4. August 2007

Rumänien nach dem EU-Beitritt: Interview mit Dr. Anneli Ute Gabanyi

Die bekannte Rumänienexpertin Dr. Anneli Ute Gabanyi arbeitet seit Anfang 2001 als wissenschaftliche Referentin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Die SWP – Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit berät anhand eigener Forschung und Expertise Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Die promovierte Politologin Gabanyi wurde 1942 in Bukarest geboren und war von 1988 bis 2000 als Rumänien-Referentin am Südost-Institut in München tätig. Das Gespräch führte Sorana Scholtes.
Ende Juni ist die deutsche EU-Präsidentschaft abgelaufen. Wie beurteilen Sie das halbe Jahr deutscher Bemühungen um die EU?

Die Bilanz der EU-Präsidentschaft Deutschlands ist meines Erachtens positiv, eine Einschätzung, die sich auch in der Mehrzahl der in- und ausländischen Medien wieder findet. Meine Anerkennung gilt besonders dem politischen Geschick, mit dem sich die deutsche Diplomatie und insbesondere Bundeskanzlerin Angela Merkel darum bemüht haben, den Zielen der deutschen Präsidentschaft in Verhandlungen zum Durchbruch zu verhelfen.

Die Rumänienexpertin Dr. Anneli Ute Gabanyi. ...
Die Rumänienexpertin Dr. Anneli Ute Gabanyi.
Wie hat sich die deutsche Regierung auf die EU-Präsidentschaft vorbereitet?

Neben der Politik waren auch Institutionen aus Forschung und Beratung aufgerufen, sich an der Formulierung des Themenkatalogs zu beteiligen. Auch mein Institut hat diese Möglichkeit wahrgenommen und entsprechende Analysen im Herbst 2006 veröffentlicht. Ich selbst habe in einem Beitrag die Bedeutung der EU-Nachbarschaftspolitik hervorgehoben.

In welchen Bereichen der EU-Politik sind konkrete Erfolge verbucht worden?

Durchbrüche gelangen auf dem Gebiet der Klima- und Energiepolitik, beim grenzüberschreitenden Telefonieren mit Mobiltelefonen sowie der Vereinfachung des grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs in der EU. Der erweiterte Verbraucherschutz für Kreditnehmer oder das Luftfahrtabkommen mit den USA können ebenfalls als Fortschritt betrachtet werden. Einen Kompromiss erzielte die Bundesregierung in ihren Bemühungen um eine Aufwertung der östlichen Dimension der Nachbarschaftspolitik zwischen den Schwarzmeerstaaten. Persönlich hätte ich mir aber eine größere Bereitschaft der Mitgliedstaaten zur Formulierung gemeinsamer außenpolitischer Positionen gewünscht.

Wie hat sich EU-Neuling Rumänien während den Verhandlungen verhalten?

Rumänische Vertreter unterstützten ausdrücklich die Politik der Bundesregierung zur Wiederbelebung des Verfassungsprozesses. Die rumänische Regierung hat zudem ihr Interesse an einer Beschleunigung der Entscheidungsprozesse in der EU geäußert. Die Schwerpunkte des neuen EU-Mitglieds Rumänien heißen Energie, Forschung und Fragen der Migration. Bukarest setzt auf die Vertiefung der Union, unterstützt aber die bereits beschlossene Erweiterung um die Türkei und die Staaten des so genannten Westbalkans, deren Status man auch auf die benachbarte Republik Moldau übertragen sehen möchte.

Am 26. Juni hat die Europäische Kommission ihren ersten Bericht über die neuen EU Mitgliedsländer Bulgarien und Rumänien herausgegeben. Die Ergebnisse sind nicht positiv. Rumänien wird immer noch Korruption und Kriminalität, besonders in hohen Kreisen, vorgeworfen. Der Staat und die Justiz seien damit überfordert. Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Lage in Rumänien?

Im Gegensatz zu Bulgarien, wo Verfassungsänderungen notwendig sind und neue Gesetze erlassen werden müssen, um überhaupt die Voraussetzungen für ein unabhängiges Justizwesen zu schaffen, stehen in Rumänien die Kontrolle der neuen Justizgesetze sowie die Verbesserung der Funktionsweise des Obersten Rates der Magistratur an. In beiden Ländern wird auch weiterhin der Kampf gegen die Korruption angemahnt, wobei es im Falle Rumäniens vor allem darum geht, dass hochrangige Politiker zwar angeklagt wurden, ihre Verfahren aber entweder ausgesetzt oder nur zu niedrigen Strafen geführt haben. Tatsächlich sind in Rumänien im Bereich des Justizwesens sowie der Korruptionsbekämpfung Defizite zu verzeichnen und diese werden wohl auch nicht so schnell und vollständig ausgeräumt werden können.

Was sind die Gründe dafür, dass der Prozess der Korruptionsbekämpfung so langsam vorangeht?

Zunächst einmal müssen technische Schwierigkeiten sowie politische Probleme und Verwaltungsdefizite überwunden werden. Da wäre zum einen die ungeheure Anpassungsleistung der gesamten Gesetzgebung Rumäniens an das inzwischen über 90 000 Seiten umfassende Kompendium aller in den EU-Staaten geltenden Gesetze. Schwerer wiegen allerdings die politischen Probleme, die sich in Rumänien aus der Tatsache ergeben, dass unterschiedliche politische Akteure die Justiz in ihrem Sinne zu beeinflussen suchen.

Welche positiven Veränderungen sind in Rumänien seit dem EU-Beitritt eingetreten?

Nicht erst der Anfang 2007 erfolgte EU-Beitritt Rumäniens, sondern bereits der Beginn der Verhandlungen und die Fixierung eines konkreten Beitrittsdatums haben eine anhaltende positive Wirtschaftsentwicklung ausgelöst. Seit dem Jahr 2000 wächst die rumänische Wirtschaft um durchschnittlich fünf Prozent jährlich, mit Spitzenwerten von über acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zu den Wachstumsfaktoren gehören in erster Linie die hohen externen Kapitalzuflüsse, der hohe interne Konsum und die Lohnerhöhungen von rund zwölf Prozent allein im vergangenen Jahr.

Wie hat sich die Anfang des Jahres auf die Spitze getriebene politische Krise in Rumänien auf das Land ausgewirkt?

Durch diese Krise hat die rumänische Regierung seit Januar 2007 versäumt, ihren neuen Status als EU-Mitgliedsstaat zu definieren und entsprechende Entwicklungsstrategien zu formulieren. Als ernsthafte Hindernisse für eine erfolgreiche Regierungsarbeit erwiesen sich vor allem die sich verschärfenden Differenzen zwischen dem liberalen Premierminister Călin Popescu-Tăriceanu und Staatspräsident Traian Băsescu. Noch sind die Auswirkungen der politischen Dauerkrise nicht an einem Rückgang der wirtschaftlichen Zahlen abzulesen. Allerdings ist auch schwer vorstellbar, dass Rumänien die Anforderungen, die sich in dieser Phase der tatsächlichen EU-Integration stellen, bewältigen kann, wenn die politischen Differenzen in dieser Intensität weitergehen.

Ist denn ein baldiges Ende dieser politischen Krise abzusehen?

Nein, das nicht, wenn man bedenkt dass bis zum Jahresende – der Termin steht noch nicht fest – laut Beitrittsvertrag die Europawahlen stattfinden müssen, und dass 2008 Parlamentswahlen sowie 2009 die allgemeinen Europawahlen und die Präsidentschaftswahlen anstehen. Zudem werden zurzeit Fragen der Ausarbeitung einer neuen Verfassung sowie einer geänderten Wahlgesetzgebung diskutiert, was zu einer zusätzlichen Polarisierung der Gesellschaft beiträgt.

Eine Umfrage der europäischen Kommission unter jungen Europäern zwischen 15 und 30 Jahren hat herausgefunden, dass die jungen Rumänen in Europa am wenigsten politisch interessiert sind. Wie erklären Sie sich dieses Desinteresse, gerade zu einem Zeitpunkt, wo im Land so viel passiert?

Die Politikverdrossenheit der rumänischen Jugendlichen dürfte auf zwei wichtige Gründe zurückzuführen sein. Ein erster liegt zweifellos in der anhaltenden politischen Krise des Landes, die vom Staatspräsidenten, aber auch von anderen politischen Akteuren wie dem Vorsitzenden der Partei Neue Generation, Gigi Becali, in einem populistisch-vulgären Stil geführt und zusätzlich von der Presse angeheizt wird. Landesweite Umfragen zeigen auch, dass die Rumänen das Vertrauen in die politischen Parteien, die sie kaum mehr unterscheiden können, sowie ins Parlament verloren haben und von diesen Institutionen keine positiven Veränderungen erwarten. Ein zweiter Grund könnte in der zunehmenden Konsumorientierung der Gesellschaft liegen, an der angesichts der leichten Verfügbarkeit von Bankkrediten auch die junge Generation problemlos partizipieren kann. Aus diesem Gemisch dürfte die eher temporäre Politikverdrossenheit resultieren.

Wie könnte diese temporäre Politikverdrossenheit am schnellsten überwunden werden?

In Rumänien fehlt meines Erachtens eine Institution, die den Bürgern und vor allem jungen Bürgern demokratische Wertvorstellungen und politische sowie zeitgeschichtliche Informationen vermitteln kann. Ich plädiere seit Jahren für die Einrichtung einer Institution vergleichbar der in Deutschland so erfolgreichen Bundeszentrale für politische Bildung. Ebenfalls hilfreich wären Anstöße zur Förderung zivilgesellschaftlicher Organisationen und Initiativen, die den gesellschaftlichen Zusammenhang auch und gerade auf der Mikroebene stärkten. Gelingt es nicht, demokratische Werte zu vermitteln und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, besteht die Gefahr, dass Populisten und radikale Rattenfänger noch mehr Anhänger unter den jüngeren, wenig gebildeten Rumänen gewinnen.

Glauben Sie, dass Auswanderer, die Rumänien verlassen haben, sich jetzt wieder zurückorientieren könnten?

Bereits jetzt ist parallel zu einer wahrscheinlichen Arbeitsmigration von bestimmten, in den „alten“ EU-Ländern fehlenden Spezialisten aus Rumänien auch der gegenläufige Prozess zu beobachten. Viele der rund 2 Millionen seit 2002 im Ausland tätigen Arbeitsmigranten sind 2007 zuhause geblieben oder werden in den kommenden Jahren zurückkehren und ihre im Ausland erworbene Kompetenz im eigenen Land einsetzen. Denn auch innerhalb des Landes werden für Spezialisten zunehmend höhere Löhne, nicht zuletzt im IT- Bereich, gezahlt. Eine interessante Frage, der auch die Siebenbürgische Zeitung nachgehen könnte, wäre die nach der eventuellen Absicht aus Rumänien stammender Siebenbürger Sachsen, Banater und Sathmarer Schwaben, unter gewissen Bedingungen, zeitweise oder vielleicht für immer nach Rumänien zurückzukehren. Aus einer solchen Umfrage könnten sicher interessante und nützliche Rückschlüsse gewonnen werden.

Vielen Dank für das Gespräch.

Schlagwörter: Politik, EU-Beitritt, Rumänien und Siebenbürgen

Bewerten:

26 Bewertungen: +

Neueste Kommentare

  • 06.08.2011, 08:24 Uhr von Karel Will: Wer drückt sich, im Leben, nicht vor PFLICHTEN – Verantwortung und Pflichtbewusstsein lässt in so ... [weiter]
  • 29.08.2007, 12:46 Uhr von lori: Hallo Allerseits, Das ganze Interwiew ist hochbezahlter wissenschaftlicher Unsinn! Bsp: Gründe ... [weiter]
  • 27.08.2007, 14:36 Uhr von schully: ich weiß nicht, woher frau Gabanyi ihre info, viele der über 2 millionen auswanderer würden ... [weiter]

Artikel wurde 5 mal kommentiert.

Alle Kommentare anzeigen.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.