10. April 2016
Elf Fragen an die Autorin Iris Wolff
Im Nürnberger Zeitungs-Café Hermann Kesten hat Iris Wolff am 7. April auf Einladung des Nürnberger Kulturbeirates zugewanderter Deutscher in Kooperation mit dem Bildungscampus der Stadt Nürnberg aus ihrem Roman „Leuchtende Schatten“ gelesen. Vorgestellt wurde das Schaffen der Schriftstellerin Iris Wolff von Josef Balazs, der in seinen Ausführungen das Thema Heimat umkreiste und so dem Publikum den Einstieg in die siebenbürgische Welt Hermannstadts erleichterte. Vor der Lesung traf Balazs die Autorin und stellte ihr 11 Fragen.
1. „Heimat“ soll für manche Kritiker, sogar Leser, irritierend sein, obwohl seit der Antike dieses Motiv ein wichtiges ist. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Iris Wolff: Meine Erfahrungen sind überwiegend positiv. Ich glaube, dass selbst Menschen, die mit dem Begriff Heimat nichts anfangen können, das Gefühl des Heimwehs kennen. Und wer es kennt, kann sich fragen, was diesen Ort ausmacht, nach dem er sich sehnt. Sind es die Menschen? Dinge? Vertraute Zimmer? Die Landschaft? Sind es Erfahrungen und Erinnerungen, die an einen Ort geknüpft sind? Braucht man das Zurück-kommen an jenen Ort (ganz gleich ob in der Erinnerung oder in der Wirklichkeit), um sich immer wieder daran zu erinnern, wer man ist, wo man herkommt und wer man sein will? Aber man muss aufpassen, dass man als junge Autorin nicht den Stempel einer rückwärtsgewandten Literatur aufgedrückt bekommt. Ich vermeide in meinem Schreiben das Verklärende, das dem Wörtchen „Heimat“ anhaftet.
2. Der Schweizer Dichter Max Frisch stellt in seinem Tagebuch die Frage: Wie viel Heimat braucht der Mensch? Was würden Sie auf diese Frage antworten?
Soviel wie es geht und an so verschiedenen Orten wie möglich. Gerne auch in einem anderen Menschen, einem Buch, einem Baum.
3. Sie verwenden vielfältige Symbole in ihren Romanen. Wie definieren Sie das Symbol?
Mein Symbolbegriff ist stark von dem Mythologen Joseph Campbell beeinflusst. Durch Symbole ist ästhetische Erfahrung möglich. Ein Symbol in der Kunst ist niemals eindeutig und macht so den Deutenden (im Falle der Literatur den Lesenden) zum Mit-Schöpfer des Werks. Durch seine Vorstellungskraft, sein Wissen, seine inneren Bilder wird Literatur lebendig. Ein poetischer Text ist immer nur von einem einzelnen Individuum erlebbar, Teil einer Interpretation ist immer das eigene Leben. Deswegen dürfen Sie mich nicht nach der Bedeutung der Symbole in meinen Büchern fragen. Wie ich sie deute, ist zweitrangig.
4. Was bedeutet Ihnen das Schreiben?
Das Schreiben ist mein Zugang zur Welt, ich verstehe sie am besten schreibend. Ich mache nur hier die Erfahrung, dass alle meine Fehler und Untauglichkeiten einen Sinn ergeben. Dichten ist keine Tätigkeit, sondern ein Zustand, hat Robert Musil gesagt. Es ist, neben der Liebe, einer der schönsten Zustände, die ich kenne.
5. Könnten Sie auch dann (noch) schreiben, wenn sie wüssten, dass kein einziges Wesen auf der Welt Bücher liest.
Ich würde gerne Ja sagen, denn wenn niemand die Geschichten liest, die man schreibt, würde es einen im besten Fall davon befreien, verständlich sein zu müssen, und vielleicht würde man dann der eigenen, authentischen Sprache am nächsten kommen. Auf der anderen Seite kann ich mir nicht vorstellen, etwas zu tun, das völlig ohne Resonanz bleibt. Das ist ein Grundbedürfnis aller Menschen, egal ob Künstler oder nicht: im Austausch mit anderen zu sein.
6. In Ihrem Blog haben sie öfters Eintragungen über Franz Kafka. Was fasziniert Sie an Kafka?
Kafka kann man immer wieder lesen und wird nie mit ihm fertig. Es gibt Sätze bei Kafka, die lassen einen nicht los. Sie lösen das Gegenteil von Behaglichkeit, Vertrautheit aus, sie sind Versteckspiel, zeigen das Doppelbödige des Lebens. Ich bewundere die Gleichzeitigkeit von Präzision und Offenheit in Kafkas Texten. Wie er seine Figuren durch Mimik und Gestik skizziert, sie wie auf einer Bühne arrangiert. Aber auch jenseits der Literatur bin ich fasziniert von dem Menschen Kafka, dem man in seinen Tagebüchern und Briefen begegnen kann. „Man kann eben zweierlei zugleich sein. Eines Freundes guter Traum und das eigene böse Erwachen.“ (Brief an Hans Mardersteig)
7. Früher hatten Schriftsteller Zettelkasten. Welche Schreibhilfen haben Sie?
Es mag seltsam klingen, aber meine Computer-Tastatur ist ein unverzichtbares Werkzeug. Keine klingt wie sie (ein mechanisches Klicken, das die neueren Tastaturen nicht mehr haben), keine hat diesen einzigartigen Druckpunkt, fast als wäre sie eine Schreibmaschine. Als unverzichtbare Schreibhilfen würde ich auch mein Notizbuch bezeichnen, und einen gespitzten Bleistift oder einen Kugelschreiber der Marke Bic.
8. Ihr Blog beginnt im August 2006. Es sind Gedankengänge einer Schriftstellerin, die man sehr gerne liest. Warum sind Ihre Eintragungen immer kürzer, in den letzten Jahren nur noch Zitate von anderen Schriftstellern, die Sie für sich sprechen lassen?
Als ich meinen Blog angefangen habe, ging es viel darum, mein Selbstverständnis als Schreibende zu finden, meine Poetologie des Schreibens. Je weiter ich mit meinen Romanen und Kurzgeschichten komme, desto weniger ist das Bedürfnis da, mich außerhalb meiner Geschichten schreibend zu erklären. Besser als in meinen Geschichten kann ich mich nicht ausdrücken, sie versammeln das Beste, das ich zu sagen habe.
9. Über welche möglichen anderen Themen könnten Sie schreiben?
Da mich die Themen schreibend und mit der Zeit finden, wird sich das nur durch das Schreiben und durch die Zeit zeigen.
10. Ihrem zweiten Roman ist das Brecht-Gedicht „Die Liebenden“ vorangestellt. Sie widmen diesem Gedicht ein ganzes Kapitel, um im letzten Kapitel erneut auf die Kraniche zurückzukommen. Was bedeutet Ihnen dieses Gedicht?
Für mich ist es eines der schönsten deutschen Liebesgedichte. Ich kenne keinen Text, der die Vergänglichkeit aller Dinge und gleichzeitig die Kraft der Liebe so exakt beschreibt.
11. Was dürfen Ihre Leser von Ihnen in der nächsten Zukunft erwarten?
Mein nächstes Buchprojekt hat wieder Siebenbürgen als Ausgangspunkt. Wahrscheinlich erscheint es nächstes Jahr. Es gibt nicht wenige Leser, die fragen, wann endlich ein Thema jenseits jener kleinen Welt am Karpatenbogen kommt. Vielleicht muss man als Autorin vorsichtig sein, nicht auf ein einziges Thema festgeschrieben zu werden. Gibt es etwas Schlimmeres als Festschreibungen? Wissen Sie, solange meine Geschichten mich nach Siebenbürgen führen, werde ich mich dem nicht widersetzen. Eines Tages werden sie mich vielleicht woanders hinführen – ich bin selbst gespannt wohin.
Liebe Iris Wolff, ich danke für das Gespräch und wünsche Ihnen viel Glück für das neue Buch! Wir warten gespannt auf die Neuerscheinung!
Lesen Sie dazu auch:
"Aus einem Leben in ein anderes Leben"
Leuchtende Schatten: Interview mit der Autorin Iris Wolff
Iris Wolff: Meine Erfahrungen sind überwiegend positiv. Ich glaube, dass selbst Menschen, die mit dem Begriff Heimat nichts anfangen können, das Gefühl des Heimwehs kennen. Und wer es kennt, kann sich fragen, was diesen Ort ausmacht, nach dem er sich sehnt. Sind es die Menschen? Dinge? Vertraute Zimmer? Die Landschaft? Sind es Erfahrungen und Erinnerungen, die an einen Ort geknüpft sind? Braucht man das Zurück-kommen an jenen Ort (ganz gleich ob in der Erinnerung oder in der Wirklichkeit), um sich immer wieder daran zu erinnern, wer man ist, wo man herkommt und wer man sein will? Aber man muss aufpassen, dass man als junge Autorin nicht den Stempel einer rückwärtsgewandten Literatur aufgedrückt bekommt. Ich vermeide in meinem Schreiben das Verklärende, das dem Wörtchen „Heimat“ anhaftet.
2. Der Schweizer Dichter Max Frisch stellt in seinem Tagebuch die Frage: Wie viel Heimat braucht der Mensch? Was würden Sie auf diese Frage antworten?
Soviel wie es geht und an so verschiedenen Orten wie möglich. Gerne auch in einem anderen Menschen, einem Buch, einem Baum.
3. Sie verwenden vielfältige Symbole in ihren Romanen. Wie definieren Sie das Symbol?
Mein Symbolbegriff ist stark von dem Mythologen Joseph Campbell beeinflusst. Durch Symbole ist ästhetische Erfahrung möglich. Ein Symbol in der Kunst ist niemals eindeutig und macht so den Deutenden (im Falle der Literatur den Lesenden) zum Mit-Schöpfer des Werks. Durch seine Vorstellungskraft, sein Wissen, seine inneren Bilder wird Literatur lebendig. Ein poetischer Text ist immer nur von einem einzelnen Individuum erlebbar, Teil einer Interpretation ist immer das eigene Leben. Deswegen dürfen Sie mich nicht nach der Bedeutung der Symbole in meinen Büchern fragen. Wie ich sie deute, ist zweitrangig.
4. Was bedeutet Ihnen das Schreiben?
Das Schreiben ist mein Zugang zur Welt, ich verstehe sie am besten schreibend. Ich mache nur hier die Erfahrung, dass alle meine Fehler und Untauglichkeiten einen Sinn ergeben. Dichten ist keine Tätigkeit, sondern ein Zustand, hat Robert Musil gesagt. Es ist, neben der Liebe, einer der schönsten Zustände, die ich kenne.
5. Könnten Sie auch dann (noch) schreiben, wenn sie wüssten, dass kein einziges Wesen auf der Welt Bücher liest.
Ich würde gerne Ja sagen, denn wenn niemand die Geschichten liest, die man schreibt, würde es einen im besten Fall davon befreien, verständlich sein zu müssen, und vielleicht würde man dann der eigenen, authentischen Sprache am nächsten kommen. Auf der anderen Seite kann ich mir nicht vorstellen, etwas zu tun, das völlig ohne Resonanz bleibt. Das ist ein Grundbedürfnis aller Menschen, egal ob Künstler oder nicht: im Austausch mit anderen zu sein.
6. In Ihrem Blog haben sie öfters Eintragungen über Franz Kafka. Was fasziniert Sie an Kafka?
Kafka kann man immer wieder lesen und wird nie mit ihm fertig. Es gibt Sätze bei Kafka, die lassen einen nicht los. Sie lösen das Gegenteil von Behaglichkeit, Vertrautheit aus, sie sind Versteckspiel, zeigen das Doppelbödige des Lebens. Ich bewundere die Gleichzeitigkeit von Präzision und Offenheit in Kafkas Texten. Wie er seine Figuren durch Mimik und Gestik skizziert, sie wie auf einer Bühne arrangiert. Aber auch jenseits der Literatur bin ich fasziniert von dem Menschen Kafka, dem man in seinen Tagebüchern und Briefen begegnen kann. „Man kann eben zweierlei zugleich sein. Eines Freundes guter Traum und das eigene böse Erwachen.“ (Brief an Hans Mardersteig)
7. Früher hatten Schriftsteller Zettelkasten. Welche Schreibhilfen haben Sie?
Es mag seltsam klingen, aber meine Computer-Tastatur ist ein unverzichtbares Werkzeug. Keine klingt wie sie (ein mechanisches Klicken, das die neueren Tastaturen nicht mehr haben), keine hat diesen einzigartigen Druckpunkt, fast als wäre sie eine Schreibmaschine. Als unverzichtbare Schreibhilfen würde ich auch mein Notizbuch bezeichnen, und einen gespitzten Bleistift oder einen Kugelschreiber der Marke Bic.
8. Ihr Blog beginnt im August 2006. Es sind Gedankengänge einer Schriftstellerin, die man sehr gerne liest. Warum sind Ihre Eintragungen immer kürzer, in den letzten Jahren nur noch Zitate von anderen Schriftstellern, die Sie für sich sprechen lassen?
Als ich meinen Blog angefangen habe, ging es viel darum, mein Selbstverständnis als Schreibende zu finden, meine Poetologie des Schreibens. Je weiter ich mit meinen Romanen und Kurzgeschichten komme, desto weniger ist das Bedürfnis da, mich außerhalb meiner Geschichten schreibend zu erklären. Besser als in meinen Geschichten kann ich mich nicht ausdrücken, sie versammeln das Beste, das ich zu sagen habe.
9. Über welche möglichen anderen Themen könnten Sie schreiben?
Da mich die Themen schreibend und mit der Zeit finden, wird sich das nur durch das Schreiben und durch die Zeit zeigen.
10. Ihrem zweiten Roman ist das Brecht-Gedicht „Die Liebenden“ vorangestellt. Sie widmen diesem Gedicht ein ganzes Kapitel, um im letzten Kapitel erneut auf die Kraniche zurückzukommen. Was bedeutet Ihnen dieses Gedicht?
Für mich ist es eines der schönsten deutschen Liebesgedichte. Ich kenne keinen Text, der die Vergänglichkeit aller Dinge und gleichzeitig die Kraft der Liebe so exakt beschreibt.
11. Was dürfen Ihre Leser von Ihnen in der nächsten Zukunft erwarten?
Mein nächstes Buchprojekt hat wieder Siebenbürgen als Ausgangspunkt. Wahrscheinlich erscheint es nächstes Jahr. Es gibt nicht wenige Leser, die fragen, wann endlich ein Thema jenseits jener kleinen Welt am Karpatenbogen kommt. Vielleicht muss man als Autorin vorsichtig sein, nicht auf ein einziges Thema festgeschrieben zu werden. Gibt es etwas Schlimmeres als Festschreibungen? Wissen Sie, solange meine Geschichten mich nach Siebenbürgen führen, werde ich mich dem nicht widersetzen. Eines Tages werden sie mich vielleicht woanders hinführen – ich bin selbst gespannt wohin.
Liebe Iris Wolff, ich danke für das Gespräch und wünsche Ihnen viel Glück für das neue Buch! Wir warten gespannt auf die Neuerscheinung!
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Leuchtende Schatten: Interview mit der Autorin Iris Wolff
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Schlagwörter: Kultur, Wolff, Autorin, Nürnberg, Siebenbürgen, Heimat
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