25. Juli 2010

Der Schwarze-Kirche-Prozess … und kein Ende?

1958 wurden der damalige Kronstädter Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel sowie mehrere Mitglie­der der von ihm geleiteten kirchlichen Jugendgruppe verhaftet. Wegen „staatsfeindlicher Aktivitäten“ beantragte die Staatsanwaltschaft gegen mehrere Angeklagte die Todesstrafe. Die Angeklagten wurden schließlich zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. 1999 hat der Oberste Gerichtshof Rumäniens die damaligen Urteile annulliert. Mit jenem berüchtigten politischen Prozess befasst sich im Folgenden Karl Dendorfer als seinerzeitiger Angeklagter. Der heute in Stuttgart lebende Bankkaufmann war 1962 begnadigt und 1966 vom Westen abgekauft worden.
Über Dendorfers am 15. November 2009 im Festsaal des Rathauses Mannheim-Neckarau gehaltenen Vortrag zum Thema hatte Prof. Heinz Acker in der Siebenbürgischen Zeitung Online vom 8. Dezember 2009 berichtet.

Vorab zwei Feststellungen: 1.) Es ist beschämend, wie bereitwillig unsere Sachsen damals die Thesen, die Gerüchte der Securitate angenommen und weiter kolportiert haben, wie auch den von der Securitate in Umlauf gebrachten Begriff „Edelsachsen“. 2.) Die These von der „Insel abendländischer Kultur“ spielte in unserem Prozess eine zentrale Rolle.
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Verurteilte des Schwarze-Kirche-Prozesses von 1958 auf Fotografien aus den 1970er Jahren: Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel (rechts) und Günther Volkmer.
Der Schwarze-Kirche-Prozess war ohne Zweifel ein politischer Prozess. Einer der damals üblichen Schauprozesse, vorsätzlich konstruiert und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Der Prozess war ein Theater, in dem die Securitate die Regie führte. Schon vor Beginn des Prozesses wurden der Ablauf und die Höhe der Strafen festgelegt. Da spielte es keine Rolle mehr, was die einzelnen Angeklagten im Verlauf des Prozesses aussagten. Die Verteidiger hatten kaum Zeit, die Akten einzusehen und mit den Angeklagten zu sprechen. Zudem wurden ihre Argumente ignoriert. Das Schauspiel konnte beginnen und dauerte drei Tage. Das Publikum im großen Gerichtssaal bestand aus Securitate-Offizieren, Parteifunktionären, einigen Journalisten sowie unseren sechzehn Verteidigern. Verwandte und Bekannte waren – wie üblich – ausgeschlossen.

Der Höhepunkt des Prozesses war die Rede des „Procuror militar, Major Liviu Liciu, vom Tribunal Militar III Cluj“ mit seiner Forderung, vier der Angeklagten zum Tode und fünf zu lebenslänglichem schweren Kerker zu verurteilen. Diese unerhört hohen Strafen begründete er mit folgenden Worten: „Ei au intenționat să creeze cu minoritatea națională germană o insulă a culturii occidentale in lupta contra comunismului international.“ Hier taucht jetzt der „verhängnis- ­volle“ Begriff auf, auf den sich in der Hauptsache die Anklage stützte. Er sollte die Gefährlichkeit der Angeklagten beweisen. Denn die große Diskrepanz zwischen unseren „Taten“ und den äußerst hohen Strafen war zu offensichtlich. Daher unterstellte uns die Securitate, mit der sächsischen Jugend eine „Insel abendländischer Kultur“ aufbauen zu wollen mit dem Ziel, mit diesen eine „fünfte Kolonne“ und eine „Speerspitze“ der „revanchistischen BRD“ zu bilden. Mit dieser Ar­gumentation sollte unsere große Gefährlichkeit verdeutlicht und die hohen Strafen gerechtfertigt werden. Eine Unterstellung der Securitate/ des Staatsanwaltes war auch deren Behauptung, dass die Jugendstunden des Stadtpfarrers Dr. Möckel und unsere Literaturkreise nur als Deck­mantel für unsere staatsfeindlichen Aktivitäten dienten. Um zu zeigen, dass der Begriff „Verteidigung des Abendlandes“ nicht nur ein Teil unseres Gedankengutes, sondern auch der evan- gelischen Kirche sei, bot das Gericht zwei sächsische Pfarrer als Zeugen auf, die das – unter Zwang – bestätigten. Tatsächlich aber wurde das Thema weder in den Jugendstunden noch in unserem Kreis behandelt. Doch wie sollte dies dem Richter bewiesen werden?
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Verurteilte des Schwarze-Kirche-Prozesses von 1958 auf Fotografien aus den 1970er Jahren: Karl Denndorfer (links) und Kirchenkurator Friedrich Roth.
Überhaupt, wie kam die Securitate auf diesen Begriff? – Bei einer Hausdurchsuchung bei Dr. Möckel fand die Securitate in seinem Schreibtisch die Abschrift einer Rede, die er von der Bukarester Germanistin Hermine Pilder-Klein erhalten hatte. Es handelte sich hier um die Festrede, die Karl Kurt Klein am 26. Mai 1957 anlässlich der feierlichen Übernahme der Patenschaft für die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland durch das Land Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf gehalten hatte. Es waren zwei Sätze, mit denen Karl Kurt Klein seine Rede beendete. Diese zwei Sätze reichten der Securitate als Anklagepunkt aus; es sollte der gravierendste sein. Die zehnseitige Rede liegt mir vor, und ich zitiere daraus diese zwei Sätze, die uns heute noch, nach über einem halben Jahrhundert, seltsam berühren: „Die Ge­schichte entlässt unseren Stamm nicht aus seiner Aufgabe am Karpatenwall. Ob die Großen dieser Erde dies wussten, bezweifle ich, nicht aber, dass Gottes Wille hierhin waltet. Dass solche Worte geschrieben, geglaubt und gelebt wurden, dass sie auch heute noch geglaubt und gelebt werden: das ist vielleicht die gültigste unter den gesamtdeutschen Leistungen der Sieben­bürger Sachsen.“ Soweit Karl Kurt Klein 1957.

Der Prozess … und doch noch ein Ende

Auch heute noch werden wir immer gefragt, was wir eigentlich getan haben. Unsere Antwort, dass wir nichts Strafwürdiges getan haben, stößt auf Skepsis. Somit tut sich hier ein weites Feld von Vermutungen, von Unterstellungen auf. Der Spannungsbogen reicht von Anerkennung bis zur Verurteilung von Seiten unserer Landsleute, hie und da auch böswillig: mit Adjektiven wie naiv, anmaßend, dumm, die größtenteils auf den von der Securitate lancierten Gerüchten beruhen. Die Diskrepanz zwischen unseren „Taten“ und den „Erkenntnissen“ der Securitate war offensichtlich. Wie kam es dazu?
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Verurteilte des Schwarze-Kirche-Prozesses von 1958 auf Fotografien aus den 1970er Jahren, Reiner Szegedi (links) und Horst Depner. 1999 wurde das Urteil annulliert, auch für Hans Bordon, Guido Fitz, Gerhard Gross, Peter Hönig, Oskar Kutzko, Günther Melchior, Theodor Moldovan-Sponer, Gerd Pilder, Emil Popescu-Krafft, Herbert Roth, Maria Luise Roth, Kurt-Felix Schlattner, Heinz Taute, Werner Theil.
Vielleicht ist da ein Zitat von Alexander Solschenizyn hilfreich: „Drinnen im Räderwerk des Großen Nächtlichen Etablissements, wenn uns die Seele zermalmt wird, und das Fleisch hängt längst in Fetzen herab, wie von einem Landstreicher die Lumpen – da leiden wir zu sehr, da sind wir zu sehr in unsere Schmerzen verstrickt, als dass uns ein Blick, ein durchleuchtender und prophetischer, für die blassen nächtlichen Häscher bliebe, die uns durch die Marter drehen. Das randvolle Leid macht uns blind – was für vorzügliche Chronisten wären wir sonst unseren Peinigern geworden! Denn sie selbst werden sich leibhaftig nie beschreiben. Doch nein: es wird sich jeder ehemalige Gefangene genau an sein Verhör erinnern, an die Daumenschrauben, die sie ihm ansetzten, an den Schmutz, den sie ihm abpressten ... Gemeinsame und sichere Erinnerung unser aller: ein fauliger Tümpel ein durch und durch von Fäulnis befallener Ort“ (aus „Der Archipel Gulag“, Band I, Kapitel 4).

Oberster Gerichtshof Rumäniens rehabiliert 1999 die Verturteilten von 1958

Die Folgen waren: Für uns lange qualvolle Jahre in den berüchtigtsten Gefängnissen Rumä­niens (Jilava, Pitești, Gherla ...). Unter unmensch­lichen Bedingungen. Mit gesundheitlichen Folgeschäden. Dazu kommen noch die Leiden unserer Angehörigen. Und das alles, wo wir doch nichts Strafwürdiges getan haben. Diese unsere Aussa­ge ist nicht der Versuch einer Selbstentlastung, nicht das Resultat eines Verdrängungsprozesses. Auch keine Schutzbehauptung. Der Beweis: der Beschluss Nr. 15 des Obersten Gerichtshofs Rumäniens vom 22. Februar 1999.

Dr. Gerhard Möckel bemühte sich Ende der 90er Jahre intensiv um die Wiederaufnahme un­seres Prozesses von 1958. Sein Wunsch war die juristische Rehabilitierung seines Vaters, Dr. Kon­rad Möckel. Mit Hilfe seines Rechtsanwalts Iancu Mândru, Kronstadt, gelang es 1998, unseren Prozess am Obersten Gerichtshof in Bukarest wieder aufzurollen. Mit folgendem Ergebnis: Kein einziger der im Urteil Nr. 2012/ 1958 aufgeführten Anklagepunkte entspricht der Wahrheit. Da man niemanden für etwas verurteilen kann, was er nicht getan hat, wurden alle damaligen Urteile kraft Gesetz annulliert.

Karl Dendorfer

Schlagwörter: Kommunismus, Vergangenheitsbewältigung, Zeitzeugenberichte, Schwarze-Kirche-Prozess

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