15. September 2003

Dr. Georg Gerster

Seine Flugbilder auf Plakaten und Wandkalendern der SWISSAIR prägten über zwei Jahrzehnte den optischen Auftritt der Fluggesellschaft. Er ist regelmäßiger Mitarbeiter von international renommierten Zeitungen und Fachzeitschriften. Größere Bildessays findet man in allen bekannten Magazinen dieser Welt. Der freie Publizist und Flugfotograf Dr. Georg Gerster (75), aus Winterthur (Schweiz) gebürtig und in Zumikon/Zürich wohnhaft, lieferte auch faszinierende Luftbildaufnahmen für den Band "Siebenbürgen im Flug", erschienen in der Edition Wort und Welt, München (1997). Mit dem prominenten Flugfotografen sprach Robert Sonnleitner.

Herr Gerster, Sie gelten als einer der weltweit führenden Spezialisten auf dem Gebiet der Luftbildfotografie. Wie kamen Sie zu diesem Traumjob?

Erstens weiß ich nicht, ob das ein Traumjob ist - wenn ich an die Warterei auf kleinen Flugplätzen denke, an die unsäglich frühen Tagwachen und die tausend Enttäuschungen, wenn der geplante Frühflug dann doch ins Wasser fällt, weil der Pilot sich nicht einfindet, der Schlüssel zum Hangar fehlt oder das Wetter am Einsatzort nicht mitspielt. Und zweitens bin ich nicht zu dem Job gekommen - der Job kam zu mir.

Ihre Ausstellungen kann man in Europa, USA und Japan besuchen. Sie haben an zahllosen Büchern illustrierend mitgewirkt. Auf welches Ihrer Projekte sind Sie am meisten stolz?

Es wird Sie nicht überraschen, dass mir immer das Projekt am nächsten ist, das ich gerade abgeschlossen habe: eine Ausstellung meiner archäologischen Flugbilder aus vierzig Jahren, die ab 26. September in Essen im Ruhrlandmuseum als "Flug in die Vergangenheit" gezeigt wird - mit einem monumentalen Begleitbuch, das der Schirmer Mosel Verlag in München mit dem gleichen Titel herausbringt.

Es heißt, Sie hätten die Luftaufnahme zum Flugbild entwickelt. Von wem haben Sie dieses "Handwerk" erlernt?

Das Wort Luftaufnahme war mir stets ein Gräuel. Wer nimmt denn da Luft auf? Flugaufnahme war mir immer lieber. Aber wenn man diese perfektioniert, auch ästhetisch, verdient sie eben die Auszeichnung, Flugbild genannt zu werden. Handwerk? Fliegen ist eine Schule des Sehens. Und man lernt darin nie aus.

Für Ihre Wissenschaftsreportagen und Flugfotografien machten Sie ausgedehnte Reisen auf allen Erdteilen, Antarktis inbegriffen. Handelte es sich dabei um bezahlte Aufträge oder waren es auch selbstfinanzierte Eigeninitiativen?

Sowohl als auch. Ich habe vor allem nach dem "Prinzip Huckepack" gearbeitet. Ich musste für einen Auftraggeber irgendwo hin und habe dann die Auftragsreise auf eigene Kosten erweitert.

Gibt es noch einen Ort auf dieser Welt, den Sie noch nicht "luftbildfotografisch" erfasst haben?

Der weißen Flecken sind noch viele, dem Himmel sei Dank. Wie viele ich davon noch "schwarz" machen, ausfüllen kann, entscheidet allein die Politik - und der liebe Gott.

Bevorzugen Sie eine bestimmte Art von Flugbildern?

Halbwegs Senkrechtaufnahmen. Nur sie entschlüsseln den optischen Code der Flugbildfotografie. Wenn Sie von thematischen Vorlieben reden: Landwirtschaft, alles was mit der Feldarbeit des Bauern zu tun hat. An den Strukturen und "Malereien", die dabei entstehen (ohne dass der Bauer mehr will, als möglichst nachhaltig einen guten Ernteertrag zu erwirtschaften).

Sie haben einmal geschrieben: "Höhe verschafft Übersicht, und Übersicht erleichtert Einsicht, und Einsicht erzeugt - vielleicht - Rücksicht." Was wollen Sie mit Ihren Flugbildern beim Betrachter bewirken?

Als man den amerikanischen Filmregisseur Cecil B. De Mille einmal nach der Botschaft seiner Filme fragte, antwortete er trocken: "Wenn Sie eine Botschaft haben, senden Sie ein Telegramm." - Also auf eine Botschaft erhebe ich keinen Anspruch. Aber ich möchte sensibilisieren. Schon das Aufzeigen von Schönheit kann Wirkung haben. Eines meiner Flugbilder rettete ein afrikanisches Dorf. Und rettete eine US-amerikanische Farm vor dem Untergang durch Erosion des Oberbodens. Und aus einem Universitätsspital, das eine Serie großformatiger Gerster-Flugbilder zeigt, rief mich einmal ein Patient nach einer Amputation an: Er habe im Rollstuhl stundenlang vor diesen Bildern meditiert und dabei seinen Lebensmut und Lebenswillen zurückbekommen. Was kann sich ein unverbesserlicher Luftikus Schöneres wünschen?

Mit Ihrer "Sehweise" haben Sie Schule gemacht und auch viele Nachahmer auf den Plan gerufen. Ärgert Sie das?

Plumpe Plagiate - ja. Aber machen kann man da nichts. Ich tröste mich jeweils bei dem Gedanken, dass Plagiate die ehrlichste Form der Schmeichelei sind.

Die vertraute Umgebung fotografisch zu sehen, ist besonders schwierig. Dazu schrieben Sie: "Gewöhnung klebt wie ein Firnis an der Welt um uns, nichts ist so unsichtbar wie das Denkmal auf einem öffentlichen Platz."

Da hilft eben die Flugfotografie. Die veränderte Perspektive durch die Überhöhung ist eine kaum zu überschätzende Vorleistung, die an diesem Firnis der Gewöhnung kratzt.

Wo entstehen die Ideen für Ihre Flugbildfotografien?

Man bringt ein Thema mit, wenn man das Flugzeug besteigt. Aber die Bilder ergeben sich beim Fliegen - manchmal auch nicht.

Worauf kommt es bei einem Flugbild an? Auf den künstlerischen Blick des Fotografen oder vielmehr seine Erfahrung?

Der Blick allein ist wichtig. Erfahrung braucht es eigentlich keine. Seine Fotokamera allerdings muss man kennen und bedienen können.

In Ihrem Vorwort zum Bildband "Siebenbürgen im Flug" schrieben Sie: "Diese von der Bundesrepublik geförderte Inventur einer ganzen Region ist eine Pioniertat; für eine so ehrgeizige Bestandsaufnahme gibt es europaweit kein zweites Beispiel." Was war für Sie das Besondere an diesem Projekt?

Es ist immer verlockend, an einem Vorhaben beteiligt zu sein, das keine Eintagsfliege ist, sondern auf Dauer angelegt ist. Und das war hier der Fall. Den letzten Band dieser monumentalen Bestandsaufnahme werde ich sicher nicht mehr erleben. Andererseits haben Martin Rill und ich von vornherein einen "Klavierauszug" geplant, der die Siebenbürger mit ihrem Siedlungserbe konfrontieren würde. Meine Begeisterung für die Arbeit wurde noch durch viele Begegnungen mit sympathischen und besonderen Menschen am Boden angefacht.

Dieser Bildband fasziniert inzwischen zahlreiche Menschen. Diese umfassende Darstellung sämtlicher Wehrkirchen und Kirchenburgen ist eines der wertvollsten Bücher der letzten Jahre geworden. Haben Sie mit diesem Erfolg gerechnet?

Unverschämterweise ja.

Solch ein fantastisches Werk schafft nur ein eingearbeitetes Team zwischen Pilot und Fotograf. Hatten Sie einen erfahrenen Hubschrauberpiloten?

In der Tat. Für das Gelingen waren aber der Einsatz, die Geländekenntnis und das allgemeine Wissen Martin Rills entscheidend.

Welche Fotoapparate haben Sie für die Luftaufnahmen der siebenbürgischen Kirchenburgen benutzt? Auch eine Digitalkamera?

Ich habe ausschließlich Nikon-Kleinbildkameras benützt. Digitalkameras gab es damals noch nicht.

Im September 1994 und im März 1995 erflogen Sie 241 Ortschaften der Siebenbürger Sachsen. Wie viele Flugstunden waren dafür nötig?

Das müssen Sie Martin Rill fragen. Er hat über das Budget gewacht.

Mit welchen Problemen waren Sie in der Hauptsache konfrontiert?

Wir hatten gelegentlich Wetterschwierigkeiten und mussten warten.

Gab es Schwierigkeiten, die Genehmigung für dieses Projekt von der rumänischen Regierung zu erhalten? Hatten Sie einen Aufpasser?

Martin Rill hat alle Bewilligungen eingeholt. Einen Aufpasser hatten wir lediglich auf einem Flug. Er hat uns aber in keiner Weise an der Arbeit gehindert.

Inzwischen wurden einige siebenbürgische Ortschaften mit ihren Kirchenburgen in die Unesco-Weltkulturerbeliste aufgenommen. Auch Ihr persönlicher Erfolg?

Sicher wird der Bildband viele Menschen für dieses einzigartige Kulturerbe und die Notwendigkeit seiner Erhaltung sensibilisieren. Zu der Auszeichnung einiger Kirchenburgen durch die Unesco hat er vermutlich direkt nichts beigetragen. Aber zweifellos belegt er die Richtigkeit dieser Auszeichnung.

Sie haben schon viele Länder und Kontinente aus der Luft fotografiert. Welchen Stellenwert haben die Bilder aus Siebenbürgen?

Sie gehören zu einem Lebensabschnitt, den ich nicht missen möchte. Ich war ja eine Weile der "Nubien-Gerster", im Zusammenhang mit der durch den Bau des Hochdamms von Assuan entstandenen Notsituation, später aufgrund meiner Beschäftigung mit den Felskirchen im amharischen Hochland der "Äthiopien-Gerster". Ich habe nichts dagegen, für eine Weile der "Siebenbürgen-Gerster" zu sein.

Worin besteht nach Ihrer Ansicht die Einzigartigkeit der siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen?

Es ist ein bemerkenswert dichtes Ensemble von stolzer Wehrarchitektur, eingebettet in Dorfgemeinschaften von hohem Rang, eine einzigartige europäische Landschaft.

Was wünschen Sie sich für die Denkmallandschaft Siebenbürgens?

Es wird einer gewaltigen Anstrengung bedürfen, sie zu sichern.

Sie sind jetzt 75, haben alles erreicht, sind berühmt, reich, leben wunderbar. Warum in Gottes Namen müssen Sie immer weiter arbeiten?

Berühmt, na ja. Manche würden sagen, berüchtigt. Ich habe mich in viele Dinge eingemischt, die mich nichts angingen. Reich? Gerade so, dass ich auch ein Projekt finanzieren kann, für das sich im Augenblick kein Sponsor oder Auftraggeber findet. Ja, ich lebe wunderbar, weil ich noch arbeiten kann. Und ich werde es weiterhin tun, solange es Spaß macht.

Vielen Dank für das anregende Gespräch.

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Schlagwörter: Interview, Medien

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