28. Oktober 2022
Herausragende Rumänienexpertin und einsichtsreiche Kennerin der "unvollendeten Revolution": Dr. Anneli Ute Gabanyi zum 80.
Ohne Zweifel gehört Dr. Anneli Ute Gabanyi seit Jahrzehnten zu den bekanntesten Rumänienexperten im deutschsprachigen Raum. Ihr stets umsichtig informiertes, gründliches Sachwissen ging nicht nur in eine Vielzahl von Artikeln, Aufsätzen und Büchern ein, sondern ist viele Jahre wiederholt auch in Hearings, Rundfunk- und Fernsehsendungen, Expertisen (z.B. für das Auswärtige Amt) usw. in Anspruch genommen worden. Vor allem in den Jahren nach der demokratischen Wende im östlichen Europa hat sie zudem eine sehr erfolgreiche Tätigkeit im Hinblick auf den Auf- und Ausbau fachlicher Beziehungen zu Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, zu Forschungs- und Kultureinrichtungen sowie zu intellektuellen Kreisen in Rumänien entwickelt oder reaktiviert. Dabei kam dem Erfolg sicherlich ihre auch sonst vielfach geschätzte charmante, menschlich einnehmende und zugleich sehr seriöse und zuverlässige Art zugute.
Am 18. Oktober 1942 in Bukarest geboren, wo ihre Familie damals auf Grund der beruflichen Tätigkeit ihres Vaters lebte, kam sie mit dieser nach dem Zweiten Weltkrieg in deren Heimatstadt Hermannstadt. Als sprachgewandte und kluge Schülerin fiel sie dort sicherlich nicht nur dem damals achtjährigen Peter Motzan eindrucksvoll auf, wie sich dieser in einem Beitrag in der Siebenbürgischen Zeitung, Folge 17 vom 31. Oktober 2012, S. 3, anlässlich ihres 70. Geburtstags erinnert. Sie wird – nicht zuletzt als Orgelschülerin von Professor Franz Xaver Dressler – gewiss auch vielen anderen Landsleuten und Zeitgenossen jener Zeit in den siebenbürgisch-sächsischen bildungsbürgerlichen Kreisen Hermannstadts lebhaft in Erinnerung geblieben sein.
Ihr Studium der Anglistik und Rumänistik an der Philologischen Fakultät der Babeș-Bolyai Universität Klausenburg, das sie 1960 aufnahm, wurde durch ihre Aussiedlung mit der Familie im März 1963 unterbrochen. Im Westen setze sie ihre sprach- und literaturwissenschaftlichen Studien zunächst an der Ludwig-Maximilians-Universität in München wie auch zeitweilig an der Universität in Clermont-Ferrand in Frankreich fort. Zudem erweiterten sich ihre wissenschaftlichen Interessengebiete allmählich immer weiter in Richtung Politikwissenschaft und Zeitgeschichte, wobei Rumänien und Osteuropa stets im Mittelpunkt ihrer Forschungs- und Erkenntnisinteressen blieben. Dies hing wohl auch mit ihrem beruflichen Werdegang zusammen, der sie zunächst in die Stelle einer Wissenschaftlichen Mitarbeiterin der rumänischen Abteilung am Forschungsinstitut von Radio Free Europe und sodann 1984 in die der Abteilungsleiterin dortselbst brachte. 1988 wechselte sie als Rumänienreferentin an das Münchner Südost-Institut. Als dieses Institut im Jahr 2001 aufgegliedert wurde, ging sie nach Berlin und wirkte bis zu ihrem Eintritt in den Ruhestand als Wissenschaftliche Referentin an dem Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit der Stiftung Wissenschaft und Politik, in der Forschungsgruppe EU-Außenbeziehungen.
Persönlich lernte ich Anneli Ute Gabanyi bei einer Arbeitstagung zur „Minderheitenproblematik in Südosteuropa“ des Südostdeutschen Kulturwerkes e.V. am 17./18. Oktober 1988 in München kennen. Dort überreichte sie mir in ihrer unverwechselbar freundlichen Art ihr 1975 im R. Oldenbourg Verlag München erschienenes Buch „Partei und Literatur in Rumänien seit 1945“, mit der Widmung „Für Anton Sterbling mit herzlichen Glückwünschen zu einem ausgezeichneten Vortrag …“. Natürlich freuten mich diese anerkennenden Worte einer so namhaften Rumänienkennerin. Dieser Band war und ist mir bis heute in meiner gelegentlichen Beschäftigung mit der Literatur in Rumänien und der rumäniendeutschen Literatur nicht nur stets eine nützliche Hilfe, sondern dessen Überreichung war auch der Anfang eines regelmäßigen Gedankenaustauschs wie auch einer häufigeren Zusammenarbeit und später auch einer dauerhaften Freundschaft. Erwähnen sei in diesem Zusammenhang nur die gemeinsam vorbereitete und geleitete Internationalen Tagung „Sozialstruktureller Wandel, soziale Probleme und soziale Sicherung in Südosteuropa“ der Südosteuropa-Gesellschaft in Kooperation mit der Sektion „Ost- und Ostmitteleuropa-Soziologie“ in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, an der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, vom 21. bis 23. März 2000, aus der sich zeitnah ein gemeinsam herausgegebener Tagungsband mit dem gleichen Titel in der Reihe Südosteuropa-Studien, Band 65, Verlag der Südosteuropa-Gesellschaft, München 2000, ergab. In den 1990er Jahren war unsere wissenschaftliche Zusammenarbeit nicht nur wechselseitig anregend, sondern von meiner Seite auch gelegentlich mit der Pflicht verbunden, sie an die Fertigstellung ihrer Dissertation zu erinnern, die sie sodann tatsächlich im Jahr 1996 an der Helmut Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg einreichte und mit der sie ihre Promotion auch im mündlichen Prüfungsteil sehr eindrucksvoll und erfolgreich abschloss. Diese Arbeit zum Thema „Systemwechsel in Rumänien. Von der Revolution zur Transformation“, die seinerzeit zu einem Standardwerk der Rumänienforschung wurde, bündelte das umfassende Sach- und Faktenwissen der Autorin über Rumänien und Osteuropa und insbesondere über die politischen Entwicklungen in diesem Land und in dieser europäischen Region in einer systematischen und kritisch reflektierten Weise, wobei bestimmte theoretische Wissensgrundlagen der Soziologie und anderer Sozialwissenschaften geschickt zusammengeführt und integriert wurden. Die Arbeit stützte sich vor allem auf Theorien des sozialen Wandels und insbesondere auf Revolutionstheorien, auf Elitetheorien wie auch auf Konzepte der Demokratie- und Parteienforschung. Ein weiteres Anliegen, das die Untersuchung eingehender verfolgte und vorzüglich einlösen konnte, bestand darin, die Geschehnisse in Rumänien in eine vergleichende Betrachtungsperspektive und zugleich in einen sachlichen Zusammenhang zu den politischen Umbrüchen und Transformationsprozessen in den anderen osteuropäischen Gesellschaften zu stellen, um bestimmte gemeinsame Faktoren des Wandels und ineinandergreifende Wirkungszusammenhänge, aber auch gesellschaftsspezifische Abweichungen und Besonderheiten der Entwicklungsverläufe deutlich zu machen. Dieser Arbeit, die später unter dem gleichen Titel als Band 35 der Schriftenreihe des Südost-Instituts, Oldenbourg Verlag, München 1998, erschienen ist, gelang es durchweg sehr überzeugend, theoretische Leitideen und Analysegesichtspunkte mit umfassendem und detailliertem empirischen Informations- und Faktenwissen zu verbinden. Sie gab damit der weiteren sozialwissenschaftlichen Rumänien- und Osteuropaforschung wichtige innovative und erkenntnisfördernde Impulse. Wie es bei der wissenschaftlichen Reputation Anneli Ute Gabanyis kaum anders zu erwarten war, zeichnete sich auch dieses Buch durch einen klaren, flüssigen und anschaulichen Schreibstil und eine vorzügliche Lesbarkeit aus.
Neben diesem Buch, das als Dissertation gewiss einen hervorragenden Stellenwert im eindrucksvollen Gesamtwerk der Autorin einnimmt, möchte ich zugleich die Bedeutung der vielen aktualitätsnahen und stets sehr gut recherchierten und informierten Artikel und Aufsätze, die seit den 1980er Jahren von Anneli Ute Gabanyi regelmäßig in Fachzeitschriften und Sammelbänden veröffentlicht wurden, keineswegs übergehen. So ist an ihre damals sehr wichtigen Aufsätze über „Die Deutschen in Rumänien“, in Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 50, Bonn 1988, oder über „Ceauşescus ,Systematisierung‘. Territorialplanung in Rumänien“, in Südosteuropa. Zeitschrift für Gegenwartsforschung, 38. Jg., München 1989, zu erinnern. Oder an ihre Beiträge „Das politische System Rumäniens“ in dem Standardwerk von Wolfgang Ismayr (Hrsg.): „Die politischen Systeme Osteuropas“, Leske + Budrich, Opladen 2002, „Die rumänischen Eliten in der Systemtransformation“, in Hans-Joachim Veen (Hrsg.): „Alte Eliten in jungen Demokratien?“, Böhlau Verlag, Köln-Weimar-Wien 2004, und „Staat und Zivilgesellschaft in Rumänien“ in Anton Sterbling (Hrsg.): Zivilgesellschaftliche Entwicklungen in Südosteuropa. Südosteuropa-Jahrbuch 26, Verlag Otto Sagner, München 2009.
Unter ihren Büchern möchte ich, sicherlich etwas willkürlich, nur einige wenige kurz ansprechen. Mit ihrem Band „Die unvollendete Revolution. Rumänien zwischen Diktatur und Demokratie“, München-Zürich 1990, legte Anneli Ute Gabanyi eine der ersten, analytisch sehr aufschlussreichen und entsprechend weit über die Wissenschaft hinaus beachteten Untersuchungen zu dem Niedergang des Ceaușescu-Regimes und den folgenden Systemveränderungen in Rumänien vor. Die Kennzeichnung als „unvollendete Revolution“ hat diese historischen Geschehnisse ebenso prägnant wie passend auf den Begriff gebracht und zugleich die kommenden Schwierigkeiten der Demokratisierung Rumäniens trefflich antizipiert. International weiträumig und mit großer Anerkennung rezipiert wurde ihr Band „The Ceaușescu Cult. Propaganda and Power Policy in Communist Romania“, Bucharest 2000, zu dem es unter dem Titel „Cultul lui Ceauşescu“, Polirom, Iaşi 2003, auch eine rumänische Fassung gibt. Der neuere, vielbeachtete Band: Anneli Ute Gabanyi, Alexandru Muraru, Andrei Muraru, Daniel Şandru (Hrsg.): „Revoluţia din 1989. Ȋnvinşi şi Ȋnvingători“ (Die Revolution von 1989. Besiegte und Sieger), Bukarest 2020, betrachtet und bilanziert aus einer zeitlichen Distanz von etwa dreißig Jahren nochmals eingehend und abwägend die Zeit der politischen Wende in Rumänien und Entwicklungen der Folgezeit. Schließlich sei der von Anneli Ute Gabanyi und Klaus Schroeder herausgegebene Band „Vom Baltikum zum Schwarzen Meer. Transformation im östlichen Europa“, Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 2002, erwähnt, in der einschlägige, von bekannten Autoren verfasste übergreifende Beiträge zur Geschichte, Geopolitik, kulturellen Identität und politischen Kultur und den Transformationsprozessen im östlichen Europa wie auch einzelne Länderanalysen zusammengeführt werden. Auch dieser Sammelband lässt deutlich erkennen, dass Gabanyi nicht nur als eine hervorragende Rumänienexpertin betrachtet werden kann, sondern dass ihre wissenschaftlichen Forschungs- und Erkenntnisinteressen zugleich darüber hinausgehend international komparativ angelegt und vielfach theoretisch interdisziplinär abgesichert sind.
Gabanyis Interessen waren und sind nicht nur sozialwissenschaftlicher Art, sondern schließen von Anfang an die Literatur, Kunst und andere Facetten der Kultur ebenso selbstverständlich mit ein. Schließlich sei auch nochmals auf ihre außerordentliche Sprachbegabung und Sprachgewandtheit aufmerksam gemacht, konnte ich, wie viele andere, doch immer wieder beeindruckt erleben, wie sie mühelos zwischen Deutsch, Rumänisch, Englisch und Französisch wechselte und bei Bedarf unverzüglich, bedeutungsgenau und treffsicher auch schwierigste Aussagen übersetzte. Was die deutsche und rumänische Kultur und Gesellschaft betrifft, so ist sie keineswegs nur als eine Übersetzerin und Vermittlerin oder Analytikerin und Interpretin zu betrachten, sondern auch als tatkräftige Initiatorin und „Konstrukteurin“ entsprechender interkultureller und institutioneller Beziehungen. In diesem Zusammenhang kann man ihre profunde Vertrautheit mit der rumänischen Kultur und Gesellschaft ebenso bewundern wie die Tatsache zur Kenntnis nehmen, dass ihre unaufdringliche und doch zugleich unübersehbare Sympathie dem rumänischen Kulturraum und den Menschen in Rumänien gilt; also dass sie diesem Land, ihrem Geburtsland und ihrer alten Heimat, stets aufmerksam aufgeschlossen und aufrichtig zugeneigt erscheint und dessen Bestes anstrebt.
Es dürfte nach dem hier lediglich punktuell und exemplarisch Erwähnten und in Erinnerung Gerufenen nur wenig erstaunen, dass die Politikwissenschaftlerin mit einer Reihe rumänischer Orden und Preise ausgezeichnet wurde, u.a. mit dem Orden „Pentru Merit“ („Verdienstorden““) im Grade eines Offiziers (2000), dem Orden „Serviciul Credincios“ („Glaubensdienst“) im Grade eines Offiziers (2004), dem Preis des Rumänischen Kulturinstituts (2004), dem Diplom „Meritul Academic“ („Akademischer Verdienst“) der Rumänischen Akademie (2008), dem Orden „Crucea Casei Regale a României“ („Kreuz des Königshauses Rumäniens“) (2011), dem Orden „Crucea României în grad de Comandor“ („Kreuz Rumäniens im Grad eines Kommandeurs“) (2016). Wie nicht zuletzt diese Ehrungen bezeugen, ist Anneli Ute Gabanyi nicht nur dem Land Rumänien, sondern als Mitglied des Kronrats der rumänischen königlichen Familie auch dem rumänischen Königshaus in besonderer Weise verbunden und zugeneigt.
Im Laufe ihrer Tätigkeit hat Anneli Ute Gabanyi zahlreiche Vorträge an Universitäten und Instituten in Deutschland, in Rumänien, in den USA, Großbritannien, Frankreich, Norwegen, der Schweiz, der Tschechischen Republik, der Republik Moldau, Polen und der Türkei gehalten, zuletzt Anfang Oktober 2022 an der Rumänischen Akademie in Bukarest. Mit dem Regisseur Cristian Amza drehte sie für das rumänische Fernsehen eine Reihe von Filmen über die Deportation der Deutschen aus Rumänien. Insgesamt möchte ich sie als eine sehr verdienstvolle Wissenschaftlerin, als eine redliche und stets der Wahrheit verpflichtete Intellektuelle und schließlich als eine selbstbewusste und charmante Vertreterin jener Geistesaristokratie betrachten, die heute selbst unter den bekannteren Wissenschaftlern und Intellektuellen leider längst im Verschwinden begriffen erscheint.
Ihr Studium der Anglistik und Rumänistik an der Philologischen Fakultät der Babeș-Bolyai Universität Klausenburg, das sie 1960 aufnahm, wurde durch ihre Aussiedlung mit der Familie im März 1963 unterbrochen. Im Westen setze sie ihre sprach- und literaturwissenschaftlichen Studien zunächst an der Ludwig-Maximilians-Universität in München wie auch zeitweilig an der Universität in Clermont-Ferrand in Frankreich fort. Zudem erweiterten sich ihre wissenschaftlichen Interessengebiete allmählich immer weiter in Richtung Politikwissenschaft und Zeitgeschichte, wobei Rumänien und Osteuropa stets im Mittelpunkt ihrer Forschungs- und Erkenntnisinteressen blieben. Dies hing wohl auch mit ihrem beruflichen Werdegang zusammen, der sie zunächst in die Stelle einer Wissenschaftlichen Mitarbeiterin der rumänischen Abteilung am Forschungsinstitut von Radio Free Europe und sodann 1984 in die der Abteilungsleiterin dortselbst brachte. 1988 wechselte sie als Rumänienreferentin an das Münchner Südost-Institut. Als dieses Institut im Jahr 2001 aufgegliedert wurde, ging sie nach Berlin und wirkte bis zu ihrem Eintritt in den Ruhestand als Wissenschaftliche Referentin an dem Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit der Stiftung Wissenschaft und Politik, in der Forschungsgruppe EU-Außenbeziehungen.
Persönlich lernte ich Anneli Ute Gabanyi bei einer Arbeitstagung zur „Minderheitenproblematik in Südosteuropa“ des Südostdeutschen Kulturwerkes e.V. am 17./18. Oktober 1988 in München kennen. Dort überreichte sie mir in ihrer unverwechselbar freundlichen Art ihr 1975 im R. Oldenbourg Verlag München erschienenes Buch „Partei und Literatur in Rumänien seit 1945“, mit der Widmung „Für Anton Sterbling mit herzlichen Glückwünschen zu einem ausgezeichneten Vortrag …“. Natürlich freuten mich diese anerkennenden Worte einer so namhaften Rumänienkennerin. Dieser Band war und ist mir bis heute in meiner gelegentlichen Beschäftigung mit der Literatur in Rumänien und der rumäniendeutschen Literatur nicht nur stets eine nützliche Hilfe, sondern dessen Überreichung war auch der Anfang eines regelmäßigen Gedankenaustauschs wie auch einer häufigeren Zusammenarbeit und später auch einer dauerhaften Freundschaft. Erwähnen sei in diesem Zusammenhang nur die gemeinsam vorbereitete und geleitete Internationalen Tagung „Sozialstruktureller Wandel, soziale Probleme und soziale Sicherung in Südosteuropa“ der Südosteuropa-Gesellschaft in Kooperation mit der Sektion „Ost- und Ostmitteleuropa-Soziologie“ in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, an der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, vom 21. bis 23. März 2000, aus der sich zeitnah ein gemeinsam herausgegebener Tagungsband mit dem gleichen Titel in der Reihe Südosteuropa-Studien, Band 65, Verlag der Südosteuropa-Gesellschaft, München 2000, ergab. In den 1990er Jahren war unsere wissenschaftliche Zusammenarbeit nicht nur wechselseitig anregend, sondern von meiner Seite auch gelegentlich mit der Pflicht verbunden, sie an die Fertigstellung ihrer Dissertation zu erinnern, die sie sodann tatsächlich im Jahr 1996 an der Helmut Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg einreichte und mit der sie ihre Promotion auch im mündlichen Prüfungsteil sehr eindrucksvoll und erfolgreich abschloss. Diese Arbeit zum Thema „Systemwechsel in Rumänien. Von der Revolution zur Transformation“, die seinerzeit zu einem Standardwerk der Rumänienforschung wurde, bündelte das umfassende Sach- und Faktenwissen der Autorin über Rumänien und Osteuropa und insbesondere über die politischen Entwicklungen in diesem Land und in dieser europäischen Region in einer systematischen und kritisch reflektierten Weise, wobei bestimmte theoretische Wissensgrundlagen der Soziologie und anderer Sozialwissenschaften geschickt zusammengeführt und integriert wurden. Die Arbeit stützte sich vor allem auf Theorien des sozialen Wandels und insbesondere auf Revolutionstheorien, auf Elitetheorien wie auch auf Konzepte der Demokratie- und Parteienforschung. Ein weiteres Anliegen, das die Untersuchung eingehender verfolgte und vorzüglich einlösen konnte, bestand darin, die Geschehnisse in Rumänien in eine vergleichende Betrachtungsperspektive und zugleich in einen sachlichen Zusammenhang zu den politischen Umbrüchen und Transformationsprozessen in den anderen osteuropäischen Gesellschaften zu stellen, um bestimmte gemeinsame Faktoren des Wandels und ineinandergreifende Wirkungszusammenhänge, aber auch gesellschaftsspezifische Abweichungen und Besonderheiten der Entwicklungsverläufe deutlich zu machen. Dieser Arbeit, die später unter dem gleichen Titel als Band 35 der Schriftenreihe des Südost-Instituts, Oldenbourg Verlag, München 1998, erschienen ist, gelang es durchweg sehr überzeugend, theoretische Leitideen und Analysegesichtspunkte mit umfassendem und detailliertem empirischen Informations- und Faktenwissen zu verbinden. Sie gab damit der weiteren sozialwissenschaftlichen Rumänien- und Osteuropaforschung wichtige innovative und erkenntnisfördernde Impulse. Wie es bei der wissenschaftlichen Reputation Anneli Ute Gabanyis kaum anders zu erwarten war, zeichnete sich auch dieses Buch durch einen klaren, flüssigen und anschaulichen Schreibstil und eine vorzügliche Lesbarkeit aus.
Neben diesem Buch, das als Dissertation gewiss einen hervorragenden Stellenwert im eindrucksvollen Gesamtwerk der Autorin einnimmt, möchte ich zugleich die Bedeutung der vielen aktualitätsnahen und stets sehr gut recherchierten und informierten Artikel und Aufsätze, die seit den 1980er Jahren von Anneli Ute Gabanyi regelmäßig in Fachzeitschriften und Sammelbänden veröffentlicht wurden, keineswegs übergehen. So ist an ihre damals sehr wichtigen Aufsätze über „Die Deutschen in Rumänien“, in Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 50, Bonn 1988, oder über „Ceauşescus ,Systematisierung‘. Territorialplanung in Rumänien“, in Südosteuropa. Zeitschrift für Gegenwartsforschung, 38. Jg., München 1989, zu erinnern. Oder an ihre Beiträge „Das politische System Rumäniens“ in dem Standardwerk von Wolfgang Ismayr (Hrsg.): „Die politischen Systeme Osteuropas“, Leske + Budrich, Opladen 2002, „Die rumänischen Eliten in der Systemtransformation“, in Hans-Joachim Veen (Hrsg.): „Alte Eliten in jungen Demokratien?“, Böhlau Verlag, Köln-Weimar-Wien 2004, und „Staat und Zivilgesellschaft in Rumänien“ in Anton Sterbling (Hrsg.): Zivilgesellschaftliche Entwicklungen in Südosteuropa. Südosteuropa-Jahrbuch 26, Verlag Otto Sagner, München 2009.
Unter ihren Büchern möchte ich, sicherlich etwas willkürlich, nur einige wenige kurz ansprechen. Mit ihrem Band „Die unvollendete Revolution. Rumänien zwischen Diktatur und Demokratie“, München-Zürich 1990, legte Anneli Ute Gabanyi eine der ersten, analytisch sehr aufschlussreichen und entsprechend weit über die Wissenschaft hinaus beachteten Untersuchungen zu dem Niedergang des Ceaușescu-Regimes und den folgenden Systemveränderungen in Rumänien vor. Die Kennzeichnung als „unvollendete Revolution“ hat diese historischen Geschehnisse ebenso prägnant wie passend auf den Begriff gebracht und zugleich die kommenden Schwierigkeiten der Demokratisierung Rumäniens trefflich antizipiert. International weiträumig und mit großer Anerkennung rezipiert wurde ihr Band „The Ceaușescu Cult. Propaganda and Power Policy in Communist Romania“, Bucharest 2000, zu dem es unter dem Titel „Cultul lui Ceauşescu“, Polirom, Iaşi 2003, auch eine rumänische Fassung gibt. Der neuere, vielbeachtete Band: Anneli Ute Gabanyi, Alexandru Muraru, Andrei Muraru, Daniel Şandru (Hrsg.): „Revoluţia din 1989. Ȋnvinşi şi Ȋnvingători“ (Die Revolution von 1989. Besiegte und Sieger), Bukarest 2020, betrachtet und bilanziert aus einer zeitlichen Distanz von etwa dreißig Jahren nochmals eingehend und abwägend die Zeit der politischen Wende in Rumänien und Entwicklungen der Folgezeit. Schließlich sei der von Anneli Ute Gabanyi und Klaus Schroeder herausgegebene Band „Vom Baltikum zum Schwarzen Meer. Transformation im östlichen Europa“, Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 2002, erwähnt, in der einschlägige, von bekannten Autoren verfasste übergreifende Beiträge zur Geschichte, Geopolitik, kulturellen Identität und politischen Kultur und den Transformationsprozessen im östlichen Europa wie auch einzelne Länderanalysen zusammengeführt werden. Auch dieser Sammelband lässt deutlich erkennen, dass Gabanyi nicht nur als eine hervorragende Rumänienexpertin betrachtet werden kann, sondern dass ihre wissenschaftlichen Forschungs- und Erkenntnisinteressen zugleich darüber hinausgehend international komparativ angelegt und vielfach theoretisch interdisziplinär abgesichert sind.
Gabanyis Interessen waren und sind nicht nur sozialwissenschaftlicher Art, sondern schließen von Anfang an die Literatur, Kunst und andere Facetten der Kultur ebenso selbstverständlich mit ein. Schließlich sei auch nochmals auf ihre außerordentliche Sprachbegabung und Sprachgewandtheit aufmerksam gemacht, konnte ich, wie viele andere, doch immer wieder beeindruckt erleben, wie sie mühelos zwischen Deutsch, Rumänisch, Englisch und Französisch wechselte und bei Bedarf unverzüglich, bedeutungsgenau und treffsicher auch schwierigste Aussagen übersetzte. Was die deutsche und rumänische Kultur und Gesellschaft betrifft, so ist sie keineswegs nur als eine Übersetzerin und Vermittlerin oder Analytikerin und Interpretin zu betrachten, sondern auch als tatkräftige Initiatorin und „Konstrukteurin“ entsprechender interkultureller und institutioneller Beziehungen. In diesem Zusammenhang kann man ihre profunde Vertrautheit mit der rumänischen Kultur und Gesellschaft ebenso bewundern wie die Tatsache zur Kenntnis nehmen, dass ihre unaufdringliche und doch zugleich unübersehbare Sympathie dem rumänischen Kulturraum und den Menschen in Rumänien gilt; also dass sie diesem Land, ihrem Geburtsland und ihrer alten Heimat, stets aufmerksam aufgeschlossen und aufrichtig zugeneigt erscheint und dessen Bestes anstrebt.
Es dürfte nach dem hier lediglich punktuell und exemplarisch Erwähnten und in Erinnerung Gerufenen nur wenig erstaunen, dass die Politikwissenschaftlerin mit einer Reihe rumänischer Orden und Preise ausgezeichnet wurde, u.a. mit dem Orden „Pentru Merit“ („Verdienstorden““) im Grade eines Offiziers (2000), dem Orden „Serviciul Credincios“ („Glaubensdienst“) im Grade eines Offiziers (2004), dem Preis des Rumänischen Kulturinstituts (2004), dem Diplom „Meritul Academic“ („Akademischer Verdienst“) der Rumänischen Akademie (2008), dem Orden „Crucea Casei Regale a României“ („Kreuz des Königshauses Rumäniens“) (2011), dem Orden „Crucea României în grad de Comandor“ („Kreuz Rumäniens im Grad eines Kommandeurs“) (2016). Wie nicht zuletzt diese Ehrungen bezeugen, ist Anneli Ute Gabanyi nicht nur dem Land Rumänien, sondern als Mitglied des Kronrats der rumänischen königlichen Familie auch dem rumänischen Königshaus in besonderer Weise verbunden und zugeneigt.
Im Laufe ihrer Tätigkeit hat Anneli Ute Gabanyi zahlreiche Vorträge an Universitäten und Instituten in Deutschland, in Rumänien, in den USA, Großbritannien, Frankreich, Norwegen, der Schweiz, der Tschechischen Republik, der Republik Moldau, Polen und der Türkei gehalten, zuletzt Anfang Oktober 2022 an der Rumänischen Akademie in Bukarest. Mit dem Regisseur Cristian Amza drehte sie für das rumänische Fernsehen eine Reihe von Filmen über die Deportation der Deutschen aus Rumänien. Insgesamt möchte ich sie als eine sehr verdienstvolle Wissenschaftlerin, als eine redliche und stets der Wahrheit verpflichtete Intellektuelle und schließlich als eine selbstbewusste und charmante Vertreterin jener Geistesaristokratie betrachten, die heute selbst unter den bekannteren Wissenschaftlern und Intellektuellen leider längst im Verschwinden begriffen erscheint.
Anton Sterbling
Schlagwörter: Porträt, Geburtstag, Wissenschaftlerin, Politik, Geschichte, deutsch-rumänische Beziehungen
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- 16.11.2022, 14:10 Uhr von HELLMUT SEILER: Eine ausgewogene, dabei auch wertende Würdigung eines außergewöhnlichen Lebenswerks. [weiter]
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