16. Juli 2013

Gerda Miess wurde 100 Jahre alt: Blick auf ein bewegtes Jahrhundert

Am 19. Juni feierte Gerda Franziska Karoline Miess, geb. Titus, ihren 100. Geburtstag. Zu ihrem Ehrentag empfing sie in ihrer Wohnung und auf der Terrasse mit Blick auf den Schlossberg und den Münsterturm in Freiburg i. Br. Gäste, Freunde und einen Großteil ihrer Familie, vier Töchter und Schwiegersöhne, neun Enkelkinder und 13 Urenkel, von denen fast alle in Freiburg und Karlsruhe leben. Nach dem Tode ihres Ehemannes Gerhard Miess (1903-1988) lebt sie alleine und erinnert sich lückenlos an ihr bewegtes Leben in Wien, Hermannstadt, Kronstadt, Honigberg, Heltau und Freiburg.
Bei strahlendem Sonnenschein machte der Kulturbürgermeister Ulrich von Kirchbach seine Aufwartung und überbrachte auch die Gratulationen von Oberbürgermeister Dr. Dieter Salomon. Per Post gingen auch die guten Wünsche des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, und aus Berlin von Bundespräsident Joachim Gauck ein. Seitens des Verbandes der Siebenbürger Sachsen wünschte die kommissarische Vorsitzende der Kreisgruppe Freiburg, Sigrun Kelp, alte Bekannte aus dem Freiburger Chor der Kreisgruppe, gute Gesundheit und persönliches Wohlergehen.

Geboren in Wiener Neustadt als eine von drei Töchtern der Wienerin Karoline Franziska (Edle von Kerczek) Titus und dem sächsischen Militärarzt Dr. Hermann Titus, geboren in Mediasch, mit Abitur in Hermannstadt und Studium in Graz. Die sorglose Kindheit mit Ilse (verh. Uhl) und Karola (verh. Antoni) verbrachte sie in der Garnisonsstadt und im Familienhaus ihrer Mutter in der Hietzinger Hauptstraße in Wien in Sichtweite des Schönbrunner Schlosses. Wie alle Offiziersfamilien standen sie nach dem Zerfall der Donaumonarchie 1918 vor einer schicksalhaften Entscheidung. Der Regiments- und Stabsarzt der k.u.k. Militärakademie suchte und fand, mit Akzeptanz seiner Gattin, den Ausweg zurück nach Siebenbürgen und wurde im rumänischen Heer als Oberstarzt aufgenommen. Fast zwei Wochen rollten die zwei Waggons des Heimkehrerzuges mit Hausrat und Familie in das nun rumänische Siebenbürgen, weg von Inflation und Hunger. Der Wohnsitz und unvergessene Heimat wurde Hermannstadt mit Wohnung in der Bodenkreditanstalt am Großen Ring.
Gerda Miess auf ihrer Terrasse in Freiburg. ...
Gerda Miess auf ihrer Terrasse in Freiburg.


In die sächsische Gesellschaft und den Schulalltag integrierte sie sich schnell, dem Abitur folgte 1931 eine Ausbildung an der Handelsakademie in Wien und mit dem Schwesterndiplom absolvierte die junge Gerda 1933 an der Uniklinik ihre Ausbildung. Man war wieder in bekanntem Umfeld, es gab Studentenverbindungen, Bälle und Feste und die Wiener Verwandten. 1936 heiratete sie in Kronstadt den Unternehmer Gerhard Miess, Mitbegründer (1923) der Firma und Lederfabrik Brüder Miess A.G., die bis zur Verstaatlichung 1948 mit bis zu 100 Arbeitern und einigen Filialen von Bukarest bis Budapest funktionierte und heute als TAMIV-Firma in Weidenbach weiterlebt.

Man lebte zunächst in der Burggasse, dann mit den vier Töchtern am Berg in Kronstadt, in der Adele-Zay-Gasse, den Blick frei auf die Altstadt mit der Schwarzen Kirche. Es war eine von Musik erfüllte Zeit, Gerhard spielte bevorzugt Cello und Orgel, Gerda hatte bei Frau Olga Coulin Geigenunterricht genommen und war begeisterte Sängerin (Bachchor). So war es voraussehbar, dass die Töchter musikalisch erzogen wurden. Ihrem Ehemann stand sie auch in der Firma tatkräftig zur Seite.

Die Zeit der „Volksgruppe“, der Krieg und der Fliegeralarm über Kronstadt leiteten die schweren Tage ein: kommunistische Enteignung der Fabrik, Verlust des Gutshofes in Biengärten (heute Stupini in Kronstadt), Räumung des Hauses und 1952 Zwangsevakuierung (damals: domiciliu forțat). Zwei Töchter (Gerhild und Helgard) mit dem Vater kamen nach Hermannstadt, zwei Töchter (Margund und Nora) mit der Mutter bis 1955 nach Honigberg.

In diesen Jahren war sie stets treue Partnerin, sorgte für den Familienzusammenhalt, war Beraterin in allen Lebenslagen. In der kleinen Mansardenwohnung in der Wiesengasse in Hermannstadt, es war der vorletzte Umzug der Familie, war man wieder zusammen, und der Rundblick über die Hartenecktürme zu das Fogarascher Gebirge war imponierend. Gäste waren stets willkommen und fühlten sich bei ihr wohl, während ihr Mann als Cellist in der Philharmonie, Organist und Chorleiter in Heltau, Musiklehrer und Dirigent sowie Initiator der „Musik für Alle“-Konzerte für den Unterhalt sorgte.

1973 konnten Gerhard und Gerda Miess ausreisen. Bis 1982 folgten die vier Töchter mit ihren Familien. Für die Eltern begann eine Zeit, in der lang ersehnte Wünsche in Erfüllung gingen, auch bei den Töchtern, die zusammen mit Ehegatten und Kindern neu aufbauten, unter anderen Bedingungen, die auch zu Dank verpflichten.

2003 konnte Gerda Miess mit genealogisch fundierter Sicherheit behaupten, einen ihrer Vorfahren im Kaiserstuhl (Eichstetten) gefunden zu haben. Ihr Ur-Urgroßvater, Kaspar Kümmerlin (1763-1835), Müllersohn, wurde Soldat und als Major der österreichischen Armee in Graz als „Kümmerlin von Eichenau“ pensioniert. Seine Nachkommen waren als Offiziere dieser Armee bis 1917 treu. In Erinnerung an die Kaiserstühler Vorfahren fand die Familienfeier in der kleinen Ortschaft Bottingen „Im Rebstock“ im Kreise der Großfamilie statt, mit Kinder- und Familienchor, Familienquartett mit Wiener Musik, Freunden und Bekannten sowie einer liebe- und humorvollen Rede ihres Enkels Harald Kraus (47) über „meine ganz besondere Omama“, die sich in hohem Alter mit dem Slogan „Yes I can“ angefreundet hat. Bei dieser Geburtstagsfeier waren sich alle einig, dass das Lebenselixier der Gerda Miess in Optimismus, Humor, Willenskraft, Bewegung, Musik und viel, viel Familie bestand und immer noch besteht. An dieser Stelle sei der Jubilarin weiterhin ein gesundes und erfülltes Weiterleben im Kreise ihrer Familie gewünscht.

F. M.

Schlagwörter: Jubilar, Wien, Hermannstadt, Freiburg

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