10. März 2017

Urzelnzunft Sachsenheim: Zu Besuch bei der „Breasla Lolelor“ in Agnetheln

Es sollte ein unvergessliches Erlebnis werden: Bei schönstem Sonnenschein flogen am 27. Januar mehr als 40 Urzeln der Urzelnzunft Sachsenheim nach Hermannstadt. Wir folgten der Einladung unserer Agnethler Urzelnfreunde zu ihrem zehnjährigen Gründungsjubiläum (siehe Urzelnlauf in Agnetheln)
Bereits 2007 waren wir dabei, als sich die Agnethler rumänischen Urzeln erstmals ­öffentlich in größerer Zahl präsentierten. Wir traten im Rahmen der Feierlichkeiten zur Europäischen Kulturhauptstadt Hermannstadt gemeinsam in Hermannstadt und Agnetheln auf.

Am Flughafen wurden wir erwartet und zum Empfang ins Agnethler Rathaus gebracht. Der Zunftmeister der „Breasla Lolelor“, Radu Curcean, und Ehrenzunftmeister Bogdan Pătru hießen uns herzlich willkommen. Unser Zunftmeister Thomas Lutsch und sein Stellvertreter Ingo Andree begrüßten alle Agnethler in deutscher und rumänischer Sprache. Später traf auch Doris Hutter als Vertreterin der HOG Agnetheln ein. Es wurden Geschenke ausgetauscht und im Anschluss fanden verschiedene Präsentationen zur Geschichte und Tradition des über 300 Jahre alten Brauches statt.

Der Urzelnlauf in Agnetheln wurde erstmals 1689 als „Mummenschanz der Zünfte“ schriftlich erwähnt. Ab 1941 fand kein Urzelnlauf mehr statt bzw. wurde er bis 1968 verboten. Ab 1969 konnte der Brauch wieder ausgeübt werden bis letztmalig 1990, als mit über 600 aktiven Urzeln ein Rekord verzeichnet wurde. In Sachsenheim wurde die von Agnethlern mitgebrachte Tradition erstmals 1965 präsentiert, als es 13 Urzeln „wagten“ sich der Bevölkerung öffentlich zu zeigen. 2017 waren etwa 340 Urzeln auf den Straßen Sachsenheims unterwegs. Die Urzelnzunft Sachsenheim ist seit 1987 Mitglied in der VSAN (Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte), der „Hüterin“ der Schwäbisch-Alemannischen Fastnacht. Diese wurde mittlerweile auf der Grundlage der UNESCO-Konvention in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes eingetragen. Dazu gehört also nun auch der Urzelbrauch.
Urzelgruppe vor der evangelischen Kirche in ...
Urzelgruppe vor der evangelischen Kirche in Agnetheln. Foto: Wolfgang Schuller
Nach der massiven Auswanderung der Siebenbürger Sachsen fand nach 1990 kein Urzelnlauf in Agnetheln mehr statt. Der Lehrer Bogdan Pătru versuchte 2006 mit 14 Schülern der Georg-Daniel-Teutsch-Schule den Brauch wieder ins Leben zu rufen und veranstaltete einen kleinen Urzelnlauf durch Agnetheln. Dies kam bei der Agnethler Bevölkerung so gut an, dass 2007 der Verein „Breasla Lolelor“ gegründet wurde, der unseren sächsischen Brauch mit Stolz und Würde pflegt und präsentiert. Am Samstagmorgen fuhren wir nach Hermannstadt. Der Umzug mit rund 300 Urzeln führte durch die Heltauergasse zum Großen Ring, weiter zum Kleinen Ring und über die Lügenbrücke zur Evangelischen Kirche. Unterwegs gab es mehrere Vorführungen mit Bär, Schneiderrösschen und Mummerl und Reifenschwinger. Die Bevölkerung war begeistert und zeigte großes Interesse. Es wimmelte von Reportern und Kameras. Vor der Kirche wurden wir von Stadtpfarrer Kilian Dörr und Prof. Hans Klein, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Hermannstadt, begrüßt. Zum Abschied wurde das Siebenbürgenlied gesungen. Mittags kehrten die einzelnen Parten (Gruppen) in unterschiedlichen Lokalen ein, wo wir uns für das folgende Programm stärkten. Nachdem sich alle Urzeln wieder bei den Bussen versammelt hatten, ging es nach Großschenk. Dort warteten die Großschenker Urzeln schon auf uns. Sie wollten ihren Urzelbrauch erstmals wieder aufleben lassen und hatten wie früher einen Narrenwagen aufgestellt. In gereimten Versen hießen sie uns willkommen und luden uns zu einem Imbiss ein. Es war schon dunkel, als wir nach Agnetheln zurückfuhren.

Am Sonntag war Urzelnlaufen in Agnetheln. Um 9.00 Uhr nahmen wir an einer Andacht, gehalten von Pfarrer Boltres, im Konfirmandenraum unserer evangelischen Kirche teil. Es war ein schöner Anfang für einen besonderen Tag. Die Parade startete gegen 10.00 Uhr. Bei herrlichem Sonnenschein zogen die Urzeln und Brauchtumsfiguren, angeführt von einer Musikkapelle und begleitet von vielen Zuschauern, die Hauptstraße entlang. Für die Brauchtumsvorführungen hielt der Umzug mehrmals. Eine Jugendtanzgruppe rundete den Auftritt mit sächsischen Tänzen ab. Nach der Parade ging es, unterteilt in Parten, in private Quartiere, wo es traditionsgemäß Essen und Trinken gab und zusammen gesungen wurde. Das war für die meisten von uns der Höhepunkt der Reise. Straßen, die seit Ewigkeiten nicht mehr begangen wurden, Häuser, die man aus den Augen verloren hatte, Plätze, an denen noch Erinnerungen hängen, machten den Tag zu einem tief emotionalen, unvergesslichen Erlebnis. Diejenigen, die erstmals in Siebenbürgen waren, nahmen viele neue Erlebnisse mit. Der Tag endete mit dem traditionellen Urzelnball. Das war Urzelnlaufen, traditionell wie früher und gleichzeitig aktuell wie heute. Herzlichen Dank an die „Breasla Lolelor“! Schön war’s!

Birgit und Ingo Andree

Schlagwörter: Sachsenheim, Urzeln, Urzelnzunft, Agnetheln

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