28. Oktober 2025

Heimatgestalterin ohne Halbherzigkeiten: Interview mit Ortrun Rhein

Ortrun Rhein, langjährige Leiterin des Alten- und Pflegeheims „Dr. Carl Wolff“ sowie des Erwachsenen- und Kinderhospizes in Hermannstadt, wurde beim diesjährigen Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl für ihr humanitäres Engagement und die beispielhafte Bewältigung ihrer herausfordernden Lebensaufgabe mit der Carl-Wolff-Medaille geehrt. 1967 in Rosenau geboren, folgte sie von Anfang an ihrer Berufung und absolvierte das Pädagogische Lyzeum und Theologiestudium in Hermannstadt. Sie baute das SOS-Kinderdorf in Heltau mit auf und ist seit 1999 Leiterin der größten diakonischen Einrichtung der evangelischen Landeskirche, eine Heimatgeberin für Menschen in der schwersten Zeit ihres Lebens. Durch ihren Werdegang und unermüdlichen Einsatz im Dienst der menschlichen Hilfsbedürftigkeit jeden Alters hat sie dem Begriff Heimat eine ganz neue Wertung geschenkt. Astrid Fodor, die Bürgermeisterin von Hermannstadt, sagte bei der Ernennung Ortrun Rheins zur „Hermannstädter Botschafterin“, sie sei die „richtige Person am richtigen Ort“. Diese Einschätzung teilt auch Brigitte Kräch, die das folgende Interview mit Ortrun Rhein für den Hermannstädter Heimat-Boten führte.
Ortrun Rhein, Leiterin des Alten- und Pflegeheims ...
Ortrun Rhein, Leiterin des Alten- und Pflegeheims „Dr. Carl Wolff“, im Park des Heims. Foto: privat
Welche Verbindung besteht für Sie zwischen dem Begriff Heimat und Ihrer Berufstätigkeit?
Für mich heißt Heimat der Ort, wo man sich zu Hause fühlt. Ich fühle mich in Hermannstadt zu Hause, besonders an dem Ort, wo ich seit vielen Jahren meinen Beruf ausübe, wo ich bestrebt bin, den mir anvertrauten Menschen auch einen Ort zu schaffen, der ihnen für die Zeit ihres Aufenthalts, die nicht in unserer Hand liegt, Geborgenheit schenkt und Heimat bedeutet.

Seit 1993 bietet das SOS-Kinderdorf in Heltau hilfsbedürftigen Kindern Schutz und ein Zuhause. Was hat Sie dazu bewegt, diesen Ort mitzugestalten? Gab es dafür ein besonderes persönliches Erlebnis, Ihre eigene Kindheit, die Sie dazu motiviert hat?
Nein, es gab dafür keine besondere selbst erlebte Motivation. Ich habe die Kinderdörfer schon immer, seitdem ich von ihrer Existenz erfahren habe, als fortschrittliche Alternative zu den herkömmlichen Pflegemodellen für verwaiste und verwahrloste Kinder betrachtet und wollte mich am Aufbau des Kinderdorfs in Heltau unbedingt beteiligen und mich bei seiner Mitgestaltung einbringen.

Woraus entsprang Ihre Entscheidung, nach Abschluss der Erzieherinnen-Ausbildung Theologie zu studieren? Hatten Sie am Anfang den damit verbundenen Wunsch, nach dem Studium als Pfarrerin tätig zu sein?
Die Einbindung der sozial Schwachen, jener am Rande der Gesellschaft, in die Gemeinschaft der Menschen hat mir immer sehr viel bedeutet. Das ist mit eine der Aufgaben der Kirche, und über diesen Weg wollte ich auch dazu beitragen. Deswegen das Theologiestudium. Dass es zu jener Zeit bis 1989 für Frauen nicht möglich war, Theologie zu studieren, war zwar eine Hürde, aber eben überwindbar.

Dank Ihres Organisationstalents und Ihrer sozialen Kompetenz wurde Ihnen die Leitung des Carl-Wolff-Alten- und Pflegeheims, dem 2006 ein Hospiz angeschlossen wurde, anvertraut, ein in Komplexität und Verantwortung ständig wachsendes Wirkungsfeld. Professionalität in Entscheidungen und die unvermeidliche Emotionalität durch Konfrontation mit ergreifenden Menschenschicksalen müssen in Balance bleiben, um der eigenen Seele nicht zu schaden und den anvertrauten Menschen bis zuletzt lebensbejahenden Optimismus zu vermitteln. Wie schaffen Sie es, diese Balance für sich selbst zu halten und Ihrem Team von Mitarbeitern dafür genügend Zuversicht zu vermitteln?
Es ist ein ständiges Geben und Nehmen, das die Balance hält, eine ständig bereichernde Lebenserfahrung, die dich die Richtung finden lässt und immer einen Schritt weiter bringt. Und dies gilt für unser ganzes Team, für jede und jeden Einzelnen davon. Ich schätze unsere Mitarbeiter sehr, sie sind unverzichtbar und ich bin sehr dankbar sie zu haben.

Kinder und Erwachsene finden Aufnahme im Hospiz. Sie, Frau Rhein, „Schutzengel für drei Generationen“ genannt, machen diese Menschen im Rahmen Ihres humanitären Einsatzes sichtbar. Sind Sie irgendwann an die Grenze Ihrer psychischen Belastbarkeit gestoßen?
Diese Situationen, die Menschen an persönliche psychische Grenzen bringen, gibt es hier immer wieder, doch sie beinhalten gleichzeitig auch neue Herausforderungen und geben Impulse zu ihrer notwendigen Bewältigung, neuen Lösungsfindungen entgegen. Dadurch bleibt wenig Raum für hilflose Resignation.

Erfolg und Gelingen aller Leistungen in Heim und Hospiz hängen von einer gesicherten Finanzierung ab. Nun befindet sich Rumänien auf dem Weg der zunehmenden wirtschaftlichen Entwicklung, jedoch hinkt das Sozial- und Gesundheitswesen nach. Hat sich die Beteiligung der Landesregierung an dieser Finanzierung seit der Öffnung des Hauses für alle Konfessionen und der Eröffnung der Hospize verbessert?
Bei der Beteiligung der Landesregierung an den Kosten des Heims und Hospizes hat deren Öffnung für alle Konfessionen keine Rolle gespielt. Sie folgt den staatlichen und per Gesetz vorgegebenen Regeln, die den Beitragssatz dieser finanziellen Unterstützung bestimmen. Im Grunde ist diese staatliche Beteiligung sehr gering, deckt z.Z. in etwa 10% der Kosten für das Altenheim und 30% der Hospizkosten, so dass wir uns dankenswerterweise durch Spenden und Sponsoren aus In- und Ausland sowie die Eigenbeteiligung der Heimbewohner finanzieren müssen. Wir sind für jede kleinste Spende sehr dankbar.

Vor einigen Jahren ist mir beim Besuch einer Verwandten im Carl-Wolff-Pflegeheim der einladende Eindruck eines sehr gepflegten und umhegten Ortes, einer Insel der Geborgenheit, in Erinnerung geblieben. Sowohl in den Räumen als auch in dem blühenden Park war ein kommunikatives, freundliches Umfeld. Inwieweit binden Sie Bewohner und ihre Angehörigen in das Heimleben ein?
Wir sind grundsätzlich bemüht, bei unseren Heimbewohnern das aktive Leben so lange wie möglich zu erhalten und zu unterstützen, durch ihnen angebotene Möglichkeiten sich selbst durch kleine Hilfeleistung (z. B. Gartenarbeit, Handarbeitstätigkeit) nützlich zu machen. Die Angehörigen sind uns auch jederzeit willkommen, ihre regelmäßige und empathische Präsenz ist sehr wichtig für die uns anvertrauten Kinder und Erwachsenen. Wir haben einen hauseigenen Chor, ein Krippenspiel zu Weihnachten, ein Osterspiel, und es besteht Interesse für unsere Institution und unsere Aktivitäten seitens des Hermannstädter Forums. Wir empfangen Besuche von Kirchenchören und öffnen gerne unsere Tore auf interessierte Anfragen an unsere Einrichtung, um unser Heim- und Hospizmodell landesweit besser bekannt zu machen. Für mich gilt der Grundsatz: Der Alltag muss bunt sein und an das anbinden, was unsere Bewohner von früher her kannten und somit sich heimisch zu fühlen.

Gibt es bei Ihnen angekündigte und organisierte Führungen zur Popularisierung des Heimkonzepts? Legen Sie, in Anknüpfung an Ihre pädagogische Vergangenheit, besonderen Wert auf Information von Schülern und Jugendlichen im Sinne einer wachsenden altersfreien Wertschätzung des Lebens?
Wie gesagt, wir bieten bei Interesse und Anfrage gern Führungen an, geben Jugendlichen aus In- und Ausland die Möglichkeit, bei uns durch Mitarbeit im Pflege-Team ihr freiwilliges soziales Jahr abzuarbeiten. Leider besteht für unser Heim wenig Interesse seitens der anderen Heime des Landes und ihrer Heimleiter. Dem Land fehlt bislang eine konkrete Vision zur Gestaltung und Führung von Alten- und Pflegeheimen, und für die Zukunft ist leider auch aufgrund der finanziellen Einschränkungen keine baldige Änderung absehbar.

In der Filmdokumentation „Frauenpower“ hat Christel Ungar-Ţopescu Sie als eine von drei bewundernswert engagierten Frauen aus Siebenbürgen vorgestellt. Die Landespresse hat wiederholt Ihren Einsatz für die Bewusstmachung der verbesserten landesweiten Krebshilfe gewürdigt. Wird dieser Krankheit, beginnend mit Vorsorge bis Therapie, Ihres Erachtens gegenwärtig mehr Bedeutung geschenkt?
Die Wahrnehmung der Krebs-Krankheit hat sich im Bewusstsein der Landesmedizin patientennah verbessert; Verbreitung der medizinischen Untersuchungen, Erweiterung der Therapieangebote eröffnen bedeutend mehr Möglichkeiten im Interesse der Patienten. Diesbezüglich konnten auch die Hospize, vor allem unser Kinderhospiz, das landesweit das erste ist, durch ihre Verbindung mit den Krankenhäusern einen wichtigen Beitrag leisten. Jedoch besteht auf dem Gebiet der Krebsvorsorge noch immer ein sehr großer Bedarf für das Bewusstmachen ihrer Notwendigkeit und Institutionalisierung.

Mitgefühl und Schmerz sind stärker, wenn das Leid Kinder betrifft oder sogar ihr Leben in absehbarer Zeit zu Ende geht. Man ist sich dessen bewusst und will ihnen so viel Gutes wie möglich tun, ihnen so viel Freude wie möglich schenken. Diese Kraft aufzubringen ist für die betroffenen Eltern besonders schwer, und gewiss sind Sie und Ihr Team in solchen Situationen seelisch und seelsorgerisch am meisten gefordert. Haben Sie einen bestimmten theologischen oder philosophischen Glaubenssatz, der Sie diese Kraft finden lässt?
Mein Glaube bindet sich an keinen besonderen Satz, er ist in dem Alltag verwurzelt, aus dem ich meine Kraft schöpfe. Der Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel sagte: „Wenn ein Kind stirbt, wird es zum Mittelpunkt der Welt.“ Diese Aussage hat mich sehr bewegt und findet meine Zustimmung. Ich denke, für jene, denen die Welt still steht, können wir Wegbegleiter werden.

Man sagt immer, man sollte Berufliches und Privates trennen, um ein ausgeglichenes Leben führen zu können. Gibt es für Sie Freizeit, wohl­tuende Entspannung, eine geliebte, nur für Ihr eigenes Wohlbefinden gedachte Beschäftigung?
In der jetzigen Konstellation ist für mich Berufliches und Privates untrennbar miteinander verbunden. Für mich ist das ein gutes Lebensmodell, das mir Zufriedenheit schenkt.

Ich danke Ihnen herzlich für diesen tiefen Einblick in Ihre Heim(at)gedanken und ziehe daraus die von Pearl S. Buck formulierte Schlussfolgerung: „Die wahre Lebensweisheit besteht darin, im Alltäglichen das Wunderbare zu sehen.“

Schlagwörter: Interview, Ortrun Rhein, Soziales

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