschaft, aufgelöst werden könnte. Seine Befürchtung ist glücklicherweise nicht eingetreten und bevor seine Kräfte schwanden, konnte er noch erfahren, dass unser 41. Schaaser Treffen am 14. Mai 2022 stattfinden würde. Zwei Tage vorher, am 12. Mai, wurde er nun auf dem Waldfriedhof in Dachau beigesetzt.

Albert Einstein sagte: „Der Mensch kann in seinem Leben einen Sinn nur finden, wenn er sich dem Dienst an der Gemeinschaft widmet.“ Das Leben unseres „Altnachbarvaters“ hat in vielem seinen Sinn gefunden. Wir sind ihm zu großem Dank verpflichtet und wünschen ihm die wohlverdiente Ruhe bei Gott.

Paul Sattler

Schlagwörter: Schaas, HOG, Vorsitzender, Porträt, Nachruf

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