6. Juni 2010

Schwangerschaften in der Deportation

In dieser Zeitung berichtete Rose Schmidt auf Nachfrage einer Leserin von den wenigen ihr bekannten Fällen, in denen Schwangere nach Russland deportiert wurden. Kurz vor ihrem Tod zeichnete sie die Geschichte von Frieda Nußbaumer, geborene Jonas, aus Streitford/Reps auf, die mit Kleinkind aus Russland entlassen und drei Monate unschuldig im Straflager Pergușorul Nou (Neu Perguschor) in Rumänien inhaftiert wurde.
Am 14. Januar 1945 wurde ich mit meinem Vater nach Russland, Lager 1023 Petrowka, deportiert. Mein Vater kam in ein Kriegsgefangenenlager, ich blieb in Petrowka bis zur Entlassung 1949. Dort lernte ich Hans J., einen „reichsdeutschen“ Landser, kennen und lieben. Er wurde der Vater meines Kindes. Wir hatten vor, nach der Entlassung zu heiraten und in Deutschland, Hans’ Heimat, zu leben. Doch es kam ganz anders.

Als wir Ende 1949 aus der Deportation entlassen wurden, kamen wir über Stalino in Bresnitovsk an. Dort wurden die Frauen, die wie ich nach Deutschland fahren wollten, auf dem Bahnhof zum Getreideverladen eingeteilt. Weil die Frauen untereinander Deutsch sprachen, wurde ein deutscher Lokführer auf sie aufmerksam. Laut Gesetz hieß es, alle Deportierten sind aus Russland entlassen worden. Der Lokführer gab den Frauen den Rat, die Anschriften von allen dort Festgehaltenen aufzuschreiben. Er bewirkte, dass die Nachricht in Deutschland bekannt gemacht wurde, und wo sich die angegebenen Personen befinden. Kurze Zeit darauf wurden die Männer nach Deutschland entlassen. Hans und Koni, ein Freund von Hans, blieben mit uns in Bresnitovsk; sie wollten nicht ohne uns nach Hause fahren. Ich war hochschwanger, kurz vor der Entbindung. Wir Frauen kamen mit unseren Kindern nach Minsk in ein großes Kriegsgefangenenlager. Von dort fuhr Hans heim. Wir wurden von den übrigen Gefangenen isoliert. Am 5. Mai 1950 wurde ich ins Klinikum Minsk zum Entbinden eingeliefert. Dort entband ich ein Töchterchen, Ingeborg. Freude und Trauer waren in meinem Herzen. Freude, weil ich mein Kind in den Armen hielt, Trauer wegen der unfreiwilligen Trennung von Hans. Im Klinikum erhielt ich für mein Kind die nötigsten Babysachen. Der Lagerarzt betreute uns vorbildlich und befahl den Kriegsgefangenen, meinem Baby ein Bettchen zu machen und aus Mull Windeln zu nähen. Als Kriegsgefangene war eine Pilotin da, welche mir ein Daunenkissen für Ingeborg schenkte. Auf der ganzen Heimfahrt war es ihre Rettung in der großen Kälte. Im Spätherbst wurden wir nach Odessa in ein rumänisches Kriegsgefangenenlager gebracht. Mein Töchterchen erkrankte an einer schweren Bronchitis. Ein rumänischer Arzt untersuchte sie und behandelte sie. Er legte ihr ein Senfblatt auf die Brust und ließ es fünf Minuten ziehen, dann rieb er ihre Brust mit Kampferöl ein und legte eine warme Windel darauf. Inge schlief ein und am nächsten Morgen ging es ihr bedeutend besser. Sie war die Jüngste von den 13 Kindern. Die Frauen strickten für mein Baby Jäckchen aus aufgetrennter Wolle einer geschenkten Decke und nähten ihr von Hand Hemdchen.

Anfang Dezember 1950 wurden wir aus Odessa entlassen und kamen kurz vor Weihnachten, am 18. Dezember, in Kronstadt an. Es war draußen sehr kalt. Ich musste die Kleine zufüttern, ihre Nahrung wärmte ich während der Fahrt mit einer Kerze.

In Kronstadt hielt der Zug auf einem Seitengleis; Militär bewachte ihn und ließ uns nicht aussteigen. Um Mitternacht kam ein Lastwagen angefahren, hielt an unserer Türe des Zuges und bewaffnete Soldaten beförderten jede Einzelne mit ihrem Kind und Gepäck in den Lastwagen. Dann begleiteten sie uns durch die Nacht. Es war stockdunkel, wir waren verängstigt und fragten, wohin es ginge. Doch wir bekamen keine Antwort. Nach ungefähr einer Stunde fuhr der Lastwagen durch ein mächtiges Tor in einen großen Gefängnishof. Man führte uns in eine große Halle. Dort erwärmte ein Kachelofen recht spärlich den großen Raum. Eisenbetten standen an den Wänden. Die Kinder weinten und wir mit ihnen.

In der Früh brachte man uns Mehlsuppe. Neben unserem Raum waren Frauen ohne Kinder inhaftiert, welche auch nach Deutschland fahren wollten. Von denen riet uns eine Burzenländerin zu streiken, weil man uns gefangen hielt. Wir streikten. Nur für Ingeborg übernahm ich die Suppe. Am nächsten Tag erschien eine rumänische Militär-Kommission. Sie sagten, wir sollen uns beruhigen, fotografierten jeden und schrieben unsere Geburtsdaten auf und woher wir kämen. In der Nacht wurde ich bereits verhört, sie fragten unter anderem, was ich in der Zeit während des Zweiten Weltkrieges in Bukarest gemacht hätte, wo ich gearbeitet hätte. Die Deportation nach Russland wurde nicht erwähnt.

Die ganze Zeit über mussten wir in einen großen Zuber „aufs Klo gehen“. Tagsüber durften wir für eine kurze Zeit im Hof spazieren gehen. Alle Kinder haben gefroren. Sie bekamen das gleiche Essen wie wir Erwachsene. Suppen und Brot. Fleisch sahen wir keins. Wir wurden schlechter behandelt als in den Hungersnotjahren in der Deportation in Russland. Wir hatten weder warmes Wasser noch Seife zum Waschen der Kinder oder der Windeln. Am Ofen oder an den Bettenden trockneten wir die Sachen unserer Kinder. Kein Arzt kam ins Gefängnis. Ingeborg erkrankte an schwerem Durchfall und Darmkatarrh. Ich verabreichte ihr nur Tee aus der Gefängnisküche.

Wir wurden von den übrigen Gefangenen isoliert gehalten. In einem Gefängnis für Männer wurden wir als Verbrecher aus Russland registriert und auch wie richtige Verbrecher behandelt. Am 21. Februar wurden wir entlassen. Am 22. Februar fuhr ich Richtung Heimat. Vor der Abfahrt wurden wir bedroht, falls wir sagen, woher wir kommen, kämen wir bald wieder her zurück. Zu Hause eingetroffen, begann die Geheimpolizei bereits nach einer Woche mit ihren Verhören. Über zwei Jahre wurde ich beobachtet, bespitzelt und verhört. Die ganze Zeit über bekam ich keine Auslandspost. So trennte das Schicksal Hans und mich für viele Jahre/Jahrzehnte.

Rose Schmidt

Schlagwörter: Deportation, Frauen, Zeitzeugenberichte

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